| # taz.de -- Zu Besuch im Drogenlabor: Koffein, Kokain oder Backpulver? | |
| > Wer Drogen konsumiert, kauft sie auf dem Schwarzmarkt ohne | |
| > Qualitätskontrolle. Bis jetzt. Denn Berlin soll bald ein | |
| > Drug-Checking-Projekt bekommen. | |
| Bild: Um die Drogen zu testen, bedarf es nur einer minimalen Menge | |
| Berlin taz | Nach 27 Minuten ist klar: In dem weißen Pulver in dem kleinen | |
| durchsichtigen Tütchen ist wahrscheinlich Koffein oder Kokain. Oder beides. | |
| Keine irrelevante Information. Das eine macht nur wach, das andere auch | |
| high. Der Besitz des einen ist in Deutschland nicht strafbar, des anderen | |
| schon. Was also ist es? | |
| „Beide Substanzen sehen gleich aus. Um es genauer zu untersuchen, müssen | |
| wir zuerst die Massen abgleichen.“ Nico Beerbaum deutet auf den höchsten | |
| Punkt eines Graphen, den ein Bildschirm vor ihm auf dem Schreibtisch zeigt. | |
| In dem kleinen Laborraum summt und brummt es. Es kommt von den vielen | |
| Apparaten, die hinter Beerbaum sind. Links an der Seite stehen sie auf | |
| Schränken, in der Mitte wie auf einer Kücheninsel. Einige sind vergilbt wie | |
| Computer aus den Neunzigern, andere anthrazitfarben. Auf einigen Geräten | |
| stehen Glasflaschen mit dünnen Schläuchen darin, andere haben Scheiben wie | |
| eine Mikrowelle. Alles wirkt klinisch und kühl. Alles, bis auf eine Bordüre | |
| aus Fliesen mit orangefarbenem Muster aus Kreisen und Wellen, ein Relikt | |
| aus den 70ern. | |
| Nico Beerbaum ist Chemiker in der zentralen Arzneimitteluntersuchungsstelle | |
| im Landeslabor Berlin-Brandenburg. Seine Aufgabe ist nicht nur, in den | |
| beiden Bundesländern hergestellte Arzneimittel alle fünf Jahre auf ihre | |
| Zusammensetzung und Qualität zu überprüfen, sondern auch Analysen „von Amts | |
| wegen“, also im Auftrag von Zoll oder Landeskriminalamt durchzuführen. Auch | |
| Betäubungsmittel wie eben Kokain kommen ihm dabei ab und zu unter. Zwar hat | |
| das Landeskriminalamt ein eigenes kriminaltechnisches Institut. In manchen | |
| Fällen arbeiten sie aber zusammen, und die Aufträge werden ans Landeslabor | |
| vergeben. | |
| Dass Beerbaum kleine Tütchen mit weißem Pulver untersucht, gehört also | |
| nicht zu seinen Kernaufgaben. Heute macht er es trotzdem. Die Probe im | |
| Tütchen hat er selbst gemischt. Um an ihr zu zeigen, wie das so aussehen | |
| würde in einem Labor, [1][sollte in Berlin tatsächlich dieses Jahr das | |
| Drug-Checking-Projekt starten], bei dem Konsument:innen ihre Drogen auf | |
| Inhalt und Qualität testen lassen können. Das Landeslabor wird das Projekt | |
| wohl nicht umsetzen. Die Methoden sind aber die gleichen. | |
| ## Ganz anders als im Chemieunterricht | |
| Eine gute Stunde vorher: Die Substanz muss für den Test vorbereitet werden. | |
| Das passiert in einem anderen Laborraum. Ein bisschen sieht der so aus, wie | |
| man es aus dem Chemieunterricht kennt: Zwei Reihen weißer Anrichten stehen | |
| mittig im Raum, ausgestattet mit Waschbecken, braunen Glasflaschen, | |
| glänzenden Glaskolben. Hier brummen keine Maschinen, es klappern Pipetten, | |
| klimpern Reagenzgläser. Labortechnische Mitarbeiter:innen untersuchen | |
| Proben. | |
| Nico Beerbaum steht links im Raum an einer Anrichte. Gerade zieht er sich | |
| schlumpfblaue Handschuhe an. „Das ist nicht so wie bei CSI“, sagt er dabei. | |
| „Man steckt da nicht einfach den Finger rein, nimmt den in den Mund und | |
| sagt: ‚Oh, gute Qualität‘“. Seinen weißen Laborkittel trägt er offen �… | |
| hellblauem Hemd und Jeans, vor der Brust hängt eine Schutzbrille. Vor ihm | |
| auf der Anrichte liegt das kleine Tütchen mit dem weißen Pulver. | |
| Es ist dann aber doch einiges anders als im Chemieunterricht: „Die meisten | |
| der eigentlichen Tests machen mittlerweile Geräte“, sagt Nico Beerbaum. | |
| „Die Denkleistung und die Recherche davor muss aber der Mensch erbringen. | |
| Was könnte da drin sein, und welche Tests muss ich machen?“ In unserem Fall | |
| liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine organische Substanz handelt. | |
| Uns interessiert außerdem, welche Moleküle, also welche chemischen | |
| Verbindungen, da drinstecken. | |
| Für den passenden Apparat muss die Probe aufgelöst werden. Mit einem dünnen | |
| Spatel nimmt Beerbaum geschätzt eine Zehntel Messerspitze von dem Pulver | |
| aus dem Tütchen heraus und gibt es in ein etwa einen Zentimeter hohen | |
| Glaszylinder hinein. Dann misst er Methanol ab und löst die Probe damit | |
| auf. Das Glas wird verschlossen, fertig vorbereitet ist die Probe. | |
| „Die Geräte sind heute so fein, die würden die sprichwörtliche Nadel im | |
| Heuhaufen finden“, sagt Beerbaum. Wer Drogen im Rahmen des | |
| Drug-Checking-Projekts in Berlin testen lassen möchte, müsste also nur | |
| einen kleinen Teil davon abgeben. Dass das Projekt umgesetzt werden soll, | |
| ist im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschrieben. 120.000 Euro | |
| stehen 2019 zur Verfügung. Ein kleiner Erfolg, denn seit den | |
| Neunzigerjahren setzen sich Aktivist:innen dafür ein. In Ländern wie der | |
| Schweiz gibt es Drug-Checking schon. | |
| Die Idee dahinter: Die Substanzen kommen vom Schwarzmarkt, und der hat | |
| keine amtliche Qualitätskontrolle im 5-Jahres-Rhytmus. So kann es sein, | |
| dass das, was als Heroin gekauft wurde, tatsächlich das vielfach stärkere | |
| Opioid Fentanyl enthält. Oder dass in Ecstasy-Pillen nicht nur die | |
| gewünschten Substanzen MDMA und Speed sind, sondern zum Beispiel auch das | |
| Halluzinogen 2C-B. Sprich: Beim Konsum kann es [2][zu unerwarteten | |
| Wirkungen] oder zu versehentlicher Überdosierung kommen. Mit Drogenkonsum | |
| geht zwar immer ein Risiko einher. Durch die Drug-Checking-Maßnahme soll es | |
| eingedämmt werden, weil [3][Konsument:innen so eine bewusstere Entscheidung | |
| treffen]. Und Drogen-User:innen gibt es viele. | |
| ## Es fehlt das Ok der Polizei | |
| Ob das Projekt wirklich durchgesetzt werden kann, steht noch nicht fest. | |
| Polizei und Staatsanwaltschaft müssten dazu noch ihr Einverständnis geben, | |
| die Personen, die ihre Drogen zum Testen abgeben wollen und die, die sie | |
| untersuchen, nicht zu verhaften. Wenn es zu einer Einigung kommt, könnten | |
| Konsument:innen ihre Drogen nach jetziger Planung zu festen Sprechstunden | |
| in drei Beratungsstellen abgeben und nach ein paar Tagen bei einem | |
| Beratungsgespräch die Ergebnisse abholen. | |
| In der Zwischenzeit werden die Drogen der Konsument:innen dann | |
| aufbereitet, so wie Beerbaum das eben gemacht hat, und in ein solches Gerät | |
| gesteckt, vor dem der Chemiker nun steht. Es ist eines in der Mitte des | |
| kleineren Laborraums. Noch immer brummt es hier. Die Probe steht nun hinter | |
| einer Glasklappe des Geräts. Da drin passiert die ganze Magie. Es ist ein | |
| HPLC, ein Hochleistungsflüssigkeitschromatograph. | |
| „Mit einer kleinen Spritze wird hier ein Mikroliter, also etwa ein | |
| Stecknadelkopf, aus der Probenlösung entnommen“, sagt Beerbaum. „Über eine | |
| Säule werden die einzelnen Bestandteile dann voneinander getrennt und dann | |
| durch diesen dünnen Schlauch in eine zweite Apparatur geleitet.“ | |
| Es ist ein Massenspektrometer, ein Gerät mit einem hohen Rohr. Was darin | |
| passiert? „Das ist, wie wenn Sie eine Hand voll Müsli in die Luft werfen. | |
| Die Rosinen sind schwerer als die Haferflocken, werden höher geworfen und | |
| kommen dann auch nach den Haferflocken auf dem Boden auf.“ Anhand der | |
| Flugzeit lässt sich also sagen, wie schwer die Moleküle sind. Es gilt: Je | |
| genauer man die Masse herausbekommt, desto besser lässt sich das Molekül | |
| bestimmen. | |
| ## Hohe Kosten, aufwendige Prozedere | |
| Das macht der Computer. Nach 16 Minuten zeigt der einen ersten Graphen mit | |
| einigen Peaks an. Sie zeigen die Retentionszeit, also die Zeit, die das | |
| Molekül zum Passieren der Säule gebraucht hat. Daran, dass es einige sind, | |
| sieht man: In der Probe sind mehrere Stoffe. Beerbaum klickt auf eine | |
| Spitze, kopiert die angezeigte Masse und öffnet eine Datenbank. Mehr als | |
| 7.000 Substanzen sind darin. 21 davon werden beim Abgleich angezeigt. | |
| Kokain ist darunter, Koffein und ein Potenzmittel. „Wir schauen uns jetzt | |
| die Fragmente des Moleküls an“, sagt Beerbaum. „Wenn man Moleküle | |
| zerbricht, sind die Bruchstücke – anders als bei einer Vase – immer die | |
| gleichen. Also können wir sie abgleichen.“ Das Ergebnis: Dieser Peak ist | |
| eindeutig Kokain. | |
| Ein Abgleich der anderen Ausschläge zeigt: In dem Pulver ist außerdem | |
| Koffein. Ob die Probe gestreckt wurde – beispielsweise mit Backpulver – | |
| sieht man nicht, da Backpulver eine anorganische Substanz ist, die dieses | |
| Gerät nicht anzeigen kann. | |
| Um das herauszukriegen, müsste man noch weitere Tests machen. Je genauer | |
| beim Berliner Drug-Checking die Proben also untersucht werden, desto | |
| aufwendiger wird das Prozedere im Labor – und desto teurer. Die Kosten für | |
| diesen einen Test liegen nach Beerbaum bereits bei mehren Hundert Euro. | |
| Trotz dieses Aufwands befürwortet auch Chemiker Beerbaum das Projekt. | |
| „Jahrzehntelang wurde versucht, per Gesetz den Konsum der Leute zu ändern“, | |
| sagt er. „Vielleicht steigert das Drug-Checking das Bewusstsein der Leute | |
| dafür, was sie da eigentlich nehmen – und sie lassen es dann.“ | |
| 5 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Maike Brülls | |
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