| # taz.de -- Flüchtlingscamp in Dortmund: „Methoden wie in der Nazizeit“ | |
| > Flüchtlinge fordern die schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge. Am | |
| > ersten Abend versuchten Neonazis, das Camp anzugreifen. | |
| Bild: Weil so viele Asylanträge vorlägen, käme man mit der Bearbeitung nicht… | |
| DORTMUND taz | Über die Nazis wolle er lieber nicht so viel sprechen, sagt | |
| Fadi Khatib, ein junger syrischer Flüchtling mit großen grün-braunen Augen. | |
| Man wolle den Leuten doch nichts wegnehmen oder sie gar verärgern. „Wir | |
| möchten nur friedlich demonstrieren, ohne jede Form der Gewalt.“ Er blickt | |
| über die Schulter: Das Protestcamp Hunderter syrischer Flüchtlinge im | |
| Dortmunder Westen hätte nach knapp einer Woche beinahe etwas Gemütliches, | |
| wenn die Lage der Betroffenen nicht unverändert dramatisch wäre. | |
| Transparente und Plakate mit dicken schwarzen Buchstaben wellen sich im | |
| Wind: „Unsere Familien sind noch im Kriegsgebiet“, und „Wir wollen hier | |
| arbeiten und lernen“ steht darauf. Männer kauern im Schneidersitz auf | |
| zahllosen Decken, spielen Karten oder versuchen zu schlafen. Zum | |
| Mittagessen an Tag fünf gibt es Reis und Radieschen, die Luft ist schwül, | |
| die Stimmung friedlich. | |
| Seit Dienstag vergangener Woche demonstrieren die SyrerInnen vor der | |
| Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in | |
| Dortmund. Sie fordern eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge. Auf | |
| ihre Anhörung warten viele schon seit Monaten, manche seit einem Jahr. Erst | |
| dann können sie einen Aufenthaltstitel bekommen, ohne den sie keine Chance | |
| haben, etwa ihre Familien nachzuholen. „Jeden Tag sterben in Syrien Mütter | |
| und Kinder“, sagt Khatib. „Wir alle haben dem Tod ins Auge gesehen.“ | |
| Doch bereits am ersten Tag der Demonstration marschierten bei Einbruch der | |
| Dämmerung rund 20 Dortmunder Neonazis auf das Camp zu. Sie riefen rechte | |
| Parolen und trugen gelbe T-Shirts der [1][Partei Die Rechte] oder mit der | |
| Aufschrift „Stadtschutz“. Nachdem die Rechtsextremen von der Polizei | |
| Platzverweise erhalten hatten, kam es zu einem Gerangel, das für fünf Nazis | |
| „zur Durchsetzung der Platzverweise und wegen Gefangenenbefreiung“ in | |
| Gewahrsam endete. | |
| ## Selbstanzündung verhindert | |
| Auch der rechte Ratsherr Michael Brück wurde festgenommen. Die Polizei | |
| sprach von „Methoden wie in der Nazizeit“; Polizeipräsident Gregor Lange | |
| kündigte an, alles zu unternehmen, um den Schutz der Geflüchteten | |
| sicherzustellen. | |
| Am Freitag dann versuchte ein syrischer Flüchtling, sich selbst anzuzünden. | |
| „Wir haben die Verzweiflung in seinen Augen gesehen“, sagt Khatib, der das | |
| Camp mitorganisiert. Er selbst und andere beobachteten, wie der Mann eine | |
| offenbar brennbare Flüssigkeit über sich schüttete und warfen den | |
| 40-Jährigen, der zum Glück kein Feuerzeug zur Hand hatte, zu Boden. | |
| Der Vorfall geschah vor den Augen von Gregor Lange, der im Camp zu Besuch | |
| war. Er sei sehr betroffen von der Verzweiflungstat. Khatib kritisiert die | |
| Tat des Mannes aber auch: „Er hätte andere damit in Gefahr bringen können, | |
| wir finden, das sendet die falsche Botschaft.“ Die DemonstrantInnen hätten | |
| auch von den zunächst geplanten Hungerstreiks abgesehen. „Wir brauchen | |
| vielmehr, dass die Menschen uns verstehen.“ | |
| ## Noch bis Dienstag | |
| MitarbeiterInnen des BAMF sprachen in der vergangenen Woche mehrfach mit | |
| den demonstrierenden SyrerInnen. Man verstehe die Wut und Trauer, doch es | |
| lägen zu viele Asylanträge vor, daher dauere die Bearbeitung so lange. | |
| „Warum werden wir überhaupt nach Dortmund gebracht, wenn die Behörden hier | |
| mit der hohen Anzahl an Asylbewerbern überfordert sind?“, fragen sich | |
| Khatib und seine MitstreiterInnen. Die Polizei schützt die angemeldete und | |
| genehmigte Demonstration der Asylsuchenden rund um die Uhr. | |
| Viele BürgerInnen Dortmunds zeigen sich solidarisch. Sie besuchen das Camp, | |
| bringen Isomatten, warme Getränke und Essen mit. Einige organisieren sich | |
| bei Twitter unter dem Hashtag [2][#protestbamfdo]. „Wir sind der Polizei | |
| und den Dortmundern unbeschreiblich dankbar für alles“, sagt Khatib. Die | |
| Asylsuchenden dürfen noch mindestens bis Dienstag vor dem Bundesamt | |
| protestieren, eigentlich wollten sie am Montag ihr Camp in die Innenstadt | |
| verlegen. | |
| Doch ausgerechnet den angekündigten Platz, die Katharinentreppe, werden nun | |
| die Neonazis für ihre wöchentliche Mahnwache nutzen. Das Camp wird nach | |
| Absprache mit der Polizei nun erst am Dienstag in die Innenstadt verlegt. | |
| „Wir möchten jede Konfrontation vermeiden“, sagt Khatib. Er stellt noch | |
| klar: „Wir vermissen Syrien. Wir haben uns die Situation nicht ausgesucht, | |
| aber jetzt gebt uns doch die Gelegenheit, gute Mitbürger zu sein.“ | |
| 14 Jun 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Militante-Neonazi-Szene/!5201445 | |
| [2] http://twitter.com/search?q=%23protestbamfdo&src=tyah | |
| ## AUTOREN | |
| Helke Ellersiek | |
| Hanna Voß | |
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