# taz.de -- US-Serie „House of Cards“, neue Staffel: Es war einmal in Washi… | |
> Am Freitagabend startet die vierte Staffel um den US-Präsidenten Frank | |
> Underwood. Die reale Politik hat sie längst eingeholt. | |
Bild: Gar nicht so weit von der Wahrheit: Serie „House of Cards“. | |
Ach, Politik. Bekanntlich ein schmutziges Geschäft, dessen schmutzigster | |
Aspekt aber doch das Geschäftliche daran ist. Im Vordergrund die | |
staatstragende Kulisse mit ihren Pfeilern aus Idealen und Werten. Im | |
Hintergrund aber ein Gewirr aus Fäden, die in den Händen der wirklich | |
Mächtigen zusammenlaufen. Dieses Kartenhaus der Ränke, Intrigen und | |
Seilschaften, seine Statik, Architektur und Bewohner sind Gegenstand der | |
Netflix-Serie „House of Cards“, die in Deutschland zuerst bei Sky läuft. | |
Darin geht der Demokrat Frank Underwood, angetrieben nur von seinem Willen | |
zu Macht, auf dem Weg ins Weiße Haus über Leichen. | |
Darsteller Kevin Spacey, längst verschmolzen mit Frank Underwood, | |
schilderte in einem Interview seine Sorge, als die Serie mal wieder den | |
Bogen ihrer Handlung ins Absurde überspannt zu haben schien. Nach dem | |
Drehtag habe er im Hotelzimmer den Fernseher eingeschaltet, Nachrichten aus | |
der echten politischen Welt gesehen und gedacht: „Oh!“ | |
Seine Reaktion galt einer wirklich echten Politik, die bei den US-Vorwahlen | |
ihrerseits gerade dabei war, ins Absurde zu kippen. Ein offen | |
rassistischer, ungefedert aggressiver Blender wie Donald Trump steigt zum | |
Präsidentschaftskandidaten der Republikaner auf? Ist denn das die | |
Möglichkeit? Ja, im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ist es das | |
durchaus. Die Realität tut, was zu ihren fiesen Spezialitäten gehört – sie | |
schickt sich an, die Fiktion zu überholen. | |
Die Fiktion freilich sieht das im Rückspiegel und gibt ihrerseits Gas. In | |
der vierten Staffel, für die schon jetzt geworben wird, muss sich Frank | |
Underwood in den Vorwahlen durchsetzen. Netflix schaltet nicht nur | |
aufwendige TV-Werbeclips im üblichen Stil der realen Wahlkämpfer, sondern | |
baut parallel zu den realen Vorwahlen auch Stände für die Kampagne „FU | |
2016“ auf. Wer davon nichts wüsste und zufällig die ehrwürdige Smithsonian | |
National Portrait Gallery in Washington besuchte, dessen Verwirrung würde | |
dort komplettiert: Anstelle von George Washington, der restauriert wird, | |
hängt in der Reihe offizieller Porträts aller US-Präsidenten – Frank | |
Underwood in Öl. | |
## Blick hinter die Kulissen – auch hinter die Maske? | |
Beim ersten Blick durch die transparente Trennwand zwischen den Welten | |
lassen sich Parallelen zwischen Trump und Underwood erkennen, weil beide | |
eben sehr unwahrscheinliche Charaktere sind. Aber der erste Blick täuscht. | |
„House of Cards“ gibt vor, den Dreck, das Blut und das Gewirr der Fäden | |
hinter den Kulissen zu zeigen. Zwar ist der fiktive Frank Underwood ein | |
machiavellistischer Machtmechaniker, der zynisch und skrupellos seinen Weg | |
an die Spitze geht, unbehindert durch Ideale oder Ideologien. Die Partei | |
ist ihm Vehikel, nicht Heimat. | |
Im Licht der Kameras und auf dem Podium aber steht seine Fassade, trägt er | |
die Maske stromlinienförmiger Gefälligkeit. Die Maske sitzt perfekt und | |
erinnert verdächtig an die geschminkten Öffentlichkeitsgesichter, ohne die | |
Politiker traditionell nicht vor ihre Wähler treten. Und die wissen | |
traditionell nicht, was sich hinter dieser Maske verbirgt. | |
Effizienz? Schlendrian? Ehrlichkeit? Korruption? Gibt mein Abgeordneter | |
vielleicht Morde in Auftrag? Steckt er mit der Waffenlobby unter einer | |
Decke? Onaniert er zur Entspannung auf illegale Bilder nackter Kinder, | |
besorgt er sich nach Feierabend Amphetamine? Dass diese Dinge im Rahmen der | |
Möglichkeiten liegen, lehrt die Realität – und nicht erst die Fiktion. | |
## Underwood spricht die Zuschauer direkt an | |
Der Clou von „House of Cards“ ist, dass Frank Underwood bisweilen den | |
Zuschauer direkt anspricht. Beiläufig dreht er sich aus der Szene heraus, | |
blickt in die Kamera und weiht das Publikum in seine wahren Gedanken, Pläne | |
und Absichten ein. Nur in diesen Momenten sagt er, was er wirklich denkt. | |
Unverstellt, ungeschützt und unmoralisch ist Frank Underwood hier ganz bei | |
sich selbst. Die Maske fällt, und der Mensch dahinter zieht uns ins | |
Vertrauen. Ganz gleich, wie schlecht dieser Mensch sein mag – wir werden zu | |
seinen Komplizen. | |
In diesen kurzen Monologen redet sich Underwood um Kopf und Kragen. Es sind | |
Sätze wie: „Sie ist innen wie außen unattraktiv. Ich verstehe, warum ihr | |
Mann sie für einen anderen Mann verlassen hat. Es war eine gute | |
Entscheidung.“ Oder: „Faulheit ist ein Wesenszug der Schwarzen. Schwarze, | |
die mein Geld zählen! Ich hasse es.“ Oder: „Teil meiner Schönheit ist der | |
Umstand, dass ich sehr reich bin.“ Oder: „Sie hat eine tolle Figur. Wenn | |
sie nicht meine Tochter wäre, würde ich ihr Freund werden wollen.“ | |
## Donald Trump ist ein umgestülpter Frank Underwood | |
Mit der Einschränkung, dass alle diese Sätze von Donald Trump stammen. Das | |
ist der Clou des Kandidaten. Wenn Underwood vertraulich mit dem Publikum | |
spricht, durchbricht er für eine kurze und sehr suggestive Zeit das, was | |
die Theaterwissenschaft die „vierte Wand“ nennt, die unsichtbare Trennlinie | |
zwischen der fiktiven Ebene das Bühne und der realen Ebene des | |
Zuschauerraums. Erschreckender als die Parallelen zwischen Underwood und | |
Trump ist der kleine Unterschied, dass Trump seine geheimen Wahrheiten | |
nicht seitwärts in die Kamera flüstert, sondern offen die Massen anspricht. | |
Donald Trump ist ein umgestülpter Frank Underwood. | |
Er sagt: „Würde ich Waterboarding erlauben? Darauf können Sie Ihren Arsch | |
verwetten. Jederzeit. Ich würde sogar noch mehr erlauben. Es funktioniert. | |
Und wenn es nicht funktioniert, haben sie es doch verdient.“ Er sagt auch: | |
„Wenn Hillary Clinton ihren Mann nicht befriedigen kann, wie will sie dann | |
Amerika befriedigen?“ Er sagt das wirklich. | |
Und wer davon nicht abgestoßen ist, sich durch diese Ausfälle gar | |
unterhalten fühlt, ist bereits Komplize. Ein Kandidat ohne moralische | |
Manschetten kann damit nur gewinnen, hat er doch alle Aufmerksamkeit auf | |
seiner Seite. Vielleicht sagt er nicht, „wie’s ist“, und nachweislich | |
spricht er selten die Wahrheit. Aber dass er es sagt und damit davonkommt, | |
das ist für viele Menschen verdammt unterhaltsam. | |
## Gegen alle Sitten | |
Er kann sagen, was er will, weil er sich mit jedem Verstoß gegen die Sitten | |
ein wenig mehr von den sittsamen Codes jenes distinguierten und | |
ineffizienten Establishments abgrenzen kann, in das seine Anhänger ohnehin | |
jedes Vertrauen verloren haben. Doch sein grotesker Auftritt als „blonder | |
Bulldozer“ verleitet seriöse Wahlbeobachter inzwischen zu der Vermutung, | |
dass der Mann hinter der Oberfläche vielleicht doch ganz moderat ist. | |
Spacey ist sich dessen nicht so sicher. Gefragt, wie sich Trump wohl in | |
einer Debatte mit Underwood schlagen würde, sagte er, dass Trump gar nicht | |
hinkommen würde. „Auf dem Weg würde es einen schrecklichen Unfall geben. | |
Schrecklich und sehr traurig.“ | |
Natürlich kann man versuchen, die absurde Realität mit den Mitteln einer | |
noch absurderen Fiktion zu unterbieten. Erhellender aber ist der | |
Kurzschluss zwischen beiden Welten, wie Spacey ihn neulich mutwillig | |
herbeiführte. Als Moderator Stephen Colbert wissen wollte, an wen genau er | |
sich eigentlich wendet, wenn er bei seinen sarkastischen Ratschlägen direkt | |
in die Kamera spricht, wendete sich Spacey und schaute in die Kamera: „Ich | |
spreche zu einer Person, nur zu einer einzigen Person ganz allein. Und das | |
ist Donald Trump.“ | |
4 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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