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# taz.de -- Filme über mexikanische Drogenkartelle: Popkultur der Drogenbarone
> Hollywood hat ein neues Feindbild entdeckt. Ein Thriller und ein
> Dokumentarfilm erklären das Grenzland zu Mexiko zum Kriegsschauplatz.
Bild: Eine Szene aus Sicario: Hollywood führt jetzt Krieg gegen Drogenkartelle.
Wenn in einem John-Ford-Western die Kavallerie einreitet, sind die Bilder
mit einem strammen Marschrhythmus unterlegt. In Denis Villeneuves
Kartellthriller „Sicario“ wird der Aufmarsch der Kavallerie von einem
dröhnenden Bass begleitet. Die Soldaten ziehen allerdings nicht auf Pferden
in die Schlacht, ein Konvoi aus schwarzen SUVs steuert zügig auf die
mexikanische Grenze zu.
Ohne das Tempo zu drosseln, passieren sie die Kontrollen. Auf der anderen
Seite werden sie von der mexikanischen Militärpolizei in Empfang genommen
und durch die Straßen von Ciudad Juárez zum Gerichtsgebäude eskortiert.
Mustergültig ist die Sequenz inszeniert, aus der Luft gefilmt von
Kameramann Roger Deakins, ohne einen Schnitt zu viel.
Den Auftrag dieser illustren Sondereinheit aus black ops, lokaler Polizei,
CIA, Marines und US-Marshalls beschreibt der undurchsichtige CIA-Agent Matt
(Josh Brolin) Kate Macer (Emily Blunt) lakonisch mit „to dramatically
overreact“. Die Polizistin hat sich freiwillig für das Einsatzkommando
gemeldet, das – wie sich schnell herausstellt – einen mexikanischen
Drogenboss heimlich in die USA überführen soll.
Ihre Zweifel an der Legalität des Einsatzes bestätigen sich an der Grenze,
wo der Konvoi auf dem Rückweg in ein Feuergefecht verwickelt wird. Die
Schießerei ist mit derselben Präzision gefilmt, mir der die Soldaten auf
der menschenüberfüllten Brücke die schwerbewaffneten Angreifer ausschalten.
## „Braking Bad“ und „Narcos“
In der Inszenierung von „Sicario“ kommt ein Hegemonialanspruch zum
Ausdruck, der seit einigen Jahren auch in den Hollywoodproduktionen über
den mexikanischen Drogenhandel zu beobachten ist. Villeneuve hat das
Grenzland zum Kriegsschauplatz erklärt. Inspiriert von den drastischen
Berichten in den US-Medien über die eskalierende Gewalt der Kartelle, hat
Hollywood nach islamistischen Gotteskriegern ein neues Feindbild für sich
entdeckt.
Oliver Stones „Savages“, Michael Manns „Miami Vice“-Remake und Ridley
Scotts „The Counselor“ mit ihren apologetisch in Szene gesetzten
Gewaltbildern – im Fernsehen kommen noch die Serien „Breaking Bad“ und
aktuell „Narcos“ über Pablo Escobar dazu – formieren eine neue Welle von
„Narco“-Erzählungen, die nur noch wenig mit Steven Soderberghs „Traffic�…
(2000) gemein haben.
„Traffic“ war der gut gemeinte Versuch, ein komplexes Bild vom
Drogenverkehr zwischen den USA und Mexiko zu zeichnen. 15 Jahre später
bedient sich „Sicario“ der Stilmittel des modernen Kriegsfilms: vom
wiederkehrenden Motiv der Luftbilder, einer Mischung aus Dronenüberwachung
und embedded photography, bis zum Score von Jóhann Jóhannsson, der die
Panoramabilder von Ciudad Juárez – gefilmt aus einem Kampfhubschrauber –
mit dissonanten Streicher-Arrangements und bedrohlich wummernden Drone
Sounds unterlegt.
Der militarisierte Grenzzaun ist das visuelle Signal: Der Score markiert
den Übergang zwischen law and order und cartel land. „Das passiert, wenn
man einem Huhn den Kopf abschlägt“, erklärt ein Soldat bei einer
Feierabendzigarette die Taktik der US-Regierung. Auf der anderen Seite des
Grenzzauns erhellen Explosionen und das Mündungsfeuer automatischer Waffen
in den Straßen von Ciudad Juárez die Nacht.
## Rechte Verschwörungstheorien
„Cartel Land“ ist auch der Titel eines Dokumentarfilm des amerikanischen
Journalisten Matthew Heineman, der übernächste Woche in den deutschen Kinos
anläuft. Heineman liefert gewissermaßen die Gegenerzählung zu „Sicario“.
Seine Reportage bezieht eine Position im Narco-Narrativ, die in den
aktuellen Hollywoodproduktionen meist zu kurz kommt. In „Cartel Land“
begleitete Heineman auf beiden Seiten der Grenze paramilitärische Gruppen
bei Einsätzen gegen die mexikanischen Kartelle.
In Arizona hat der frühere Junkie Tim „Nailer“ Foley ein paar Rednecks und
Wehrsportfanatiker zu einer schlagkräftigen Militia versammelt, die auf
eigene Faust im Grenzgebiet patrouilliert. Foleys Aussagen unterscheiden
sich dabei kaum von den Hirngespinsten rechter Verschwörungstheoretiker und
stellen so eine eher marginale Sicht auf die US-amerikanische
Einwanderungs-/Drogenpolitik dar.
Aufschlussreicher ist der Teil über die Autodefensas im mexikanischen
Bundesstaat Michoacán, der seit 2006 vom Tempelritter-Kartell kontrolliert
wird. Hauptfigur ist der Arzt José Mireles, der Anführer einer
Bürgerbewegung, die sich als Reaktion auf die Massenhinrichtungen unter der
Zivilbevölkerung formiert hat. Heldenfolklore pflegt Heineman allerdings
nicht, denn auch die Autodefensas haben mit Legitimationsproblemen zu
kämpfen.
## Politik und Rhetorik
Die anfängliche Euphorie über die Erfolge der Bürgerwehr schlägt bald in
Kritik um. Ehemalige Kartellmitglieder unterwandern die Bewegung,
schließlich wird den gut ausgerüsteten Autodefensas sowohl von Seiten der
Bevölkerung als auch der Regierung das Mandat abgesprochen.
Interessant an beiden Filmen ist, wie die politischen Ansichten der
Regisseure die Rhetorik ihrer Filme konterkarieren. Während Villeneuve in
Interviews vom „Phantama“ der USA spricht, die „Probleme in anderen Länd…
mit Gewalt lösen zu können“, sein Film aber – trotz skeptischer Hauptfigur
– eine Überlegenheit dieser Strategie im Sinne einer
Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Pragmatik andeutet, lassen Heineman und seine
Produzentin Kathryn Bigelow durchblicken, dass sie drastische Maßnahmen der
US-Regierung für durchaus notwendig halten – obwohl „Cartel Land“ die
moralischen Implikationen des Drogenkriegs weitaus facettenreicher
beschreibt.
Doch Politik scheint in den gegenwärtigen Narco-Erzählungen ohnehin nur
eine untergeordnete Rolle zu spielen. In erster Linie geht es um die
kulturellen Codes des Erzählmusters: tätowierte Cholos mit
Schnellfeuerwaffen, das amerikanisch-mexikanische Grenzland als
mythenumwobener Ort der Gewalt, die bis zum mexikanischen
Unabhängigkeitskrieg rückverweist (und schon in den Filmen von Peckinpah
und Ford aufgegriffen wurde). Und immer wieder die berüchtigten
Snuff-Videos von Enthauptungen durch die Kartelle.
## Geld fließt in beide Richtungen
Es scheint, als habe das Narco-Narrativ eine andere Gewalterzählung des
Hollywoodkinos abgelöst: den HipHop-/Gangfilm der 1990er Jahre. Der
Vergleich ist gar nicht so abwegig. Auch um die Folklore der Drogenbarone
ist in den vergangenen zehn Jahren eine eigene Popkultur entstanden, wie
Shaul Schwarz’ Dokumentation „Narco Cultura“ (2013) zeigt, in der
bewaffnete Sänger in Mariachi-Manier Heldenlieder auf lokale Drogenbarone
anstimmen.
Die meisten Studios, in denen diese narcocorridos aufgenommen und
produziert werden, befinden sich in Los Angeles, von wo aus die billig
hergestellten CDs in großen Mengen nach Mexiko vertrieben werden. In der
zeitgenössischen Narco-Erzählung verläuft der (legale wie illegale)
Kapitalfluss in beide Richtungen.
25 Sep 2015
## AUTOREN
Andreas Busche
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Mexiko
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