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# taz.de -- Syrien-Einsatz der Bundeswehr: Krieg im Höllentempo
> Eine Entscheidung innerhalb von nur drei Tagen: Die Regierung peitscht
> den Syrien-Einsatz im Eilverfahren durch den Bundestag. Warum?
Bild: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) spricht während der S…
BERLIN taz | Die Bundesregierung verschickt die entscheidende Mail am
Dienstag um kurz vor 10 Uhr. Die Experten des Auswärtigen Ausschusses des
Bundestags finden in ihren Postfächern den Mandatstext, den das Kabinett
gerade beschlossen hat. 1.200 Soldaten will die Regierung in den
Antiterrorkampf schicken. Dazu sechs Tornados, die Luftbilder liefern
sollen, ein Tankflugzeug und eine U-Boot-Abwehrfregatte.
Es ist ein ausgewachsener Kriegseinsatz: Die Regierung will an der Seite
Frankreichs in den Kampf gegen die Terrorbanden des IS ziehen. Gerade mal
drei Tage später, am Freitagmorgen, soll der Bundestag den
Bundeswehreinsatz endgültig absegnen. Das ist der Plan der Koalition. Drei
Tage, in denen die 630 Abgeordneten entscheiden müssen, ob sie deutsche
Soldaten in einen unübersichtlichen Krieg schicken wollen. Ein Krieg im
Eiltempo.
Egal ob man diesen Einsatz gegen den Terror für richtig oder falsch hält,
angesichts dieses Drucks stellen sich auch andere Fragen: Ist so eine
schnelle Entscheidung bei so einem wichtigen Thema seriös? Können die
Abgeordneten ihrer Pflicht, die Sachlage sorgfältig zu prüfen, überhaupt
nachkommen? Und warum macht die Regierung aus Union und SPD so einen Druck?
„Die Solidarität mit Frankreich nehmen wir sehr ernst“, sagt Britta
Haßelmann, die Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen. „Doch halte ich es
für unverantwortlich, in nur drei Tagen dieses Syrien-Mandat zu
beschließen.“ Viele zentrale Fragen seien nicht geklärt: zu den
Bündnispartnern, zur Gesamtstrategie oder zur Rolle Assads. Der syrische
Diktator lässt Fassbomben auf die eigene Zivilbevölkerung werfen, er ist
nur ein unberechenbarer Player von vielen in der Gegend.
## Verfahren sei eine „Farce“
Auch Petra Sitte, die Fraktionsgeschäftsführerin der Linkspartei, ist
empört. Sie bezeichnet das parlamentarische Verfahren als „Farce“. Es
entbehre jeder Sorgfalt. „Auf einer unklaren rechtlichen Grundlage sollen
die Abgeordneten innerhalb von nur drei Tagen eine Entscheidung über die
Beteiligung an einem unglaublich komplexen Konflikt treffen“, sagt Sitte.
„Mit dieser Entscheidung richten wir über Leben und Tod – nicht nur der
Soldatinnen und Soldaten, sondern auch der Zivilbevölkerung vor Ort.“
In der Tat ist die Eile der Regierung bemerkenswert. Am Donnerstag vor
einer Woche, kurz nach einem Treffen von Kanzlerin Merkel und Frankreichs
Präsident François Hollande, wurde öffentlich, dass die Deutschen Soldaten
schicken wollen. Die Regierung informierte an jenem Donnerstag die Obleute
der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss in einer Telefonkonferenz. Details
erfuhren die Parlamentsexperten aber nicht.
Die lieferten erst die Medien am Wochenende. Der Generalinspekteur der
Bundeswehr sprach in der Bild am Sonntag von 1.200 Soldaten. Am
Montagnachmittag zitierte dann [1][Spiegel Online] aus der 16-seitigen
Kabinettsvorlage, die die Kosten für die Mission für das Jahr 2016 auf 134
Millionen Euro taxiert. Den Medien lag der Kabinettsentwurf über den
Einsatz also eher vor als dem Parlament, das ihn beschließen muss.
Haßelmann beschwerte sich per Fax bei den zuständigen Ministern der
Koalition – bei Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Ursula von der Leyen
(CDU). Sie gehe davon aus, dass die beiden in Zukunft dafür sorgen würden,
„dass die Fraktionen entsprechende Dokumente vor ihrer Weitergabe an die
Presse erhalten“, schrieb Haßelmann. Dieses Vorgehen sei angesichts der
politischen Tragweite des Mandats „höchst inakzeptabel“.
## 10 Minuten für kritische Grüne
Haßelmann und Sitte sind als Fraktionsgeschäftsführerinnen eine Art
Chefmanagerinnen der Opposition. Sie organisieren ihre Fraktionen und
strukturieren die internen Abläufe. Beide halten auch das offizielle
Verfahren neben dem Informations-GAU für fragwürdig. Denn nach dem Willen
der Koalition gibt es keine Zeit für eine tiefgehende Befassung. Dafür sind
die Termine zu dicht getaktet.
Am Dienstag dieser Woche erhielten die Fraktionen den offiziellen
Mandatstext. Am Mittwochmittag befasste sich bereits der Bundestag mit dem
Papier – in der sogenannten ersten Lesung. Die Debatte ist mit 77 Minuten
angesetzt, die Grünen bekommen gerade mal 10 Minuten Redezeit. 10 Minuten,
um ihre Bedenken zum Völkerrecht, zum fehlenden UN-Mandat und zur komplexen
Lage im Nahen Osten zu äußern.
Seit Mittwochnachmittag berät der zuständige Auswärtige Ausschuss und
erarbeitet bis Mitternacht eine Beschlussempfehlung. Am Freitag wiederum
werden die Abgeordneten den Einsatz endgültig beschließen – in zweiter und
dritter Lesung.
Selbst erfahrenen Parlamentariern ist kein Auslandseinsatz in Erinnerung,
der in einem solchen Tempo durchs Verfahren gedrückt wurde. Nun könnte man
sagen, dass man gerade über einen Krieg in Ruhe reden sollte. Aber die
Koalition sieht kein Problem. Der Zeitplan sei sicher ambitioniert, sagt
SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht. „Aber das Mandat liegt
auf dem Tisch, es ist überschaubar, und alle Fragen konnten geklärt
werden.“
## Bleibt die Frage: Warum so schnell?
Bleibt die Frage: Warum dieses Tempo? Haben vielleicht die Partner im Kampf
gegen den Terror Druck ausgeübt? Lambrecht betont, es habe bei der
Entscheidung keine Vorgabe gegeben. „Wir würden uns von niemandem ein
Zeitkorsett aufdrängen lassen.“ Sie sagt weiter: Die Koalition wolle ein
Zeichen setzen, dass sie der Bitte von Frankreich entspreche, im Kampf
gegen barbarisch vorgehende Terroristen zu helfen.
Die Grünen haben eine andere, bösere Vermutung. Die SPD veranstaltet
kommende Woche ihren Bundesparteitag. An der sozialdemokratischen Basis
gibt es viele Kriegsskeptiker. Es bleibe der Verdacht, sagt Haßelmann, dass
die Sache vor dem SPD-Parteitag vom Tisch muss. In diesem Fall wäre der
Verzicht auf Streit reine Parteitaktik.
Möglich wäre auch, dass die Regierung eine längere Debatte über den neuen
Bundeswehreinsatz in der Öffentlichkeit vermeiden möchte. Wenn das
Parlament längere Zeit über ein Thema streitet, gibt es viele Interviews,
viele Medienberichte, viel Aufmerksamkeit. Nach einem Beschluss aber kehrt
Ruhe ein. Schnelles Verfahren, kaum Diskussion.
So haben die Fraktionen zum Beispiel auch bei den Diätenerhöhungen 2014 ein
beschleunigtes Verfahren angewendet. Die Gehaltszuschläge wurden
bemerkenswert flott durch den Bundestag gebracht.
2 Dec 2015
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehrverband-kampf-gegen-den…
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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