# taz.de -- Debatte Bundeswehreinsatz in Syrien: Hochamt des Zynismus | |
> Merkels Worte nach Paris gleichen denen Schröders nach 9/11. Was nun | |
> kommen wird, hat weniger mit Logik, sondern mehr mit Bündnistreue zu tun. | |
Bild: Und? Hat‘s was genützt? Bundeswehrsoldaten auf nächtlicher Patrouille… | |
Manchmal kann es sinnvoll sein, genau zuzuhören. Und Worte ernst zu nehmen. | |
Als Angela Merkel einen Tag nach den schrecklichen Anschlägen von Paris vor | |
die Presse trat, um mit belegter Stimme ihre Anteilnahme zu bekunden, | |
wusste die Kanzlerin genau um ihre Formulierungen. „Dieser Angriff auf die | |
Freiheit gilt nicht nur Paris – er meint uns alle und er trifft uns alle“, | |
sagte sie. „Deswegen werden wir auch alle gemeinsam die Antwort geben.“ Die | |
Bundesregierung habe Frankreich „jedwede Unterstützung angeboten“. | |
Die Ähnlichkeit mit jener „uneingeschränkten Solidarität“, die Merkels | |
Vorgänger Gerhard Schröder am Tag nach dem 11. September 2001 den USA | |
versichert hatte, war nicht zufällig. [1][Der am Donnerstag verkündete | |
Einsatz der Bundeswehr in Syrien] ist die logische Konsequenz. Auch wenn | |
viele davon überrascht wurden, weil sie sowohl François Hollandes Aussage, | |
Frankreich befinde sich im Krieg, als auch Merkels Beistandsbekundungen nur | |
für Rhetorik halten wollten. | |
Es wirkt wie ein Déjà-vu. Die Terroranschläge von Paris sind das 9.11. | |
Frankreichs: So wie die Nato auf Veranlassung der USA am 12. September 2001 | |
den Bündnisfall gemäß Artikel 5 der Nato-Charta ausgerufen hatte, [2][nimmt | |
Frankreichs Präsident erstmals in der Geschichte die EU-Beistandsklausel | |
des Artikels 42 Absatz 7 im Lissabon-Vertrag in Anspruch]. In Deutschland | |
erinnern die Entwicklungen der vergangenen zwei Wochen an jene Tage vor 14 | |
Jahren, als aus der Trauer um die Toten von New York und Arlington | |
innerhalb kurzer Zeit die deutsche Beteiligung an George W. Bushs War on | |
Terror wurde. | |
In seiner ersten Regierungserklärung zu den Terroranschlägen, die Gerhard | |
Schröder am 12. September 2001 im Bundestag hielt, sprach er noch mit | |
keinem Ton von einem möglichen Bundeswehreinsatz in Afghanistan. | |
Stattdessen bot er den USA nur allgemein „jede gewünschte Hilfe an, | |
natürlich auch bei der Ermittlung und Verfolgung der Urheber und | |
Drahtzieher dieser niederträchtigen Attentate“. So ähnlich formulierte es | |
diesmal auch Merkel nach den Pariser Anschlägen: Die Bundesregierung werde | |
„alles tun, um bei der Jagd auf die Täter und Hintermänner zu helfen und | |
gemeinsam den Kampf gegen diese Terroristen zu führen“. | |
## Am Boden dürfen andere kämpfen und sterben | |
Auch in seiner zweiten Regierungserklärung am 19. September 2001 gab | |
Schröder noch nicht den Marschbefehl. „Wir wissen heute noch nicht, ob und | |
welche Unterstützung die Vereinigten Staaten von den Nato-Partnern erwarten | |
und einfordern“, sagte er stattdessen. „Das könnte auch militärischer | |
Beistand sein; ein solcher kann nicht ausgeschlossen werden und deswegen | |
darf ich ihn nicht ausschließen.“ Schröder versicherte jedoch: „Zu Risiken | |
– auch im Militärischen – ist Deutschland bereit, aber nicht zu | |
Abenteuern.“ Inzwischen dürfte schwer zu bezweifeln sein, dass das leider | |
nicht den Tatsachen entsprach. | |
Nach dem bisherigen Stand scheinen der Westen ebenso wie Russland bei ihrem | |
Syrien-Engagement aus den unerfreulichen Erfahrungen ihrer jeweiligen | |
Afghanistan-Kriege gelernt zu haben: Am Boden lassen sie lieber andere | |
kämpfen und sterben, je nach Gusto die kurdischen Peschmerga oder die | |
Assad-Truppen. Das schont zumindest eigenes Menschenmaterial, was sich | |
positiv auf die Heimatfront auswirkt. | |
Auch der geplante deutsche Einsatz gleicht zumindest gegenwärtig nicht | |
gerade einem Himmelfahrtskommando: Das Mandat, das der Bundestag in der | |
kommenden Woche mit wie üblich großer Mehrheit beschließen wird, dürfte die | |
Entsendung von vier bis sechs Recce-Tornados zur Aufklärung, eines | |
Airbus-A310-Tankflugzeugs umfassen – sowie einer Fregatte, die dem | |
französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ im östlichen Mittelmeer | |
Geleitschutz geben soll. Letzteres dürfte der ungefährlichste Teil des | |
Einsatzes sein: als Seemacht ist der IS bisher nicht in Erscheinung | |
getreten. | |
## Homegrown-Terroristen werden eher beflügelt | |
Risikolos ist der geplante Bundeswehreinsatz gleichwohl nicht, und zwar in | |
doppelter Hinsicht. Zum einen sind die tieffliegenden Tornados, auch wenn | |
sie überschallschnell fliegen können und über einige | |
Selbstschutzeinrichtungen an Bord verfügen, ebenso wie das Tankflugzeug | |
nicht hundertprozentig vor einem Abschuss sicher. Dass der syrische | |
Luftraum nicht ohne Gefahren ist, zeigt das Beispiel des von der Türkei | |
abgeschossenen russischen Kampfjets. Zum anderen wäre es naiv, zu glauben, | |
eine aktive Beteiligung am Kampf gegen den IS in Syrien würde nicht die | |
Terrorgefahr in Deutschland erhöhen. Das dürfte Homegrown-Terroristen eher | |
beflügeln. | |
Die Bedrohung wird jedenfalls auch durch einen militärischen Sieg über den | |
„Islamischen Staat“ in Syrien und im Irak nicht verschwinden. Die | |
dschihadistischen Fanatiker werden sich ein neues Mekka suchen, auch das | |
lehrt die Geschichte: 2001 war Al-Qaida noch das Objekt der Begierde, heute | |
ist es der „Islamische Staat“. Vierzehn Jahre Krieg gegen den Terror haben | |
nicht den Terror besiegt, sondern nur noch furchtbarere Terroristen | |
hervorgebracht. | |
Ob der jetzt anvisierte Bundeswehreinsatz zumindest in einer militärischen | |
Logik einen Sinn macht oder nicht, ist ohnehin eine offene, wohl eher | |
skeptisch zu beantwortende Frage. Allerdings ist sie für die heutige | |
Bundesregierung ebenso irrelevant, wie einst für die | |
Schröder-Administration in Bezug auf den Afghanistan- oder den | |
Jugoslawien-Krieg. Das gilt auch für irgendwelche fehlenden UN-Mandate oder | |
sonstiges Völkerrechtsgedöns, das die Grünen zur Zeit noch | |
bedenkenträgerisch ins Feld führen, um letztlich doch dem Vaterland die | |
Treue zu erweisen und dem Kampfeinsatz zuzustimmen. | |
Am Donnerstag hat ein Kommentator in den ARD-Tagesthemen gut staatstragend | |
auf den Punkt gebracht, worum es tatsächlich geht: Für einen Erfolg würden | |
diesem neuen Krieg zwar „die elementaren Voraussetzungen“ fehlen, aber | |
trotzdem könne sich „Deutschland nicht verschließen“. Der schlichte Grund: | |
„Wie hätten wir den Franzosen verweigern sollen, was wir den Amerikanern | |
2001 umstandslos gewährt haben.“ | |
Es geht also um Bündnistreue, nicht um die leidenden Menschen in Syrien, im | |
Irak oder anderswo. Da hofft die Regierung nur, dass sie nicht alle nach | |
Deutschland kommen. Das ist zynisch? Ja, das ist es. | |
## Bundeswehr zahlte „Blutgeld“ | |
Übrigens: Bei dem von Deutschland in „unbedingter Solidarität“ | |
unterstützten War on Terror auf der Strecke geblieben sind laut einer | |
Studie der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), | |
der Physicians for Social Responsibility (PSR) und der Physicians for | |
Global Survival (PGS) vom März dieses Jahres bislang rund 1,3 Millionen | |
Menschen: mehr als 220.000 Tote in Afghanistan, etwa 80.000 in Pakistan und | |
eine Million Menschen starben im Irakkrieg. Im Vergleich dazu sind die 105 | |
Soldaten und die eine Soldatin, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr | |
ihr Leben verloren haben, eigentlich eine zu vernachlässigende Größe – wä… | |
nicht jeder getötete Mensch einer zu viel. Für die Angehörigen gibt es seit | |
einem Jahr einen „Wald der Erinnerung“ in der Nähe von Potsdam. | |
Der Krieg in Afghanistan dauert inzwischen länger als der Zweite Weltkrieg. | |
Was er gebracht hat, lässt sich in einem gerade bekannt gewordenen internen | |
Lagebericht der deutschen Botschaft in Kabul nachlesen. Die „Ausdehnung der | |
Taliban“, heißt es darin, sei heute größer als zu Beginn der militärischen | |
Intervention der Nato im Jahr 2001. Dies habe eine „dramatische Erhöhung | |
der Bedrohungslage“ zur Folge. | |
Am Hindukusch starben bislang 57 deutsche Soldaten, mehr als 300 wurden | |
verletzt. Wie vielen Menschen deutsche Soldaten das Leben genommen haben, | |
darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen. Aber wen interessiert das in | |
Deutschland schon? Wer weiß beispielsweise von jener afghanischen Mutter | |
mit ihren zwei Kindern, die das Pech hatten, im August 2008 von einem | |
deutschen Soldat an einem Checkpoint in der Nähe von Kunduz erschossen zu | |
werden. Irrtümlich, wie es heißt. | |
Die Bundesrepublik zahlte ein „Blutgeld“ an die Familienangehörigen – und | |
der Fall war erledigt. „Man hat sich auf 20.000 Dollar dort geeinigt“, | |
erklärte ein Bundeswehrsprecher. „Diese 20.000 Dollar hat die Familie als | |
Zahlung akzeptiert, um damit eine Blutrache zu vermeiden.“ Damit sei „das | |
nach afghanischen Gebräuchen beendet“ gewesen. Drei Menschenleben etwa zum | |
Preis einer ganzseitigen taz-Anzeige: ein gutes Geschäft für die | |
Bundeswehr. Der Krieg ist ein Hochamt des Zynismus. | |
27 Nov 2015 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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