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# taz.de -- Fotoausstellungen über Afghanistan: Ein Gefühl der Hoffnung
> Strenge Porträts von Straßenkindern und Aufnahmen von Skateboard
> fahrenden Mädchen: Zwei Berliner Ausstellungen zeigen aktuelles Leben in
> Afghanistan.
Bild: Hier steigen auch Mädchen auf‘s Brett: Skatepark in Afghanistan.
Im Hinterhof, zwischen Schutt und Geröll, schweben bunte Luftballons. Das
Helium treibt sie in die Luft. Ein Stein am Boden sorgt dafür, dass das
Bündel Ballons nicht wegfliegt. Der Hinterhof ist durch die Fenster der
Galerie I am Space zu sehen. Die Luftballons können die BesucherInnen auch
in den Räumen der Galerie wiederentdecken, auf den Fotografien von Rada
Akbar. Die afghanische Künstlerin porträtiert Straßenkinder, die arbeiten,
um ihrer Familie zu helfen. Fast immer setzt Akbar die Kinder vor schwarzen
Hintergrund, damit nichts vom Ausdruck der Gesichter ablenkt. Ein Mädchen
sammelt Müll, ein Junge putzt Schuhe, ein anderer verkauft Luftballons. Die
Blicke der Kinder sind ernst.
Ausgestellt sind Akbars Fotografien im Rahmen der Afghanischen Kulturwoche,
einer Initiative des Auswärtigen Amts, mit der die „hundertjährige
Freundschaft“ zwischen Deutschland und Afghanistan und die Aufnahme
bilateraler Beziehungen 1915 gefeiert werden. Präsentiert wurden dabei ein
Filmfestival, Konzerte, ein Symposium – und zwei Fotoausstellungen, die
beide noch bis 19. Dezember zu sehen sind.
Alle Fotografien zeigen schonungslos den Schrecken und die Zerrissenheit,
die in Afghanistan herrschen. Dennoch siegt ein Gefühl der Hoffnung. Diese
Zuversicht, die in den Bildern zu spüren ist, setzt sich gegen die Motive
von Terror, Unterdrückung und Elend durch. Durch diesen Optimismus gewinnen
die Bilder eine beeindruckende Stärke.
Die Ausstellung in der Galerie I am Space zeigt neben den Arbeiten von Rada
Akbar die Fotografien von drei weiteren afghanischen KünstlerInnen. Ihren
Titel, „I see you“, verdankt sie der gleichnamigen Kampagne des
StreetArt-Künstlers Kabir Mokamel. So ist auch in der Schau das riesige
Augenpaar zu sehen, das die Fußgänger in Kabul von Betonmauern aus
anstarrt. Mokamel schrieb dazu an die Wand: „Ich sehe dich. Korrruption
bleibt Gott und den Augen des Volkes nicht verborgen“. An einer anderen
Stelle malte Mokamel die Augen und Brille des Friedenskämpfers Mahatma
Gandhi. Daneben das Zitat: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse,
aber nicht für jedermanns Gier“. Die Graffiti sind nicht im Sinne von
Orwells „Big Brother“ zu verstehen. Der Blick der Augen ist intensiv, aber
sie scheinen nicht nur zu mahnen, sondern auch zu bitten. Die Wandmalereien
sollen anklagen und gleichzeitig dazu aufrufen, zusammenzuhalten und sich
zu vertrauen.
Auch die von Farzana Wahidy fotografierten Frauen hoffen auf eine bessere
Zukunft. Wahidy ist die erste afghanische Fotojournalistin, die für eine
internationale Presseagentur arbeitet. Fotografie bedeutet für sie Freiheit
und eine Sprache, die jeder Mensch auf der Welt verstehen kann. Mit ihren
Aufnahmen will sie die verschiedenen Seiten des Lebens afghanischer Frauen
beleuchten. Sie fotografiert sie in Alltagssituationen, zum Beispiel beim
Geschirrabwaschen. In anderen Bildern erzählt sie schockierende
Geschichten. Eines prägt sich besonders ein: der nackte Oberkörper einer
Frau, deren Haut sich zu einem Netz aus Narben spannt. Sie hat versucht,
sich selbst zu verbrennen. Auf ihrer Website schreibt Wahidy, dass es viele
Fälle von Selbstverbrennungen bei afghanischen Frauen gebe. Einige Frauen
nähmen die Selbstopferung als den einzigen Weg wahr, um Armut und
häuslicher Gewalt zu entfliehen.
Der prominenteste Fotograf, dessen Bilder bei der Afghanischen Kulturwoche
zu sehen sind, ist Massoud Hossaini. Im Jahr 2012 erhielt er als erster
Afghane den Pulitzerpreis für ein erschütterndes Bild: Ein schreiendes
Mädchen steht nach einem Attentat inmitten von toten Körpern. Schade, dass
diese Aufnahme in der Schau nicht dabei ist. Hossaini fängt Bilder ein, die
aussehen wie Gemälde. In einer Fotografie sitzt eine Gruppe Frauen vor der
Kulisse schneebedeckter Berge und betet. In einer anderen steht ein Junge
in den Ruinen einer jüdischen Synagoge und schaut in die Ferne. Das
zerstörte Bauwerk in Herat wird mit Unterstützung des Deutschen Auswärtigen
Amtes restauriert.
In Afghanistan dürfen Mädchen nicht Fahrrad fahren. Was ihnen bleibt, ist
das Skaten. Im Gegensatz zu anderen Fortbewegungsmitteln befindet sich das
Skateboard für Mädchen in einer Grauzone: Es ist ihnen nicht ausdrücklich
verboten, damit zu fahren. So wurde Skateboarden zu einer der populärsten
Sportarten unter Mädchen in Afghanistan, was in der zweiten Ausstellung der
Afghanischen Kulturwoche zu sehen ist.
In der Galerie Pavlov’s dog finden sich die „Skate Girls of Kabul“,
Porträts von afghanischen Mädchen, die mit ihrem Skateboard posieren. Eine
Arbeit der britischen Fotografin Jessica Fulford-Dobson, die über einen
kleinen Zeitungsartikel von dem Projekt Skateistan erfuhr. Dabei wird das
Skateboardfahren auch genutzt, um Kindern und Jugendlichen Bildung näher zu
bringen. Gegründet hat die Organisation der australische Skater Oliver
Percovich 2007. Skateistan besitzt die beiden größten Indoor-Skateanlagen
Afghanistans und unterrichtet mehrere hundert Kinder im Alter von 5 bis 18
Jahren, darunter fast zur Hälfte Mädchen.
Fulford-Dobson erzählt, dass sie ihr Fotoprojekt im Juni 2013 wegen
Bombenanschlägen unterbrechen musste und erst 2014 zurückkehren konnte, um
es abzuschließen. Daraus entstanden ein Buch und die Ausstellung.
Triumphierend schauen die Mädchen in die Kamera. Sie tragen Burka, Helm und
Knieschoner. Manche stellen das Skateboard neben sich, andere stehen
darauf, eins umarmt es. Das Bild einer Sechsjährigen entzückt auf besondere
Weise: Sie ist kaum größer als das Skateboard, das sie vor sich hält. Stolz
lächelt sie einen an.
„I see you“: I am Space, Potsdamer Str. 81 c, Haus H
„Skate Girls of Kabul“: Pavlov‘s dog, Bergstr. 19. beide Ausstellungen bis
19. Dezember, Do. bis Sa. 16–20 Uhr. Eintritt frei
12 Dec 2015
## AUTOREN
Julika Bickel
## TAGS
Fotografie
Ausstellung
Schwerpunkt Afghanistan
Skateboard
Geschlechterrollen
Fotografie
Flüchtlinge
Europa
Schwerpunkt Afghanistan
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