# taz.de -- Debatte Intervention in Syrien: Die Hölle der Bilder | |
> Europa inszeniert sich als Streitmacht gegen den IS – und begibt sich | |
> damit in eine Falle. Der Krieg in den Köpfen lässt sich militärisch nicht | |
> gewinnen. | |
Bild: Auf seine Feldherrenrede hat Hollande die Erzählung des reisenden Strate… | |
Als der französische Filmpionier Abel Gance im Ersten Weltkrieg verletzt | |
worden war, kam er auf eine Idee: Er wollte zurück auf die Schlachtfelder, | |
er wollte Bilder aufnehmen und sie in einem Film gegen das Gemetzel | |
verwenden. „J’accuse“ heißt der Film aus dem Jahr 1919, der dokumentaris… | |
und fiktive Szenen miteinander verband. Es wurde ein Erfolg, und Abel Gance | |
prägte einen Satz, an den wir uns heute erinnern sollten: „Ihr, die ihr | |
eintretet in die Hölle der Bilder, lasset alle Hoffnung fahren!“ | |
In dem Satz steckt die Erkenntnis, dass Krieg nicht nur eine Sache | |
erbeuteten Geldes, eroberter Länder und zerstörter Leben ist. Er entfaltet | |
seine Wirkung über Bilder, Worte, Erzählungen. | |
So war es auch nach den Anschlägen in Paris am 13. November, deren | |
Schrecken live im Fernsehen gezeigt wurde. Schon kurz darauf trat Präsident | |
François Hollande in den Krieg mit Worten ein. „Frankreich befindet sich im | |
Krieg“, stellte er fest. Nur sein Vorgänger Nicolas Sarkozy übertraf ihn, | |
als er zum „totalen Krieg“ aufrief. | |
Auf seine Feldherrenrede hat Hollande die Erzählung des reisenden Strategen | |
aufgebaut, der unermüdlich Verbündete sammelt. Er beginnt damit einen | |
Waffengang der Wahrnehmung, der Fehler besteht jedoch darin, dass ihn der | |
Westen am Ende militärisch nicht gewinnen kann. | |
## Just do it – Just Terror | |
Nie ging es im Krieg nur um Land, Geld oder Leben. Propagandafilme dienen | |
dem Geländegewinn in den Köpfen. Sie laufen auch nach Kriegsende, wenn der | |
Erfolg manifestiert werden soll. Die Berliner Siegessäule, der Pariser Arc | |
de Triomphe – sie zeugen von der sehr alten Logik: Wer vom Sieg nicht | |
redet, hat nicht gewonnen. | |
In Dabiq, der Zeitschrift des IS, zeigen sich die Dschihadisten mit | |
Sturmgewehren. Sie werden dort gern als „Ritter“ gefeiert. Die neueste | |
Ausgabe zeigt auf dem Cover ein Opfer und Rettungskräfte nach den | |
Anschlägen von Paris: „Just Terror“, lautet die Titelzeile, geschrieben in | |
der Typografie der Nike-Werbung: „Just do it“. | |
Die Gegeninszenierung sind die Rafale-Jets, die – das Meer glitzert golden | |
– in den Himmel aufsteigen. Sie wirken ganz anders als die Hölle der | |
Bilder, die einst Abel Gance in seinem Film vom Ersten Weltkrieg zeigte: | |
Das Leid, das mithilfe von Kampfflugzeugen verursacht wird, kann man nur | |
ableiten. Der unmittelbare Eindruck ist: Macht. | |
Zur Erzählung der Macht gehört es auch, nicht allein anzutreten. Da hilft | |
der rastlose Präsident, der von Hauptstadt zu Hauptstadt reist, um seine | |
Allianz zu schmieden. Nach innen will er auf das erschütterte französische | |
Volk wirken. Nach außen zielt Hollande auf die Stellung Frankreichs in | |
Europa. Er profiliert sein Land als Führungsmacht, auch gegen die Briten | |
auf ihrer euroskeptischen Insel, und ruft – erstmals in der Geschichte der | |
EU – den europäischen Bündnisfall aus. | |
Und hier kommt nun Deutschland ins Spiel, hier wird Angela Merkel dieses | |
Wort angetragen, das sie nach den Anschlägen von Paris mied. Jetzt zieht | |
auch Deutschland in den Krieg, und in der Erzählung dazu soll es auch | |
deutsche Bilder geben: Eine Fregatte wird auslaufen, ein Tankflugzeug | |
starten, Tornados werden aufsteigen. | |
Die Argumente für diesen Einsatz stellen auf die Bilder ab, auf Symbolik, | |
auf eine Erzählung. Deutschland solle sich wehrhaft zeigen, das schreiben | |
einflussreiche Kommentatoren immer wieder. Berthold Kohler, jener | |
Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der nach den Anschlägen | |
von Paris Deutschland ein hartes Gesicht verordnete, verlangt von der | |
Bundesregierung, den „Kraken ins Jenseits“ zu befördern: nicht wegducken. | |
Treffer auf seinem Kopf landen. Mit massierter Militärmacht. Mit aller | |
Macht. Marsch. | |
Der Krieg als symbolischer Akt – er soll auch der Politik zum Erfolg | |
verhelfen. Den Frieden in Syrien soll er bringen. Und den Zusammenhalt der | |
EU befördern. Denn wenn Deutschland nicht zu Frankreich steht, so geht ein | |
weiteres Argument, dann wackelt die ganze Union. Also Solidarität. | |
Geschlossenheit. Einheit. Marsch. | |
Es ist traurig: Im Krieg der Bilder wollen Hollande und seine Verbündeten | |
alles richtig machen. Aber sie machen alles falsch. Denn leider kann der | |
Westen durch den Krieg, der auch ein Krieg der Erzählungen ist, keinen Sieg | |
erreichen. | |
Das liegt an der Struktur, die die Dschihadisten von al-Qaida bis IS ihrer | |
Erzählung gegeben haben. Sie erklären sich zu den einzig wahren Gläubigen, | |
die mit den Ungläubigen um die Vorherrschaft ringen, zu Herausforderern, | |
die alles zu gewinnen haben und nichts zu verlieren – nicht einmal ihr | |
Leben. Die militärische Asymmetrie ist Teil der Erzählung. Dschihadisten | |
profitieren davon, wenn sie gegen eine möglichst große Allianz antreten. | |
Und je mächtiger der Gegner, umso glorreicher der Überraschungserfolg. | |
## Jede Wunde stärkt den Dschihad | |
Materielle militärische Siege können dieser Geschichte kaum etwas anhaben. | |
Jede westliche Militärintervention im Nahen Osten und in Afghanistan hat | |
dem Dschihad mehr Zulauf beschert, als er das aus eigener Kraft vermutlich | |
je geschafft hätte. Mit jeder weiteren Wunde des Favoriten hat der | |
Herausforderer mehr Fans. | |
Es ist die Falle, in die sich George W. Bush begab. Es ist die Falle, in | |
die Hollande nun Europa hineininszeniert: Je größer seine Übermacht | |
daherkommt, desto stärker wirkt jeder Erfolg gegen sie. Die Bomber der USA, | |
der eigentlichen Führungsnation im Krieg gegen den IS, muten gegen | |
Hollandes Aufmarsch beinahe stoisch an. | |
Neben dem Krieg in der Wahrnehmung ist der materielle Krieg natürlich sehr | |
real. In ihm werden wie immer nicht nur die erklärten Ziele getroffen. Es | |
werden Zivilisten sterben, das ist die wahre Hölle. | |
Sie sind es auch, die in der Erzählung des islamistischen Terrors zu | |
Märtyrern werden, mit deren Hilfe er um weitere Anhänger wirbt. Der IS kann | |
seine Kämpfer ungeachtet möglicher kurzfristiger Erfolge ausländischer | |
Streitkräfte als „Armee der Unbesiegbaren“ verkaufen. Ein Anschlag würde | |
reichen, nur ein paar Gewehre sind dafür nötig. Ein Gegenbild gegen die | |
Überlegenheit moderner Waffensysteme lässt sich jederzeit schaffen. | |
Gelingt es nicht, den Krieg in den Köpfen zu gewinnen – auch bei denen, die | |
durchaus Gründe haben, sich entrechtet zu fühlen –, dann ginge sie immer | |
weiter, die Hölle der Bilder. | |
3 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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