# taz.de -- ZDF-Serie nach US-Vorbild: Wieder wie die Amis | |
> Die ZDF-Serie „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ wird horizontal | |
> erzählt. Sie kennt weder Gut noch Böse, nur Jürgen Vogel schwächelt. | |
Bild: Der Kommissar rastet ein bisschen aus. | |
Schon die Premiere war ungewöhnlich: Die neue ZDF-Serie „Blochin – Die | |
Lebenden und die Toten“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle wurde Anfang des | |
Jahres auf der Berlinale präsentiert. In voller Länge, sechs Stunden lang | |
auf der großen Leinwand. „Wir haben hier ein Programm, mit dem wir ganz | |
besonders auftreten wollen“, sagt die ZDF-Redakteurin Caroline von Senden. | |
Konkret heißt das in diesem Fall: Mit „Blochin“ orientiert sich das ZDF an | |
den großen amerikanischen Serien, von denen TV-Connaisseure hierzulande | |
schwärmen – „Mad Men“, „Breaking Bad“, „True Detective“. | |
Wie bei ihnen soll auch für „Blochin“ gelten: Horizontales, also | |
episodenübergreifendes Erzählen, Fernsehen als Roman, komplexe Charaktere, | |
Cliffhanger, Binge-watching, also das Schauen von mehreren Episoden | |
hintereinander. Folgerichtig laufen die fünf „Blochin“-Folgen am kommenden | |
Wochenende innerhalb von drei Abenden. Die erste Folge am Freitag, drei | |
weitere am Samstag, das Finale am Sonntag. Sofort nach der ersten Folge | |
stehen alle Episoden in der Mediathek. | |
„Die US-Serie ,The Wire‘ war meine größte Inspirationsquelle für ,Blochi… | |
“, sagt Autor und Regisseur Matthias Glasner. „Sie hat das urbane Leben in | |
einer komplexen Weise kartografiert wie keine andere Serie. Sie begann als | |
Krimi, dann ging es um Politik, Medien, Schulsystem. Hauptfiguren sind | |
plötzlich verschwunden oder haben sich vollkommen gewandelt. Ich habe den | |
Ehrgeiz, etwas Vergleichbares zu schaffen, und bin gespannt, wie weit die | |
Zuschauer den Weg mitgehen.“ | |
Zunächst unterscheidet sich Glasners Serie noch nicht allzu sehr von | |
konventionellen Krimis: Der Polizist Blochin (Jürgen Vogel) war vor seiner | |
Zeit bei der Polizei in der kriminellen Berliner Drogenszene unterwegs und | |
wurde nach einem Umweg über das Drogendezernat von seinem Schwager (Thomas | |
Heinze) zur Mordkommission geholt. Gemeinsam müssen sie den Mord an einem | |
kleinen Dealer aufklären, aber der Fall wird ihnen überraschend entzogen, | |
das BKA übernimmt – vermutlich weil der Dealer mit politischen | |
Entscheidungsträgern zu tun hatte. | |
## Jürgen Vogel kann böse | |
Gleichzeitig bekommt Blochin ein größeres Problem: Sein früherer Kumpel | |
Garbo (Sascha Gersak) erpresst ihn mit einem Video, auf dem zu sehen ist, | |
wie Blochin einen Zuhälter tötet. Garbo verlangt, dass Blochin ihm bei | |
einem Deal mit Drogen aus Afghanistan hilft, in den auch Bundeswehrsoldaten | |
involviert sind. | |
Ab der zweiten Folge entwirft Matthias Glasner einen riesigen | |
erzählerischen Kosmos. Interessante Charaktere tauchen auf, verschiedene | |
Welten werden betreten – vom Berliner Untergrund bis zur Polit-Schickeria. | |
Verknüpft wird das Ganze durch die Figur des Blochin, der beruflich und | |
privat zunehmend unter Druck gerät. Die gern gezogenen Grenzen zwischen Gut | |
und Böse verschwimmen – wer gerade noch Sympathieträger war, kann schon im | |
nächsten Moment zum Arschloch oder Mörder werden. | |
„Wir sollten in Deutschland endlich von der Vorstellung Abschied nehmen, | |
dass eine Figur immer sympathisch sein und beim Zuschauer zur vollständigen | |
Identifikation taugen muss“, sagt Jürgen Vogel. „Das ist unter anderem das | |
Tolle an ,Blochin‘: Die Figuren fühlen sich total realistisch an, gerade | |
weil sie extreme Entscheidungen treffen und auch ihre charakterlichen | |
Schattenseiten offenbaren.“ Auch das ZDF kooperierte: „Es gab von Seiten | |
des Senders keinerlei Beschränkungen. Ich habe den Eindruck, dass wir in | |
Deutschland an einer Schwelle zu einem Fernsehen stehen, bei dem mehr | |
möglich ist als noch vor ein paar Jahren. Es gibt eine große Offenheit bei | |
Redakteuren und Produzenten für neue Ideen, eine große Lust auf neues, | |
gutes Fernsehen.“ | |
## Rückkehr des Horizontalen | |
Als großen Vorreiter sollte sich das ZDF trotzdem nicht feiern lassen. | |
Experimente mit der horizontalen Erzählweise gibt es im deutschsprachigen | |
Raum schon länger, man denke nur an Dominik Grafs „Im Angesicht des | |
Verbrechens“, das DDR-Drama „Weissensee“, die ORF-„Vorstadtweiber“ od… | |
europäische Koproduktion „The Team“, die kürzlich ebenfalls im ZDF lief. | |
Ohnehin muss man bei der horizontalen Erzählweise in Deutschland eher von | |
einer Wiederentdeckung sprechen, beispielsweise wurden ZDF-Weihnachtsserien | |
wie „Anna“ und „Patrik Pacard“ in den 80er Jahren auch schon fortlaufend | |
erzählt. | |
Ursprünglich war „Blochin“ als 90-Minüter konzipiert und sollte bei Erfolg | |
als Reihe fortgesetzt werden. Nach Fertigstellung des Rohschnitts fiel die | |
Entscheidung, eine Serie daraus zu machen. Die 90 Minuten wurden zum | |
Piloten, zu diesem Zweck umgeschnitten und mit einigen neuen Szenen | |
versehen. Vielleicht findet „Blochin“ auch wegen dieser ungewöhnlichen | |
Umarbeiten erst Mitte der dritten Folge endgültig seinen Ton. Seine | |
Schwächen ziehen sich bis zum Ende durch: Manche Erzählstränge und Figuren | |
schlingern ziellos vor sich hin, einige überflüssige Nebenschauplätze | |
wirken wie Füllmaterial. Und leider darf (oder kann?) ausgerechnet Jürgen | |
Vogel nicht zeigen, welch guter Schauspieler in ihm steckt. Sein Blochin | |
scheint nur eine Gemütslage zu besitzen – er ist immer angespannt und macht | |
ein verkniffenes Gesicht. | |
Unschön ist auch, dass die Handlung allzu oft durch Anrufe auf seinem | |
Smartphone vorangetrieben wird, da gäbe es sicher ein paar andere | |
dramaturgische Mittel. Insgesamt überzeugt das Schauspielerensemble aber. | |
Es ist den Verantwortlichen hoch anzurechnen, dass sie bei solch einem | |
Vorzeigeprojekt so viele relativ unverbrauchte Gesichter engagiert und auch | |
mal gegen den Strich besetzt haben. | |
## 2. Staffel in Planung | |
Hervorgehoben seien Thomas Heinze (ja, wirklich!), Jördis Triebel als | |
einflussreiche Staatssekretärin (vielleicht sollte man mit ihr mal ein | |
deutsches „House of Cards“ wagen?) sowie Maja Schöne, die Blochins an | |
Multipler Sklerose erkrankte Frau spielt. Positiv bleibt ebenfalls | |
festzuhalten, dass Glasner die Stadt Berlin gelungen in Szene setzt, auf | |
tausendfach abgefilmte Locations verzichtet. Ihm ist ein internationaler | |
Look gelungen, die Serie wirkt nie provinziell. | |
„Blochin“ ist nicht der ganz große Wurf geworden und von einem Meisterwerk | |
wie „The Wire“ meilenweit entfernt. Dennoch entwickelt die Serie immer | |
wieder einen erzählerischen Sog und hebt sich allein durch ihren komplexen | |
Ansatz in Bezug auf Figuren und Story von vielen deutschen Produktionen ab. | |
Vielleicht lernen die Verantwortlichen aus ihren Fehlern. Potenzial hat | |
„Blochin“ allemal. Eine zweite Staffel mit acht Folgen ist in Planung, | |
Matthias Glasner schreibt bereits an den Büchern. | |
Das so mutig gewordene ZDF bringt eine Fortsetzung hoffentlich auch dann, | |
wenn die Quoten der ersten Staffel nicht ganz so toll ausfallen sollten. | |
Einen Versuch wäre es wert. | |
24 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven Sakowitz | |
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