# taz.de -- Debatte Syrien-Einsatz des Westens: Ohne Plan zur zynischen Lösung | |
> Der Westen agiert in Syrien ohne erkennbaren Plan. Am Ende könnte eine | |
> zynische Lösung stehen: Assad gewinnt Gebiete, der Westen Sicherheit. | |
Bild: Der IS gefährdet die Stabilität des Westens, Assad nicht | |
Der Guardian hat vor wenigen Tagen einige Syrer interviewt, die aus der | |
IS-Hochburg Rakka ins türkische Gaziantep fliehen konnten. Hier haben sie | |
ihr Café wiedereröffnet, der Chef, die Angestellten und die Speisekarte | |
sind die alten. Nur die Witze sind zynischer geworden: „Kann sich jemand | |
freuen, wenn Rakka nun von jedem bombardiert wird?“, fragt einer der Gäste. | |
Aus Sicherheitsgründen will er nur Abu Ahmed genannt werden – seine Söhne | |
leben noch in Syrien. „Jeder, der sich gerade über seine Frau zu Hause | |
ärgert, schickt nun seine Bomber los. Jordanien, die Emirate, die USA, | |
Russland, Frankreich.“ | |
Sie fürchten zivile Opfer der Luftangriffe in einer Stadt, in der sich der | |
IS in den Wohnhäusern verschanzt. Pazifisten sind sie nicht. Sie hoffen auf | |
eine Bodenoffensive, weil der IS anders nicht besiegt werden könne. Aber | |
wer soll sie ausführen? Die Kurden? Sie könnten die arabische Bevölkerung | |
Rakkas vertreiben, fürchten sie. Die Freie Syrische Armee? Zu schwach. | |
Schließlich, so argwöhnen sie, würden die Assad-Truppen Rakka | |
wiedererobern. | |
Das ist der syrische Pessimismus, genährt aus vier Jahren Bürgerkrieg, in | |
denen alles immer schlimmer wurde. taz-Auslandsressortleiter Dominic | |
Johnson [1][sieht die Lage positiver]. Wenige Kilometer vor Rakka haben | |
sich kurdische Verbände und ihre Alliierten eingegraben. Im Verein mit | |
Luftangriffen des Westens könnten diese Rakka vom IS befreien – und so | |
bessere Optionen bei den Verhandlungen mit Assad und Russland über die | |
Zukunft des Landes ermöglichen. Der Sturm von Kurden und ihren Verbündeten | |
auf Rakka wäre wohl eine Lösung des kleinsten Übels, wenn man die Meinung | |
teilt, dass man den IS militärisch bekämpfen muss und zugleich Assad nicht | |
für seine Fassbomben belohnt werden darf. | |
Aber hat der Westen eine Strategie? Man darf skeptisch sein, betrachtet man | |
die Historie seiner Interventionen. Im Kosovokrieg hoffte die Nato auf ein | |
Einlenken Jugoslawiens nach wenigen Tagen Bombardement. Als das nicht | |
eintraf, bombardierte sie auch Infrastrukturziele wie Brücken und | |
innerstädtische Gebäude, Zivilisten starben. Als der Nato präzisere Waffen | |
wie Cruise Missiles ausgingen, kamen Streubomben zum Einsatz. In | |
Afghanistan verbündete sich der Westen mit Warlords, um möglichst wenige | |
eigene Soldaten einsetzen zu müssen. Schließlich zog der Großteil der | |
Truppen ab, die Taliban gewinnen wieder an Land. | |
## Immer wieder Pathos | |
Im Irak waren die USA so sicher, als umjubelte Befreier dazustehen, dass | |
sie glaubten, Armee und Baath-Partei auflösen zu können. Auf den dann | |
beginnenden Guerillakrieg waren sie unvorbereitet. Als er befriedet schien, | |
zogen die USA ab, obwohl die schiitische Regierung den sunnitischen | |
Bevölkerungsteil ausgrenzte. | |
Großes Pathos, verbunden mit naiven Strategien, taktischen | |
Fehleinschätzungen und der fehlenden Bereitschaft, Einsätze, wenn sie schon | |
begonnen werden, auch ausreichend lange durchzuhalten: Das sind die | |
Charakteristika der wichtigen Interventionen des Westens seit dem | |
Kosovokrieg. Deutet etwas darauf hin, dass es diesmal anders sein wird? | |
Nicht viel. Nach dem Beginn des Aufstands gegen Assad rechnete auch die | |
Bundesregierung zunächst mit seinem Sturz innerhalb weniger Monate. Das | |
russische Eingreifen hatte niemand auf dem Schirm, offenbar ebenso wenig | |
die Möglichkeit, dass der IS auch im Westen wie in Paris angreifen würde. | |
Dabei war doch der failed state Afghanistan vor 9/11 eine perfekte | |
Blaupause für das IS-Gebiet und Paris. Die Bundesregierung hielt ein | |
militärisches Eingreifen in Syrien noch 2014 trotz Kobani und | |
Jesiden-Verfolgung nicht für nötig. Nun nach Paris die Kehrtwende. „Warum | |
war im Westen niemand bewegt, als uns das Assad-Regime angegriffen hat?“, | |
fragt im Guardian Mona, eine Lehrerin. „Warum ist der Einsatz nur eine | |
Antwort auf den IS? Nur weil der Terror im Westen zugeschlagen hat?“ | |
Der Westen, auch die Bundesregierung, konnte mit den 250.000 | |
Bürgerkriegstoten in Syrien leben, nicht aber mit den 130 Toten von Paris. | |
Die Toten vom Bataclan waren unsere Toten, die von Aleppo und Rakka nicht. | |
Vor allem aber gefährdet der IS die Stabilität des Westens, Assad nicht. | |
## Assad ist berechenbar | |
Und deshalb bleibt die Frage, ob eine zynische Lösung nicht ebenso | |
wahrscheinlich ist wie eine, die die Interessen der oppositionellen, | |
prowestlichen Syrer befriedigt. David Cameron spricht zwar von 70.000 | |
„moderaten Kämpfern“ als Verbündete in Syrien, Ursula von der Leyen in | |
ihrem in der Bild veröffentlichten 6-Punkte-Plan von „gemäßigten Stämmen … | |
Irak und in Syrien“, mit denen man zusammenarbeiten müsse. Aber beide | |
dürften wissen, dass Gruppen, die man in der Vergangenheit aus | |
kurzfristigen Erwägungen heraus missachtet hat, beim nächsten Kurswechsel | |
nicht wieder ohne Weiteres zur Verfügung stehen: Die „Freie Syrische Armee“ | |
etwa leidet nach vier Jahren Bürgerkrieg nicht nur unter fehlender | |
Bewaffnung und internen Spaltungen. Sie arbeitet auch mit islamistischen | |
Milizen zusammen, die zwar weniger radikal als IS und al-Nusra sind, aber | |
von denen niemand weiß, wohin sie sich entwickeln. Bei Assad weiß der | |
Westen, woran er ist. | |
Die zynische Lösung geht daher so: Die russische Luftwaffe bombardiert die | |
Gebiete der „gemäßigten Rebellen“. So nach Berichten von syrischen | |
Aktivisten in den letzten Tagen rund um Asas in der Nähe der türkischen | |
Grenze, wo anschließend der IS vorrückte. Der Westen bombardiert die | |
IS-Gebiete. Die Assad-Truppen rücken zumindest in Teile vor, unterstützt | |
von Hisbollah, Iranern und russischer Artillerie. In die anschließenden | |
Friedensverhandlungen gehen die „gemäßigten Rebellen“ zumindest geschwäc… | |
wenn nicht besiegt. Die Kurden erhalten im besten Fall eine regionale | |
Autonomie. Der Westen hat wieder mehr Sicherheit, die Russen internationale | |
Anerkennung, Assad bleibt an der Macht. | |
Dieses Szenario kann niemand ausschließen, solange sich westliche | |
Regierungen weigern zu sagen, mit wem sie am Boden ihre Ziele erreichen | |
wollen. Abu Ahmed sollte sich auf eine Zukunft in Gaziantep einrichten – | |
oder nach Deutschland weiter fliehen. | |
4 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-Kampf-gegen-IS/!5252565 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Baschar al-Assad | |
Russland | |
Polizei | |
Schwerpunkt Syrien | |
USA | |
Studierende | |
Schwerpunkt Syrien | |
Europa | |
Bundestag | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kampf gegen Rebellen in Syrien: Ein Tod mit politischen Folgen | |
Oppositionelle sehen den Angriff auf den Chef der „Armee des Islam“ als | |
Torpedierung der Verhandlungen. Sie sprechen von einem „Vernichtungskrieg“. | |
Festnahmen in Frankreich: Erneut Anschlag vereitelt | |
Die französische Polizei habe neue Attacken verhindern können. | |
Innenminister Cazeneuve gibt das kurz vor der umstrittenen Regelung zum | |
Ausnahmezustand bekannt. | |
Verteidigungsministerin zu Afghanistan: Wir. bleiben. hier. | |
Ursula von der Leyen räumt Fehler beim Einsatz in dem Land ein. Die Armee | |
habe sich zu schnell zurückgezogen. Die Lehren würden auch auf Syrien | |
angewendet. | |
Rede von US-Präsident Obama: We will overcome | |
Barack Obama versucht seinen Landsleuten Mut zu machen. Er versichert, dass | |
es keine US-Bodentruppen in Syrien geben wird. | |
Kritik am Bundestagsbeschluss: Studierende gegen Syrien-Einsatz | |
Studierende der Friedens- und Konfliktforschung wenden sich gegen den | |
Syrien-Einsatz. Es gebe zu viele Interessen in der Region. | |
Essay Syrien-Einsatz: Weniger Bomben, nicht mehr | |
Der Militäreinsatz in Syrien hilft dem IS, aber nicht den Zivilisten. | |
Bomben- und Flugverbotsverbotszonen sind nötig. | |
Debatte Intervention in Syrien: Die Hölle der Bilder | |
Europa inszeniert sich als Streitmacht gegen den IS – und begibt sich damit | |
in eine Falle. Der Krieg in den Köpfen lässt sich militärisch nicht | |
gewinnen. | |
Kommentar Bundeswehr nach Syrien: Zack, zack, zum Krieg | |
Der Syrien-Einsatz wird in drei Tagen durchs Parlament gepeitscht – eine | |
Frechheit. Die Regierung degradiert den Bundestag zum Erfüllungsgehilfen. | |
Debatte Kampf gegen IS: Worum es in Syrien geht | |
Militärische Interventionen sind kein Selbstzweck, sie sind ein Mittel. | |
Deshalb müssen die Ziele eines Einsatzes genau definiert werden. | |
Kommentar Militäreinsatz in Syrien: Das Erbe der Feindschaft | |
Uneinigkeit zwischen Deutschland und Frankreich würde die ohnehin schon | |
zerstrittene EU schwächen. Und die uralte Erbfeindschaft stärken. | |
Debatte Bundeswehreinsatz in Syrien: Nicht ohne die UNO | |
Die Beteiligung der Bundeswehr an Luftschlägen gegen den IS wird falsch | |
begründet. Teil einer Lösung kann dieser Einsatz auch nicht sein. |