| # taz.de -- Todesfälle durch Drogenkonsum: Kurz ist es still am Kotti | |
| > Zum Gedenktag der verstorbenen Drogenkonsument*innen fordert eine | |
| > Selbsthilfeorganisation Versorgungssicherheit über die Zeit der | |
| > Coronapandemie hinaus | |
| Bild: Heroin-Spritzbesteck: Leider starben 2019 bundesweit 1398 Menschen bereit… | |
| „Für die Drogengebraucher*innen in Berlin und für die Substitution von | |
| Drogen hat sich dank Corona viel verbessert“, sagt Andreas Kramer von der | |
| Selbsthilfeorganisation Junkies Ehemalige Substituierte (JES) während | |
| seiner Eröffnungsrede der Kundgebung am Kottbusser Tor. Damit das auch nach | |
| Corona so bleibe, stehe der diesjährige Gedenktag für verstorbene | |
| Drogengebrauchende unter dem Motto: „Versorgungssicherheit (nicht nur) in | |
| Zeiten von Corona“. | |
| Rund 150 bis 200 Menschen nahmen laut Veranstalter*innen am | |
| Dienstagnachmittag an der Kundgebung am Kotti anlässlich des 22. | |
| Internationalen Gedenktages teil. Die Kundgebung wurde von der JES | |
| organisiert und weiteren sozialen Trägern der Suchthilfe unterstützt. In 50 | |
| weiteren europäischen Städten wurde der Verstorbenen mit Aktionen gedacht. | |
| [1][2019 starben in Deutschland 1.398 Menschen] am „Konsum illegaler | |
| Substanzen sowie an den Konsumbedingungen“, meldet der JES Bundesverband. | |
| Im Jahr zuvor waren es 1.276 Menschen, 9,6 Prozent weniger. Die Zahl | |
| bezieht sich auf die Ende März veröffentlichten Angaben der | |
| Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU) und | |
| berücksichtigt Todesfälle infolge des Konsums illegalisierter Drogen. | |
| Menschen, die infolge von übermäßigem Alkoholkonsum oder durch das Rauchen | |
| sterben, werden nicht berücksichtigt. | |
| Haupttodesursachen sind Überdosierungen von Opioiden, wie Heroin oder | |
| Morphin, sowie die Kombination mit anderen Substanzen. Auffällig sei die | |
| starke Zunahme der Todesfälle nach langjährigem Konsum. Die Zahl der | |
| Todesfälle durch den Konsum von Kokain, Amphetaminen und synthetischen | |
| Drogen ist in den letzten fünf Jahren gestiegen: von 143 auf 268 | |
| Verstorbene. | |
| ## Einfachere Mitnahme von Ersatzmitteln | |
| „Aufgrund der Coronapandemie wurde insbesondere die | |
| Take-Home-ehemaligeVergabe, also die Mitgabe von Ersatzmitteln und Rezepten | |
| großzügiger gewährt“, sagt Kramer von der Berliner JES-Gruppe, damit | |
| weniger Kontakt in Arztpraxen stattfinden würden. Der Zugang zur | |
| Substitution sei vereinfacht und unbürokratischer gemacht worden. | |
| Aber auch unabhängig von Corona sei das begrüßenswert, weil an der | |
| Gesellschaft teilgenommen werden könne. „Es gibt ganze Landstriche in | |
| Deutschland ohne Arztpraxen mit der Möglichkeit der Take-Home-Vergabe, wie | |
| soll da einer Arbeit nachgekommen werden, wenn Betroffene täglich in einer | |
| Arztpraxis warten müssen?“ | |
| Bundesweit befinden sich laut JES etwa 50 Prozent der Opioid | |
| Konsumierenden in einer Behandlung mit Ersatzsubstanzen. Das kritisiert die | |
| Deutsche Aids-Hilfe: Viele Drogenkonsumierende hätten keinen Zugang zur | |
| Substitutionstherapie oder überhaupt zu medizinischer Versorgung. Politisch | |
| Verantwortliche sollten Zugänge schaffen – „auch für Inhaftierte und | |
| Menschen ohne Krankenversicherung oder Papiere“, lautet die Forderung. | |
| ## Neue Drogenpolitik gefordert | |
| „Die Erweiterung der Mitgabe war nötig und sinnvoll“, sagt auch Michael | |
| Janßen. Der Allgemeinmediziner arbeitet seit knapp 20 Jahren im | |
| Suchtbereich und der Ersatzstoffbehandlung im Norden Neuköllns. Es sei | |
| verantwortlich mit den Lockerungen umgegangen worden. | |
| Zuvor gab es skeptische Stimmen, etwa dass die vereinfachte Mitgabe zu mehr | |
| Drogenhandel auf dem Schwarzmarkt hätte führen können. Das befürchtete | |
| Chaos sei jedoch ausgeblieben sagt auch Mathias Häde vom JES-Bundesverband | |
| zur taz. | |
| Nach mehreren Musikeinlagen und Redebeiträgen wirbt Philine Edbauer von der | |
| Initiative mybrainmychoice auf dem Kotti für eine Petition für eine „neue | |
| Drogenpolitik“, da Tod und Leid durch Drogenkonsum durch eine richtige | |
| Drogenpolitik vermeidbar seien. Abschließend gedenken die Teilnehmenden der | |
| Toten; auch zuvor teils laut grölende Zuschauer schweigen für eine Minute. | |
| Inmitten des belebten Kottis wirkt die Stille umso lauter. | |
| 22 Jul 2020 | |
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| [1] https://blogs.taz.de/drogerie/2020/03/27/2019-wieder-mehr-drogentote/ | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Schmalz | |
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