# taz.de -- Cohn-Bendit über Europa: „Das ist das Ende der Einäugigkeit“ | |
> Franzosen und Griechen wollen Investitionen und nicht mehr bloßes Sparen, | |
> sagt Daniel Cohn-Bendit. Angela Merkel wird ihren Kurs | |
> sozialdemokratisieren müssen, meint er. | |
Bild: Angela Merkel wird sich anpassen müssen, meint Daniel Cohn-Bendit. | |
taz: Herr Cohn-Bendit, war Sonntag ein guter Tag für Europa? | |
Dany Cohn-Bendit: Ja. Es war ein guter Tag, weil die Wählerinnen und Wähler | |
in Frankreich und Griechenland in je unterschiedlicher Weise der EU das | |
Signal gesandt haben: Ihr müsst euch bewegen. | |
Und wohin? | |
Das ist das Problem. Die Interpretationen gehen da natürlich auseinander. | |
Für mich steht fest, dass die Mehrheit der Franzosen eine europäische | |
Politik will, die die Wirtschaft ankurbelt – wie, ist nicht klar. Das | |
Mandat lautet, eine Politik, die auf nichts als Haushaltskonsolidierung | |
setzt, aufzugeben. | |
Die Message Griechenlands ist: So, wie die EU sich das gedacht hat, kann | |
das hier nicht funktionieren – wir brauchen mehr Luft für Sanierung und | |
Schuldenrückzahlung. Das berühmte Memorandum muss neu verhandelt werden. | |
Das finden offenbar auch die Rechtsaußen-Wähler. | |
Die Griechen haben nachvollziehbare und schreckliche Wahlentscheidungen | |
getroffen. Die rechtsradikale Partei in Griechenland ist die extremste | |
Europas, sie ist offen faschistisch. | |
Erleben wir jetzt das Ende der Austeritätspolitik à la Merkel? | |
Es ist auf jeden Fall das Ende der einäugigen Stabilitätspolitik. Wir | |
brauchen Investitionen, und wir brauchen europäische Eigeneinnahmen. Die | |
Bundesregierung wird sich von einem europäischen Schuldentilgungsfonds | |
überzeugen lassen müssen. Angela Merkel muss klar sein, dass die | |
demokratische Substanz Europas gefährdet ist, wenn keine positive Antwort | |
auf die griechische Wahl gegeben wird. Sonst gibt es dort keine stabile | |
Regierung, es droht eine autoritäre Lösung à la Ungarn. | |
Ist es nicht egal, was Merkel und Hollande jetzt machen, wenn die | |
Finanzmärkte die neue Unsicherheit für weitere Abwärtsspekulationen nutzen? | |
Ich sage: Lasst die Finanzmärkte Finanzmärkte sein und tun wir, was wir für | |
politisch richtig halten. Noch vor wenigen Tagen hieß es, die Finanzmärkte | |
würden negativ auf Hollande reagieren – sie haben es nicht gemacht. | |
De facto verlangen Sie, dass Europa sich für neue Investitionen | |
verschuldet, während sich die Nationalstaaten – die Grünen sowieso –gerade | |
zur Beschränkung der Neuverschuldung bekannt haben. | |
Ein europäischer Haushalt muss sich für sinnvolle Projekte auch verschulden | |
können. Und wenn ein Schuldentilgungsfonds etwa dazu führt, dass Italien | |
nur noch 3 statt 6 Prozent Zinsen zahlt, dann saniert dies die nationalen | |
Haushalte. Wenn man sich zu europäischen Steuern – sei es die | |
Finanztransaktionssteuer, eine Steuer auf Handy-Roaming-Gebühren oder eine | |
CO2-Steuer – entschließt, sind neue Schulden im Übrigen nicht nötig. Das | |
Problem ist, dass uns die Finanzpolitiker mit dem notwendigen Mumm fehlen. | |
Das klingt, als würde auch Hollande die Kanzlerin von einem solchen | |
Programm nicht überzeugen können? | |
Hollande ist kein Messias. Nein, der Druck muss schon aus Deutschland, von | |
SPD und Grünen her kommen. | |
Aber wird die Opposition in Deutschland nicht vom Sieg François Hollandes | |
profitieren können? | |
Ich glaube, dass Hollande vor allem Merkel dazu zwingen wird, ihren Kurs | |
weiter zu sozialdemokratisieren. Sie kann ja nur auf die nächste große | |
Koalition zusteuern, und das ist auch realistisch. In einem | |
Sechsparteienparlament wird es kein Rot-Grün geben. Wir haben hier keine | |
Wechselstimmung wie in Frankreich, das sieht man schon an der Lage der | |
Linkspartei. Was in Deutschland Wechselstimmung ist, materialisiert sich | |
bei den Piraten. | |
Sie geben Rot-Grün verloren? | |
Na ja, man muss sehen, wie es Sonntag in NRW läuft. Aber wenn die Piraten | |
sich jetzt zu einer anständigen soziallibertären Partei entwickeln, kann | |
ich mir auch eine rot-grün-orange Koalition 2013 vorstellen – warum nicht? | |
Bei uns im europäischen Parlament haben wir zwei schwedische Piraten in der | |
grünen Fraktion sitzen. Die stimmen in 99 Prozent der Fälle mit uns. | |
8 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
## TAGS | |
Kindesmissbrauch | |
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