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# taz.de -- Folgen einer Drogenfahndung: Einmal schielen, bitte
> Die Polizei vermutete bei unserem Autor Drogenkonsum. Ein Irrtum, der ihn
> seinen Führerschein und eine halbe Theaterpremiere kostete.
Bild: 550 Beamte aus zwölf Bundesländern machen Jagd auf Kiffer und Trinker h…
HAMBURG taz | Sicher, ich hatte es eilig – noch kurz umziehen und einen
Snack einwerfen vor der Theaterpremiere. Mag sein, ich habe auf meinem
Roller ein paar Meter abgekürzt, auf der durch gestreifte Hütchen
abgesperrten Fahrbahn, die am nächsten Tag geteert werden soll. Macht man
nicht und kann, wenn es dumm läuft, 20 Euro kosten. Doch diesmal läuft es
nicht dumm: Es läuft richtig dumm.
Was ich nicht weiß: Die Hamburger Polizei begeht gerade den dritten und
letzten Tag ihrer „DIS“-Woche, was in Langfassung soviel wie
Schwerpunktkontrolle Drogen im Straßenverkehr heißt. 550 Beamte aus zwölf
Bundesländern machen Jagd auf Kiffer und Trinker hinterm Steuer. An
Straßensperren werden hunderte Fahrzeuge rausgewunken, zudem sind überall
in der Stadt Beamte unterwegs, die auf Fahrfehler lauern, um Fahrzeuge zu
stoppen.
So einen habe ich begangen und natürlich werde ich sofort angehalten.
Fahrzeugkontrolle, Halterabfrage und dann: „Wir möchten Sie bitten, einen
Drogentest zu machen!“ Ich schaue ungläubig. „Ihr Fahrverhalten lässt den
Rückschluss zu, dass sie unter Drogen stehen“, klärt mich die Beamtin auf,
die hier das Heft in der Hand hat. Da ich sicher sein kann, dass der Test
negativ ausfällt, willige ich ein. Wenn ich kooperiere, hab ich es
schneller hinter mir, denke ich. Und irre mich gewaltig.
Ab in die nächstgelegene Kneipe – zur Pinkelprobe. Während wir auf das
Ergebnis warten, macht die Beamtin Tests mit mir, ihre beiden Begleiter
schauen interessiert zu. Später erfahre ich, dass sie ausgebildete
„Drogenerkennerin“ ist und die beiden anderen Beamten schult. Da braucht
man eine gewisse Anzahl von Drogentests am lebenden Objekt, um irgendwann
die Prüfung abzulegen.
Also darf ich vor einem Hauseingang zur Freude der aus den Fenstern
guckenden Nachbarn Gleichgewichtsübungen machen, muss – ohne zu zählen –
einen Zeitraum von 30 Sekunden abschätzen und soll schielen. Das konnte ich
noch nie und bei der halben Minute vertue ich mich um sechs Sekunden.
## „Nicht fahrtüchtig“
Das reicht: Dass der firmenneue Drogenschnelltest wie erwartet negativ
ausgefallen ist, hilft mir nichts. Aufgrund der Übungen wäre bei ihr der
Eindruck entstanden, ich sei derzeit „nicht fahrtüchtig“ erklärt mir die
Beamtin und da der Urintest sowieso nur die zwölf häufigsten Drogen
überprüfe und zudem nicht gerichtsverwertbar sei, müsse ich mit zum
Bluttest in die Wache. Das könnte ich freiwillig tun, oder sie würde es von
einem Staatsanwalt anordnen lassen. Mit einem Blick auf die Uhr beschließe
ich weiter zu kooperieren. Bis zum Premierenbeginn sind es nur noch 75
Minuten.
Die verbringe ich im Gang der Polizeiwache Mörkenstraße. Hier sind
Verdächtige aus ganz Hamburg angelandet worden, denen ein Rechtsmediziner
Blut abnimmt. Die Warteschlange ist lang. Nach anderthalb Stunden komme ich
dran, darf erneut balancieren, Sekunden zählen und schielen. Das mit dem
Schielen klappt immer noch nicht, dafür liege ich diesmal nur drei Sekunden
daneben.
Nach dem Blutabnehmen muss ich wieder warten, bis einer der Beamten mich
nach Hause fährt, um den im Handschuhfach meines Wagens abgelegten
Führerschein sicherzustellen. Erstaunlich: Während der Zündschlüssel meines
Rollers konfisziert wurde, hat der Polizist an dem Autoschlüssel überhaupt
kein Interesse.
## Pünktlich zum Pausengong
Weil ich so gut kooperiert hätte, fährt der Polizist mich tatsächlich
anschließend ins Theater, wo ich nach dreieinhalb Stunden in den Fängen der
Ordnungsmacht pünktlich zum Pausengong eintreffe. Und hätte der Beamte
während der Fahrt nicht ein halbes dutzend Mal darauf hingewiesen, wie
außerordentlich nett von ihm dieser kleine Bringservice sei, ich wäre ihm
wohl ein wenig dankbar gewesen. Und auch das Theaterstück erschließt sich
mir leider nicht mehr.
Am Tag danach schlage ich erneut auf der Wache auf. Die Drogenerkennerin
hatte mich belehrt, dass ich nach 24 Stunden meinen Führerschein abholen
könne, wenn ich dann den lustigen Dreikampf mit den Disziplinen
Balancieren, Schielen und Zählen erfolgreicher absolvieren würde. Doch
leider ist mein Führerschein inzwischen in der Verkehrsdirektion Harburg
gelandet – weil ein Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das
Betäubungsmittelgesetz gegen mich angestrengt wurde.
So kollidieren die auf 24 Stunden befristete Einziehung der Fahrerlaubnis
wegen angeblicher akuter Fahruntüchtigkeit und eine längerfristige
Einziehung wegen möglicher Drogendelikte miteinander. Nach kurzer Zeit
diskutieren sechs Beamte angeregt die Frage, ob ich mich nach Ablauf der
24-Stunden-Frist nun ans Steuer setzen darf oder nicht. Da sie in einem
vertretbaren Zeitraum zu keinem Ergebnis kommen, verlasse ich irgendwann
entnervt die Wache: mit Rollerschlüssel, aber ohne Lappen.
Dafür finde ich mich – quasi als Beifang – in der Erfolgsstatistik der
Polizei und der Innenbehörde wieder, mit der der personenintensive
Drogencheck gerechtfertigt wird. 29 Strafanzeigen habe die Kontrolle
gebracht, freuen sich der Polizeipräsident und der Innensenator – und ich
bin dabei. Ob eine der Anzeigen zu einem Verfahren oder gar zu einer
Verurteilung führt, wird nie jemand erfahren.
Für die Schikanen, die ich erdulden musste, damit die Statistik gut klingt,
beschließe ich mich zu rächen, indem ich den Innensenator beim nächsten
Interview mit besonders fiesen Fragen ärgere – doch leider entkommt er
meiner Revanche durch vorherigen Rücktritt.
## Keine telefonische Auskunft
Nach einer knappen Woche läuft die Frist ab, an der mich die Polizei
informieren muss, was der Bluttest ergeben hat und ob mein Führerschein
wieder in meinen Besitz wandert. Der Termin verstreicht. Als ich tags
darauf gerade den Hinweis lese, dass ich bitte davon absehen mag in Harburg
anzurufen, da mir telefonische Auskünfte keinesfalls erteilt werden
könnten, klingelt mein Handy und eine Beamtin erteilt mir die telefonische
Auskunft, dass auch der Bluttest negativ ausgefallen sei.
Meine Nachfrage, ob ich mich rechtstreu verhielte, wenn ich mich nun ins
Auto setzte, um meinen Führerschein abzuholen, löst erneut eine kleine
Rechtsdiskussion zwischen den anwesenden KollegInnen aus, die ich am
Telefon hören kann. Schließlich bitte ich darum, mir die Plastikkarte per
Post zukommen zu lassen. Seitdem übe ich täglich Schielen: für den nächsten
Schwerpunkt-Einsatz.
11 Feb 2016
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Polizei
Drogenpolitik
Drogen
Tennis
Hollywood
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Reiseland Kolumbien
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