# taz.de -- Interview mit Berlins Finanzsenator: „Man macht Politik nicht ohn… | |
> Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) ist in der schönen Lage, Geld ausgeben zu | |
> müssen. Ein Gespräch über linke Finanzpolitik, sein Engagement für | |
> Wohnungen und die Flüchtlingspolitik. | |
Bild: Er passt auf Berlins Geld auf: Finanzsenator Kollatz-Ahnen. | |
taz: Herr Kollatz-Ahnen, macht Geld ausgeben Spaß? | |
Matthias Kollatz-Ahnen: Im privaten Bereich manchmal, im öffentlichen | |
Bereich ist das eher ein schwieriges Unterfangen. Man gibt ja nicht das | |
Geld aus, das einem gehört, sondern Steuergelder, die man für andere | |
verwaltet. Da muss man immer schauen, was geht, und Knappheiten | |
berücksichtigen. | |
Beim Haushaltsentwurf des Senats, der nach den Ferien das Parlament | |
beschäftigen wird, stellte sich uns das anders dar: Alle Senatsverwaltungen | |
haben mehr bekommen, von Knappheit war da nichts zu spüren. | |
Berlin geht es tatsächlich besser als vor zehn oder 15 Jahren, und es ist | |
auch sicher ein Erfolg meiner Vorgänger … | |
… Thilo Sarrazin und Ulrich Nußbaum ... | |
… dass das heute so ist. Das hat aber auch zur Folge, dass die Erwartung | |
der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf bessere Bezahlung steigt. Die | |
Gehälter an den Bundesdurchschnitt heranzuführen, ist ja schon beschlossen | |
– das kostet aber dreistellige Millionenbeträge pro Jahr. Zugleich gibt es | |
die Erwartung der Bevölkerung auf Erhalt und Modernisierung der | |
Infrastruktur, gerade in einer wachsenden Stadt. Und da sind die Wünsche | |
und Erfordernisse größer als die Möglichkeiten, die wir haben. Denn Berlin | |
ist ja nach wie vor Konsolidierungsland. | |
… und hat, was einige gern vergessen, immer noch 60 Milliarden Euro | |
Schulden, was mehr als den kompletten Einnahmen zweier Haushaltsjahre | |
entspricht. Rund zwei Milliarden Zinsen sind dafür jährlich fällig. Wie | |
wägen Sie zwischen Tilgung und Investition ab? | |
Die Leute, die alle Überschüsse in die Tilgung stecken wollen, sind oft | |
auch genau die, die mir beim nächsten Treffen sagen, was alles unbedingt | |
gebaut und modernisiert werden müsste. Die Schulden waren vor noch nicht | |
langer Zeit auf einem Höchststand von fast 63 Milliarden Euro. Wir glauben, | |
dass wir bis Jahresende unter 60 Milliarden Euro sind. Dann hätten wir in | |
dieser Wahlperiode 2,9 Milliarden Euro getilgt. Das ist doch schon was! | |
Hat der Staat nicht grundsätzlich eine moralische Verpflichtung zu tilgen? | |
Denn wenn schon nicht das Land seine Schulden zahlt, wäre das für den | |
einzelnen Bürger ein schlechtes Vorbild. | |
Der Staat muss auf jeden Fall versuchen zu tilgen. Ob es dann geht, hängt | |
von der wirtschaftlichen Lage ab. Wenn eine Krise kommt wie 2008, wird man | |
das sicherlich zurückstellen müssen. | |
Der aktuelle Doppelhaushalt für 2016 und 2017 ist Ihr erster und könnte | |
zugleich Ihr letzter sein, weil schon nächstes Jahr Abgeordnetenhauswahl | |
ist. Welchen Stempel wollen Sie mit dem aktuellen Entwurf hinterlassen? | |
Ich würde schon gerne noch weitere Haushalte vorlegen. Ich bin nicht nur | |
nach Berlin gekommen, um in dieser Wahlperiode auszuhelfen, auch wenn ich | |
das gerne mache. Die bisherige Diskussion zeigt mir, dass unser Ansatz – | |
konsolidieren und investieren – positiv aufgenommen wird. | |
Wenn man es am Bürgerzorn misst, dann müsste am stärksten in die Verwaltung | |
investiert werden – acht Wochen auf einen Termin beim Bürgeramt warten zu | |
müssen, kann kein Zustand sein. Zwar soll es nun einige Stellen mehr geben, | |
aber das ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. | |
Das würde ich ganz anders sehen. Die Bezirke bekommen 300 Stellen. Das ist | |
ziemlich viel, auch wenn damit nicht alle Probleme zu lösen sind. | |
Das sind aber für jeden der zwölf Bezirke umgerechnet nur 25 Stellen! | |
Ja, doch das konzentriert sich auf einen Teil der Verwaltung. Denn um all | |
das, was die Senatsverwaltungen erledigen, brauchen sich die Bezirke nicht | |
zu kümmern, wie beispielsweise das Thema der Flüchtlingsunterbringung. So | |
wenig sind 25 Stellen pro Bezirk also nicht. | |
Und das wird reichen, die Probleme in den Bürgerämtern zu beenden? | |
Die von Ihnen angesprochenen Wartezeiten sind tatsächlich nicht akzeptabel. | |
Man muss aber auch sagen: Wir müssen an manchem Punkt die Organisation | |
verbessern. Das ist nicht nur eine Frage von mehr Personal. | |
Der Berliner SPD-Chef Jan Stöß, der wie Sie als Parteilinker gilt, sieht | |
das ein bisschen anders. Werden Sie da Ihrer Tradition untreu? Und gibt es | |
eigentlich eine explizit linke Finanzpolitik? | |
Natürlich gibt es die. Sie versucht, linke gesellschaftliche Ziele wie | |
Solidarität umzusetzen. Ich werbe dafür, dass wir hier im Land Berlin einen | |
Kurs fahren, der funktioniert. Für mich ist gute linke Politik eine, die | |
funktioniert. | |
Zur wachsenden Stadt gehört der Wohnungsbau. Sie stehen auch für eine | |
andere Liegenschaftspolitik als Ihr Vorgänger. Gibt es dennoch genug | |
landeseigene Grundstücke für einen dem Gemeinwohl verpflichteten | |
Wohnungsbau? | |
Erstmal richtig ist, dass es eine Neuorientierung der Liegenschaftspolitik | |
gibt, weg vom Höchstpreisverfahren. Diese Umorientierung hat schon zu | |
Zeiten meines Vorgängers statt gefunden … | |
… nur umgesetzt hat er sie nicht in seinem damaligen Dauerkonflikt mit dem | |
damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller. | |
Ich versuche auf jeden Fall jetzt, das umzusetzen. Nicht mehr rückgängig | |
machen können wir Entscheidungen der Vergangenheit, als das Land Berlin | |
sich auf Bevölkerungsrückgang eingestellt und Grundstücke verkauft hat, | |
auch zur Haushaltssanierung. Wir müssen sehen, was noch da ist, und da ist | |
die Lage nicht so schlecht. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben in Spandau | |
relativ große erschlossene Gebiete, wo es bereits Baurecht gibt. Auch die | |
Elisabeth-Aue in Pankow ist so ein Gebiet, das in Zukunft große | |
Möglichkeiten bieten kann. Wir müssen uns allerdings davon verabschieden, | |
dass wir uns die Entwicklung der Stadt nur innerhalb des S-Bahnrings | |
vorstellen können. | |
Was haben Sie besonders im Blick? | |
Ein Ziel, für das ich mich auch weiter einsetzen werde, ist, dass wir neben | |
dem sozialen Wohnungsbau auch das des preiswerten Wohnungsbaus verfolgen. | |
Was heißt denn für Sie preiswert oder bezahlbar? Quadratmeterpreise von 6 | |
bis 8 Euro Euro, die für manchen SPDler in diese Kategorie fallen, nennt | |
die Linkspartei unbezahlbar. | |
Es gibt ganz verschiedene Segmente in der Bevölkerung und unterschiedliche | |
Einkommensklassen. Wenn der normale Neubau-Marktpreis in Berlin zwischen 10 | |
und 12 Euro pro Quadratmeter liegt, dann ist das für Leute ohne hohe | |
Einkünfte, etwa die viel zitierte Supermarktkassiererin, schon schwierig. | |
Wenn sie eine Sozialwohnung mit Wohnberechtigungsschein bekommt, dürfte | |
diese nicht mehr als 6,50 Euro pro Quadratmeter kosten. Aber es gibt eine | |
Gruppe dazwischen, denen geholfen wäre, wenn wir Preise von 8,50 Euro | |
hinbekommen ohne zusätzliche Förderung. | |
Viel diskutiert wird, beim Thema Wohnungsneubau auch die Flüchtlinge mit zu | |
bedenken, etwa mit einer Quote. Wie stehen Sie dazu? | |
Ich halte nichts davon, beide Bereiche zu verbinden. Die Erfahrungen in den | |
90er Jahren haben gezeigt, dass das schnell zu einer Neid-Diskussion führt, | |
ja sogar zu Pogromstimmung. Der Neustart von Berlin im sozialen Wohnungsbau | |
muss und wird deshalb unverändert stattfinden. Die Flüchtlingsunterbringung | |
erfolgt in getrennten Spezialprogrammen. | |
Sie haben sich bei der Diskussion um die Zukunft des Dragoner-Areals in | |
Kreuzberg bemerkenswert aus dem Fenster gelehnt und sind im Bundesrat in | |
das Verkaufsverfahren hineingegrätscht. Haben Sie Hoffnung, den vielfach | |
kritisierten Verkauf ohne jegliche Vorgaben noch stoppen zu können? | |
Der Bundesratsausschuss hat nun zwei Mal seine Zustimmung dazu nicht | |
gegeben, auf Berliner und meinen persönlichen Wunsch hin … | |
… indem er das Grundstücksgeschäft vertagt hat. | |
Der Verkauf ist ein prototypischer Fall, wie man es vor dem Hintergrund | |
unserer neuen Liegenschaftspolitik nicht mehr machen soll. Wir müssen aber | |
den Bund davon überzeugen, auch seine Verfahren entsprechend zu ändern. Auf | |
Bundesebene bewegt sich etwas, etwa mit Vorkaufsrechten für Kommunen. Auch | |
beim Dragoner-Areal laufen ja noch Verhandlungen. | |
Bei so starkem Engagement wäre es ein persönlicher Sieg für Sie, wenn es | |
gut ausgeht – sonst aber eine Niederlage. | |
Es gibt ja noch eine dritte Möglichkeit: die offensive Nutzung kommunalen | |
Planungsrechts. | |
Können Sie das genauer erklären? | |
Wir wollen das Gelände zum städtebaulichen Entwicklungsgebiet machen. | |
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel wird dazu in der nächsten | |
Senatssitzung kommenden Dienstag einen Vorschlag machen. | |
Dass Sie und Herr Geisel so eng zusammen arbeiten, hat das allein damit zu | |
tun, dass Ihre Ressorts viele Berührungspunkte haben oder auch damit, dass | |
Sie beide zeitgleich neu in den Senat gekommen sind? | |
Es gibt eine große Überlappung zwischen beiden Ressorts, und meine | |
Interessen liegen auch durchaus in diesen Themen. Die Entwicklung der | |
wachsenden Stadt sorgt da zusätzlich für größere Nähe. Und wenn wir das | |
zusammen machen und nicht aufeinander herum hauen, ist das doch gut. | |
Sie engagieren sich ja stark beim Thema Flüchtlinge. Liegt das daran, dass | |
Sie grundsätzlich gerne der Gestalter sind? Oder entspringt das einer | |
humanistischen Überzeugung? | |
Das ist ja immer eine Kombination. Man macht Politik nicht ohne Werte. | |
Daneben ist es natürlich eine Aufgabe des Finanzsenators, bei der Nutzung | |
von Grundstücken – in diesem Fall für Flüchtlingsunterkünfte – ein | |
gewichtiges Wort mitzusprechen. | |
Städte in anderen Bundesländern sagen, dass sie Flüchtlinge nur noch in | |
Zelten unterbringen können. Können Sie das für Berlin auf absehbare Zeit | |
ausschließen? | |
Unser Ziel ist es, dass wir anders als andere Bundesländer bis Jahresende | |
ohne Zelte auskommen. | |
Wie stehen Sie als SPD-Linker zur Frage, nicht nur Flüchtlinge vor Krieg | |
und Verfolgung aufzunehmen, wie im Grundgesetz als Asylgründe vorgesehen, | |
sondern auch Flucht vor wirtschaftlicher Not zu akzeptieren? | |
Ich hoffe da sehr stark auf ein Einwanderungsgesetz, wie es die SPD ja | |
fordert. Ich bin kein großer Freund davon, die Themen Asyl und Einwanderung | |
miteinander zu verbinden. Wenn die Prüfung ergibt, dass keine Asylgründe | |
vorliegen, dann muss auch geschaut werden, dass eine Rückführung möglich | |
ist. Bei einem potenziellen EU-Beitrittsland sollte das möglich sein. Auf | |
lange Sicht wird Einwanderungspolitik nicht funktionieren, wenn man | |
versucht, sie über eine mehr oder weniger liberale Flüchtlingspolitik zu | |
lösen. | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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