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# taz.de -- Debatte Kampf gegen IS: Worum es in Syrien geht
> Militärische Interventionen sind kein Selbstzweck, sie sind ein Mittel.
> Deshalb müssen die Ziele eines Einsatzes genau definiert werden.
Bild: Tornados sollen zur Aufklärung in Syrien eingesetzt werden
Eine aufgeregte politische Debatte tobt in Deutschland, seit die
Bundesregierung eine Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen
Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien
angekündigt hat. Wie so oft bei den Auseinandersetzungen über
Auslandseinsätze der Bundeswehr wird dabei vieles durcheinandergebracht.
Für ein besseres Verständnis sind drei Erkenntnisse wichtig.
Erstens: Es werden weder deutsche Soldaten in die mesopotamische Wüste
geschickt noch sind deutsche Flugzeuge im Begriff, IS-Gebiete mit
Bombenteppichen zu belegen. Es geht ausschließlich um logistische
Unterstützung und Aufklärungsarbeit, also um Hilfsdienste.
Sie bleiben sogar weit hinter allem zurück, was Deutschland längst tut,
wenn es um den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ im Irak geht: Dort
werden militärische Verbände der Kurden von Deutschland mit Waffen
beliefert und von deutschen Ausbildern geschult.
## Beispiel Kobani
Nichts dergleichen steht in Syrien zur Debatte. Man könnte sich eher
fragen, warum Maßnahmen gegen den IS, die im Irak weitgehend unstrittig
waren und größtenteils funktioniert haben, in Syrien jetzt so problematisch
sein sollten. Schließlich ist es nicht lange her, dass die deutsche
Öffentlichkeit beispielsweise mit den Kurden in Kobani zitterte, die unter
der Belagerung des IS standen.
Zweitens: Es geht nicht darum, einfach überheblich zu denken, man könnte
den Terror aus der Luft besiegen. Es geht um gezielte Unterstützung in
einer ganz konkreten Herausforderung, die für Syriens Bürgerkrieg von
entscheidender Bedeutung sein könnte. Die Herausforderung lautet: Wer wird
die derzeitige IS-Hauptstadt Rakka erobern – die Truppen des Assad-Regimes
oder die demokratischen Oppositionskräfte?
Moskau und Teheran wollen, dass die Assad-Truppen militärisch und auch
politisch die Oberhand behalten. Sie betreiben in Syrien einen
Vernichtungsfeldzug in erster Linie gegen alle Kräfte, die weder dem IS
noch Assad loyal sind. Ihr Kalkül: Wenn im Trümmerhaufen Syrien nur noch
Assad und der IS übrig sind, wird alle Welt gezwungenermaßen Assad
akzeptieren. Ein politischer Kompromiss kommt in dieser Strategie, anders
als so manche zu denken scheinen, nicht vor. Ziel ist der kompromisslose
Sieg des Diktators.
Das Interesse des Westens muss demgegenüber sein, dass die demokratischen
Kräfte den Krieg gegen den IS gewinnen. Kurdische Verbände und ihre
Alliierten in Nordsyrien haben in den letzten Monaten viel Boden gewonnen
und wären zu einem Vorstoß auf Rakka dann in der Lage, wenn Hilfe aus der
Luft den Gegner entscheidend schwächt.
## Deutschland in der Pflicht
Wären sie es, die den IS in seiner Hauptstadt besiegen, würde dies das
Kräfteverhältnis in Syrien entscheidend verändern. Assad würde den ihm von
Moskau zugedachten Status als einziges Bollwerk gegen den Terror nicht mehr
reklamieren können. So könnte auf allen Seiten ein Interesse an einer
Friedenslösung entstehen.
Dies ist, wenn man die intelligenteren Debatten in Paris und London
verfolgt, das Ziel des Luftkriegs gegen den IS in Syrien in Verbindung mit
Unterstützung für die gegen den IS kämpfenden Kräfte am Boden. Es ist die
einzige Strategie, die für Syrien und seine Menschen, sofern noch welche
übrig sind, eine Zukunft eröffnet. Gerade ein Land wie Deutschland, das
fliehende Syrer zu Hunderttausenden aufnimmt, müsste ein vitales Interesse
an dieser Zukunft haben.
Drittens: Deutschland steht in der Pflicht. Frankreich hat nach den
Terrorangriffen vom 13. November die Beistandsklausel der EU-Verträge
aktiviert. Man kann sich natürlich davor drücken, aber nicht Deutschland.
Schließlich verlangt die Bundesregierung mit ihrer – lobenswerten – Politik
der unbegrenzten Flüchtlingsaufnahme auch Solidarität der EU und fordert
Quotensysteme zur Umverteilung der Flüchtlinge.
Wer erst einseitig, ohne Konsultation der EU-Partner, seine Grenzen öffnet
und dann versucht, per EU-Beschluss die daraus entstehenden Lasten auf
andere EU-Länder umzuverteilen, der kann nicht glaubwürdig abseits stehen,
wenn umgekehrt Frankreich erst einseitig militärische Maßnahmen beschließt
und dann Hilfe bei der Umsetzung einfordert.
Außer das ist Teil eines expliziten Deals, einer Arbeitsteilung: Frankreich
und Großbritannien schicken die Bomber, Deutschland nimmt die Flüchtlinge.
Aber dann muss man das in Berlin explizit sagen und aufhören, über
mangelnde europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage zu jammern.
## Politische Gedankenlosigkeit
Über Militärinterventionen abstrakt zu streiten ist müßig. Manche verlaufen
gut, manche schlecht. Es kommt auf die jeweiligen Umstände an. Ob sie
geboten sind, ist keine Grundsatzfrage. Nur Menschen, die auch angesichts
von Völkermord oder bei einer Nazi-Erstürmung eines Flüchtlingslagers
untätig bleiben würden, können ernsthaft gegen den Gebrauch von
Zwangsmitteln in jeder denkbaren Situation eintreten.
Denn Militärinterventionen sind kein Selbstzweck. Das Militär ist ein
Werkzeug zur Herstellung eines politisch gewünschten Zustandes. Sein
vernünftiger Gebrauch ist kein Ersatz für Politik, sondern ein Instrument
der Politik. Nur wer eine Politik definiert, kann also Militär sinnvoll
einsetzen. Der dramatische Fehler des Irakkriegs von George Bush im Jahr
2003 war die Kombination aus überlegener militärischer Schlagkraft und
abgrundtiefer politischer Gedankenlosigkeit, wodurch Saddam Hussein
gestürzt wurde, ohne dass es eine Nachkriegsstrategie gab. Der Irakkrieg
verhalf Dummheit mit Gewalt zum Sieg. Ähnlich verlief der Sturz Gaddafis in
Libyen 2011.
Daraus, dass in diesen Fällen das Politische nicht existierte, lässt sich
aber nicht der Schluss ziehen, dass das Militärische grundsätzlich nicht
funktionieren kann. Die Fehler waren politisch, nicht militärisch.
Vernünftige politische Ziele lassen sich definieren und die angemessenen
militärischen Mittel zu ihrer Erreichung auch. Hierfür könnte ein
intelligentes und engagiertes Vorgehen gegen den „Islamischen Staat“ ein
Vorbild werden.
1 Dec 2015
## AUTOREN
Dominic Johnson
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