Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Essay Syrien-Einsatz: Weniger Bomben, nicht mehr
> Der Militäreinsatz in Syrien hilft dem IS, aber nicht den Zivilisten.
> Bomben- und Flugverbotsverbotszonen sind nötig.
Bild: Ein britischer Tornado startet in King‘s Lynn
Endlich ist er da, der Syrien-Einsatz! Seit Jahren fordern syrische
Aktivisten mehr Einsatz für Syrien, jetzt wacht auch Deutschland auf und
will sich engagieren. Doch stopp. Moment mal. Da liegt ein Missverständnis
vor. Die Syrer wollen WENIGER Bomben, nicht MEHR. Warum hört denn keiner
richtig zu?
Wahrscheinlich weil der Syrien-Einsatz in Wahrheit kein Einsatz für Syrien
ist, sondern eine politische Geste. Nach dem Terror von Paris hat
Bündnispartner Frankreich um Hilfe gebeten, und um das klapprige Europa
nicht noch mehr ins Wanken zu bringen, eilen wir Deutsche herbei. Ohne zu
fragen, was den Menschen in Syrien eigentlich helfen würde, beschließen wir
aktionistisch einen Militäreinsatz, von dem wir genau wissen, dass er
nichts bringt. Denn veraltete Tornados aus den Zeiten des Kalten Kriegs
sind bei einem asymmetrischen Kampf gegen nichtstaatliche Terrorgruppen
kaum zu gebrauchen.
Der bevorstehende Einsatz ist nicht nur sinnlos, sondern auch
kontraproduktiv. Angesichts unserer Kriegsrhetorik fühlt sich der selbst
ernannte „Islamische Staat“ (IS) in seinem Kampf gegen den gottlosen Rest
der Welt ernst genommen, jede Supermacht mehr lässt ihn gefährlicher,
unbesiegbarer und attraktiver erscheinen. Dass sich Deutschland mit der
mächtigsten Frau der Welt an der Spitze – jener Angela Merkel, die dem IS
mit ihren Flüchtlings-Selfies die Syrer weglockt – anschließt, kommt dem IS
sehr gelegen. Schließlich will er die Menschen davon überzeugen, dass nicht
Angie die Syrer beschützt, sondern IS-Kalif Abu Bakr al-Baghdadi. Statt in
das freie, demokratische und rechtsstaatliche Deutschland sollen sie in die
Heimstatt eines pervertierten Islam fliehen.
In freudiger Erregung wartet der IS auf die Invasoren aus dem Westen. Er
weiß, dass ihm in Syrien jede Bombe mehr Anhänger verschafft. Denn seit
Jahren rekrutiert Präsident Baschar al- Assad den Dschihadisten zuverlässig
Kämpfer, indem er sämtliche von der Opposition kontrollierten Gebiete aus
der Luft angreift und dabei jeden Tag etwa 35 Zivilisten tötet, darunter 5
bis 10 Kinder.
## Waffenlager in Wohngebieten
Nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) zielten
Assads Raketen allein im Oktober auf 14 medizinische Einrichtungen, sechs
Marktplätze und zehn Schulen, 1.438 Fassbomben fielen willkürlich auf
Wohngebiete. Ungestraft und kaum beachtet überzieht Assad das Land mit
einem Terror, der die Menschen entweder in die Flucht oder in die Arme des
IS treibt. Je nachdem, was überwiegt – die Verzweiflung oder die Wut über
die Ignoranz der Welt, die Gott zum einzigen Beistand macht und den IS als
letzten Ausweg erscheinen lässt.
Jetzt also noch mehr Bomben. Zwar sind die Raketen der Amerikaner und
Franzosen präziser und richten sich gegen militärische Ziele des IS, aber
davon gibt es nicht viele. Längst fahren die IS-Kämpfer nicht mehr in
Geländewagen-Kolonnen durch die Wüste. Ihre Waffenschmieden und
Munitionslager haben sie in Wohngebieten versteckt. Der Tod von Zivilisten
ist deshalb unvermeidbar – erst recht, wenn der Luftkrieg ohne Verbündete
am Boden stattfindet und Raketenangriffe nicht mit Kämpfern vor Ort
abgesprochen sind. Selbst bei der Zerstörung von Tanklastern, Raffinerien
oder Ölfeldern im IS-Gebiet trifft es oft die Falschen. Denn dort arbeiten
Syrer, die sich mit dem IS arrangiert haben, um zu überleben, und keine
überzeugten Dschihadisten.
Im Vergleich zu Assads Massenmord und den Opferzahlen der russischen
Bombardements erscheinen die Toten der Anti-IS-Koalition freilich gering.
Laut SNHR, auf dessen Dokumentation auch die Vereinten Nationen
zurückgreifen, hat das syrische Regime in diesem Jahr bis einschließlich
November 11.371 Zivilisten getötet, der IS 1.382 und die US-geführte
Allianz 160. Durch russische Luftangriffe starben im Oktober und November
522 syrische Zivilisten, während die USA und Frankreich im gleichen
Zeitraum für den Tod von 14 Menschen verantwortlich sind.
Um nicht missverstanden zu werden: Jeder einzelne getötete Unschuldige ist
einer zu viel, aber das gilt eben nicht nur für die Opfer von Paris,
sondern auch für Syrer. Deshalb ist das einzige militärische Engagement,
das in Syrien Sinn ergibt, der Schutz von Zivilisten. Seit Jahren fordern
zivilgesellschaftliche Gruppen genau das – Flugverbotszonen oder
Schutzzonen, in denen die Menschen sicher wären vor den Luftangriffen des
Regimes und in denen Oppositionelle eine alternative Ordnung aufbauen
könnten.
## Schutzzonen sind nötig
Die russische Intervention hat diese Überlegungen gezielt torpediert. Putin
sichert Assads Überleben, indem er Kampfjets gegen Rebellen im Nordwesten
und in Zentralsyrien schickt und sie von einer hochmodernen russischen
Flugabwehr schützen lässt. Genau dort müsste eine Flugverbotszone greifen,
die normalerweise mit der Ausschaltung der feindlichen Flugabwehr beginnt –
eine offene Konfrontation mit Russland wäre vorprogrammiert.
Auch für Schutzzonen fehlt die Bereitschaft, werden sie doch in der Regel
von Bodentruppen durchgesetzt, die vor Ort Sicherheit garantieren. Zwar
sieht der in den Verhandlungen von Wien beschlossene Fahrplan eine
UN-Einsatztruppe vor, die den geforderten Waffenstillstand in Syrien
überwachen soll, aber noch deutet nichts auf eine baldige Blauhelmmission
hin.
Bleibt eine dritte, sehr einfache Möglichkeit, um Zivilisten zu schützen:
eine „No-Bombing-Zone“ oder Bombenverbotszone. Der Westen einigt sich mit
Russland auf die gemeinsam zu bekämpfenden Terrorziele des IS und verhängt
über den Rest des Landes ein Luftangriffsverbot. Das bedeutet: dort, wo der
IS nicht ist, darf zwar geflogen, aber nicht bombardiert werden. Wer sich
nicht daran hält, wird militärisch abgestraft, und zwar nicht durch
Kampfjets (die ins Visier der syrischen oder russischen Luftabwehr geraten
könnten), sondern von Kriegsschiffen im Mittelmeer aus.
Sollte Assad also weiterhin Helikopter mit Fassbomben nach Aleppo schicken,
würden diese abgeschossen, wahlweise könnte der Militärflughafen
angegriffen werden, von dem aus sie gestartet sind. Ziel ist es, jeden
Luftangriff auf Zivilisten spürbar zu sanktionieren, damit diese
ausbleiben. Nicht mehr und nicht weniger. Eine solche Strategie der
militärischen Nadelstiche würde viererlei bewirken.
## Druck erhöhen
Erstens wären die Menschen in den verwüsteten Provinzen Idlib, Latakia,
Aleppo, Hama, Homs, den Vororten von Damaskus und Daraa besser geschützt
und müssten nicht mehr fliehen.
Zweitens bliebe eine militärische Konfrontation mit Russland aus, da es
sich in Absprache mit Franzosen und Amerikanern auf den Anti-IS-Kampf
konzentrieren würde und seine Angriffe auf Märkte, Krankenhäuser und
Brotfabriken nicht mehr rechtfertigen könnte. Eine bessere Koordination
zwischen Russland und Frankreich ist auch bereits beschlossen – Paris
stellt Moskau eine Karte zur Verfügung, die eindeutig die Gebiete des IS
und die Stellungen anderer verbündeter Rebellengruppen ausweist. Putin muss
sich folglich entscheiden, ob er sich der internationalen
Anti-Terror-Koalition anschließen oder weiterhin Assad retten will.
Drittens käme Assad unter wachsenden Druck und sähe sich gezwungen,
politisch zu verhandeln und einer schrittweisen Machtübergabe zuzustimmen.
Dadurch könnten sich viertens syrische Rebellengruppen mehr und mehr auf
den Kampf gegen den IS konzentrieren und neben den Kurden als dringend
benötigte Bodentruppen mit der internationalen Anti-IS-Koalition
zusammenarbeiten.
Erst wenn wir mithelfen, den Krieg in Syrien, mindestens aber den Luftkrieg
Assads, zu beenden, können wir mit den Syrern als Partner im Kampf gegen
den IS rechnen. Und erst dann sind amerikanische und französische
Luftangriffe sinnvoll. Angesichts unserer Flüchtlingszahlen hat Deutschland
von allen internationalen Akteuren das größte Interesse an einem Schutz der
Syrer in ihrer Heimat. Doch statt mit Bombenverbotszonen Fluchtursachen zu
bekämpfen, schicken wir 1.200 BundeswehrsoldatInnen – ohne klares Ziel,
ohne Strategie, ohne Plan.
Wie die Syrer das finden? Zynisch. Zum Schutz von Zivilisten war ein
deutscher Militäreinsatz in Syrien jahrelang „undenkbar“, aber aus
Solidarität zu Frankreich stellen wir innerhalb von drei Wochen sechs
Tornados und eine Fregatte bereit. 134 Millionen Euro kostet das – anders
eingesetzt, könnten wir mit diesem Geld Hunderttausenden Syrern eine Flucht
nach Deutschland ersparen.
4 Dec 2015
## AUTOREN
Kristin Helberg
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Luftwaffe
Flugverbot
Flugverbotszone
Schwerpunkt Syrien
Bundeswehr
Schwerpunkt Syrien
USA
Schwerpunkt Syrien
Baschar al-Assad
Bundestag
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Flugverbotszone über Syrien: Moralische Empörung ohne Folgen
Ohne Kooperation mit der Regierung Putin ist eine Flugverbotszone nicht
durchsetzbar. Die USA und Russland müssen zusammenarbeiten.
Dschihadisten in syrischer Hauptstadt: Vorerst kein Abzug aus Damaskus
Knapp 4000 Kämpfer und Zivilisten sollten die Stadt am Samstag verlassen.
Durch den Tod eines Rebellenführers ist die Umsetzung eines Abkommens ins
Stocken geraten.
Bundeswehreinsatz in Syrien: US-Bitte von Merkel abgelehnt
US-Verteidigungsminister Ashton Carter hat ein größeres militärisches
Engagement der Deutschen in Syrien gefordert. Kanzlerin Angela Merkel
möchte das nicht.
Prozessbeginn in Stuttgart: Ausrüstung nach Syrien gebracht
Deutsch-Libanesen sollen Ausrüstung an die Dschihadistengruppe Arhar
al-Scham geliefert haben. Nun wird ihnen der Prozess gemacht.
Rede von US-Präsident Obama: We will overcome
Barack Obama versucht seinen Landsleuten Mut zu machen. Er versichert, dass
es keine US-Bodentruppen in Syrien geben wird.
Deutschland und der Krieg in Syrien: Die Mitschuld des Westens
Die Mehrheit der Deutschen glaubt nicht an eine militärische Lösung. Auch
der Zentralrat der Muslime ist gegen den Bundeswehreinsatz in Syrien.
Anti-IS-Koalition der Franzosen: Fabius: Notfalls auch mit Assad
Im Syrien-Konflikt fordert der Westen den Rücktritt von Machthaber Assad.
Russland und Iran wollen ihn halten. Nun nähert sich Frankreich der
Moskauer Position.
Syrieneinsatz beschlossen: Schlachtfeld Bundestag
Mit den Stimmen von SPD und Union hat der Bundestag den Bundeswehreinsatz
in Syrien beschlossen. Zuvor gab es heftige Kritik aus der Opposition.
Debatte Syrien-Einsatz des Westens: Ohne Plan zur zynischen Lösung
Der Westen agiert in Syrien ohne erkennbaren Plan. Am Ende könnte eine
zynische Lösung stehen: Assad gewinnt Gebiete, der Westen Sicherheit.
Frühere IS-Geisel gegen Einsatz in Syrien: „Luftangriffe sind eine Falle des…
Zehn Monate war Nicolas Hénin Geisel des „Islamischen Staats“. Nun warnt
er: Bombardierungen trieben die Bevölkerung nur in die Hände des IS.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.