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# taz.de -- TV-Thrillerserie im Ahrtal: Ein Ort voller Nebel und Krähen
> Endlich eine ambitionierte deutsche Fernsehserie! Der Pay-TV-Sender „TNT
> Serie“ schickt „Weinberg“ mit starker Besetzung ins Rennen.
Bild: Verloren im Weinberg: Friedrich Mücke
Tropf, tropf, tropf. Blut platscht auf seinen Kopf. Über ihm, im Rebstock,
hängt eine Frauenleiche. Rundherum Nebel. Krähen kreischen. Das muss so
sein. Wir sind hier schließlich auf einem mysteriösen Berg. Der namenlose
Held (Friedrich Mücke) rappelt sich auf. Er hat eine Wunde im Gesicht. Ein
Junge schaut ihn an. „Lauf nicht weg!“, ruft der Held. Ich lauf mal lieber
weg, denkt sich aber der Junge – und rennt.
Im Krug sind alle versammelt: der Dorfpunk, der besoffen zur Bandprobe
will, aber nicht mehr anschreiben darf. Ein Mann und eine Frau, die
irgendwelche krummen Geschäfte einfädeln. Der knorrige Wirt. Die zu hübsche
Bedienung. „Ich habe eine tote Frau gesehen, oben aufm Berg.Mit ‚ner
Krone“, sagt Fuchs, wie sich der Mann vom Weinberg von nun an nennt, da er
im Schankraum auf einen ausgestopften Fuchs gestarrt hat. Vorname:
Johannes. Denn ein Bild von Johannes dem Täufer hat er auch entdeckt. An
seinen echten Namen kann er sich nicht erinnern. Gedächtnisverlust.
Die Polizei wird selbstverständlich nicht gerufen. Dies ist schließlich ein
mysteriöses Dorf. „Wir regeln die Dinge hier lieber selber“, grummelt der
Wirt, schultert sein Gewehr und zieht los. Truck Stop hatte Unrecht: Der
wilde Wilde Westen fängt nicht gleich hinter Hamburg an, sondern liegt im
rheinland-pfälzischen Ahrtal. Im fiktiven Örtchen Kaltenzell.
Als der Wirt oben ankommt, ist die Leiche natürlich weg. Die Geschichte
kann losgehen.
## Der Wilde Westen im rheinland-pfälzischen Ahrtal
Sechs Episoden hat TNT Serie von „Weinberg“ produzieren lassen. Es ist die
zweite fiktionale Eigenproduktion des Senders. Gemeinsam mit „Deutschland
83“, das Ende November bei RTL startet, und der dritten Staffel von
„Weissensee“, die gerade in der ARD lief, bildet es so etwas wie den
deutschen Serienherbst. 3,5 Millionen Euro hat „Weinberg“ gekostet, 600.000
Euro kamen allein von der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen. 48
Drehtage hatte das Team um die Regisseure Till Franzen und Jan Martin
Scharf, der zusammen mit Arne Nolting auch die Bücher schrieb. Das ist bei
fünf Stunden Serie sicher nicht übertrieben viel – ein „Tatort“ hat im
Schnitt 15 Drehtage pro Stunde Film – aber in der deutschen
Serienlandschaft, zumal beim Nischensender TNT, doch ein großer Rahmen.
Der Anspruch von MacherInnen wie Publikum ist hoch. Zu lange wurden hiesige
Produktionen gefordert, die es mit all den vermeintlich neuartigen Serien
aus den USA, Großbritannien und Skandinavien aufnehmen können.
Erfüllt „Weinberg“ das? Ein ganz klares: womöglich. Die Serie ist mit
Friedrich Mücke, Arved Birnbaum (als Wirt, der gleichzeitig Bürgermeister
ist), Gudrun Landgrebe (als Psychologin in Ruhestand) und Jonah Rausch (als
Punk) stark besetzt. Doch wirken die Figuren – zumindest zu Beginn – so
grob geschnitten, als sei das falsche Blatt in die Laubsäge gespannt
worden: das mit den viel zu großen Zähnen.
Unser Held darf erst einmal beim Wirt in der Pension übernachten. Zwischen
Köpfen von toten Tieren an den Wänden, flackernden Nachttischlampen und
komischen Geräuschen. Wer steht da plötzlich hinterm Duschvorhang? Und wer
ist die Frau, die ins Zimmer kommt? Er schläft sofort mit ihr. Oder besser:
sie mit ihm. Als er aufwacht, ist auch sie weg. Hat er das alles nur
geträumt? Und dann sieht er die vermeintlich Tote vom Berg im Ort: Sie ist
die Weinkönigin und überaus lebendig. Trotzdem fleht sie ihn an: „Du musst
mir helfen, bitte!“
## „Was hier vorgeht, ist doch nicht normal“
Auf dem kümmerlichen Weinfest richtet die Königin dann ihre Worte ans Volk:
„Es heißt: Im Wein liegt die Wahrheit. Und das bedeutet, dass unser schönes
Ahrtal wohl die wahrhaftigste Landschaft der Welt sein muss.“ Und jeder
Zuschauer weiß: Das stimmt gar nicht! Alle lügen hier! Sogar der
Super-Christ, der einen Laden hat, in dem Toaster, Marienstatuen und
eingemachtes Gemüse verkauft werden und in dem noch so ein altes grünes
Telefon von der Post steht, hat bestimmt eine Affäre! Und die Frau vom Wirt
lügt auch: Sie war nämlich im Zimmer von Fuchs und hat ihn verführt! Und
dann der Junge, der nie redet und stattdessen immer wegrennt – mit dem
stimmt doch auch irgendwas nicht!
Jede Figur, jeder Ort, jeder Dialog, brüllt einen an: Das hier ist ein
mysteriöser Psychothriller in einem mysteriösen Dorf an einem mysteriösen
Berg! Ein Ort voller Nebel, Kreuze und kahlen Bäumen. Für die Zuschauer,
die immer noch nicht verstanden haben, dass hier einiges im Argen liegt,
wird sogar noch ein Dialog mit Fuchs und der Psychologin a. D., Dr.
Wieland, eingeschoben: „Was hier vorgeht, ist doch nicht normal“, klagt
Fuchs: „Ich trau den Leuten nicht.“ Gut erkannt, Junge, aber dann solltest
du nicht bei der nächstbesten Gelegenheit des Nachts allein in eine
schummrig beleuchtete Fußgängerunterführung latschen.
Trotz dieser unlogischen Brüche und plumpen Beladung jeder Figur mit einem
düsteren Geheimnis, schafft es die Serie doch, am Ende so viel Spannung zu
erzeugen, dass man weitergucken will. „Ihre Erinnerung macht Ihnen Angst.
So viel Angst, dass Ihr Bewusstsein die Tür zugeschlagen und fest
verriegelt hat“, konstatiert die Psychologin. „Und was bedeutet das?“,
fragt Fuchs. Antwort: Dass die Serie jetzt noch fünf Folgen Zeit hat, den
passenden Schlüssel zu finden – um zu zeigen, wie sich all die vielen
Geheimnisse auflösen und ob „Weinberg“ tatsächlich deutsches
Serienfernsehen ist, für das man sich nicht zu schämen braucht.
6 Oct 2015
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Fernsehen
TV-Serien
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Nischensender „TNT Serie“ will mit „Add a Friend“ beweisen, dass das
stimmt.
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