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# taz.de -- Kommentar Linkspartei: Mehr als ein paar Wachstumskrümel
> Die Linkspartei droht aus der Zeit zu fallen. Um einen europäischen
> Kurswechsel in der Krisenpolitik mitzugestalten, sollte sie sich endlich
> aus der Schreckstarre befreien.
Die Linkspartei droht aus der Zeit zu fallen: In Frankreich wird ein
Sozialdemokrat mit dem Versprechen Präsident, das deutsche Spardiktat nicht
widerstandslos zum europäischen Maß der Dinge werden zu lassen. In
Griechenland stürmt ein Linksbündnis mit dem Nein zum Fiskalpakt in die
politische erste Reihe. Und in der Bundesrepublik?
Da verkümmert die einzige Partei, die sich klar und deutlich gegen das
Vertragsbündel aus wirtschaftspolitischem Unsinn und demokratischer
Einschränkung ausspricht, auf offener Bühne. Umfrageminus, Wahlniederlagen:
Man hat den Eindruck, im Berliner Karl-Liebknecht-Haus herrscht eine Art
Schreckstarre.
Ihre Ratlosigkeit versucht die Linken-Spitze mit Selbstbeschwörungsformeln
zu bekämpfen: Die Partei müsse aufhören, sich mit sich selbst zu
beschäftigen. Für die Wahlniederlage in Schleswig-Holstein, diesen
„bitteren Rückschlag“, macht Parteichef Klaus Ernst in erster Linie die
Personaldebatten verantwortlich - wieder einmal. Damit lässt sich zwar
trefflich die Verantwortung auf andere in den eigenen Reihen abschieben,
auf die „Eigentorschützen“. Eine Erklärung für das Ergebnisdesaster im
Norden ist es aber nicht.
Gleich danach bei der Ursachenforschung kommen die Piraten, denen die
Linkspartei ihre Proteststimmen mit der ebenso bequemen wie irreführenden
Behauptung neidet, sie hätten „zu den wirklich fundamentalen Fragen unserer
Zeit - Eurokrise, Bankenrettung, Finanzmarktregulierung“ nichts
beizutragen, wie es Sahra Wagenknecht formuliert. Dass die Fraktionsvize
den europäischen Schlamassel und die falsche Krisenpolitik der
Bundesregierung scharfsinniger zu analysieren weiß, wird zwar niemand
bezweifeln.
Nur gelingt es der Linkspartei ja trotzdem nicht, selbst mehr Zustimmung
bei Wahlen und in Umfragen zu erreichen. Das hat nicht nur, aber eben auch
mit dem Thema Fiskalpakt zu tun. Die Linkspartei hat schon früh auf den
Widersinn des Vertrags hingewiesen; sie hat bedenkenswerte
volkswirtschaftliche und verfassungsrechtliche Argumente formuliert, ihre
Bundestagsfraktion wird gegen das europäische Spar-Diktat in Karlsruhe
klagen.
Doch in Deutschland lebt der Zombie Neoliberalismus fröhlicher als anderswo
in Parlamenten und Medien weiter; die Sorge, dass eine Alternative zum
gegenwärtigen Rettungskurs alles nur noch schlimmer machen würde, ist
größer.
In dieser Situation sind gesellschaftliche Bündnisse nötig. Unter den
SPD-Linken werden Stimmen lauter, den Fiskalpakt wenigstens
nachzuverhandeln; die Gewerkschaften haben unlängst zum Politikwechsel
aufgerufen und als „ersten Schritt auf diesem Weg“ eine „Ablehnung des
Fiskalpakts in seiner gegenwärtigen Form und eine Neuverhandlung des
fiskalpolitischen Rahmens“ gefordert; die sozialen Bewegungen machen zu
Protesten mobil. Und auch Ökonomen hoffen, der neue Pariser Wind und das
griechische Feuer könnten die Diskussion hierzulande noch einmal neu
entfachen.
Es ist also nicht so, dass die Linkspartei allein stehen müsste. Sie tut es
trotzdem und das hat Gründe: Zu oft hat sie sich in die Behauptung
eingepanzert, ganz allein die Antworten auf die Krise zu haben; zu dominant
ist in ihren Reihen auch der Aberglaube, wichtigste Aufgabe sei es
nachzuweisen, dass die SPD „nicht sozialdemokratisch“ ist (Klaus Ernst).
Und zu starrinnig wird von mächtigen Strömungen in ihr jede Bündnisoption
als „Anbiederung an andere Parteien“ abgelehnt. Wenn dann einmal doch die
Hand in Richtung Rot-Grün ausgestreckt wird, wie zum Beispiel dieser Tage
für eine gemeinsame Initiative in Sachen Reichensteuer, kommt das vielen
nicht mehr besonders überzeugend vor.
Und es liefert der SPD die Argumente, sich selbst vor einer linken
Kräftebündelung wegzuducken. Überzeugung wäre aber gerade jetzt wichtig. Es
geht schließlich um viel. Es geht um die Möglichkeit einer europäischen
Wende, die ausbleibt, wenn nicht in Deutschland das Ruder herumgerissen
wird. Dazu braucht es auch eine starke Linkspartei, damit sich die
Alternative nicht in ein paar Wachstumskrümeln erschöpft. Als Partei in
Schreckstarre wird die Linke dieser Verantwortung nicht gerecht.
8 May 2012
## AUTOREN
Tom Strohschneider
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