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# taz.de -- Im Visier des Verfassungschutzes: Die Linke nicht länger am Pranger
> Nicht mehr die ganze Linke wird vom Verfassungsschutz beobachtet, sondern
> nur noch bestimmte Zirkel der Partei. Der Linkspartei reicht das nicht.
Bild: Die Linke steht nicht mehr als Partei unter Beobachtung des Verfassungssc…
FREIBURG taz | Erstmals wird die Linke nicht mehr als ganze Partei vom
Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Das hat Innenminister
Hans-Peter Friedrich (CSU) bereits im November 2012 entschieden, bisher
aber nicht offen kommuniziert, erfuhr die taz. Der Verfassungsschutz
sammelt seither nur noch Material über radikale Zirkel in der Partei.
Seit der Wiedervereinigung widmete das Bundesamt in seinen jährlichen
Verfassungsschutzberichten der Partei stets ein eigenes Kapital, egal ob
sie gerade PDS, Linkspartei oder (seit 2007) Die Linke hieß.
Damit wurde der Öffentlichkeit signalisiert, dass die gesamte Partei und
nicht nur einzelne Teile Beobachtungsobjekt des Bundesamts für
Verfassungsschutz sind. Auch Spitzenpolitiker wie Gregor Gysi hatten eine
eigene Akte beim Verfassungsschutz.
Damit soll nach taz-Informationen nun Schluss sein. Am 16. November wies
Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) das Bundesamt an, nicht mehr die
Linke als Gesamtpartei zu beobachten, sondern nur noch „offen
extremistische Zusammenschlüsse“ innerhalb der Partei.
Schon wenige Tage später, am 21. November, wurde das Parlamentarische
Kontrollgremium des Bundestags über den neuen Kurs informiert. Die
Öffentlichkeit wurde von Friedrich bislang aber nicht unterrichtet. Und die
parlamentarischen Geheimdienstkontrolleure müssen Stillschweigen bewahren.
Ob die Linke vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist eine hochpolitische
Frage. Dabei geht es weniger um Erkenntnisgewinn, schließlich sammelte das
Bundesamt nur Zeitungsausschnitte und setzte keine nachrichtendienstlichen
Mittel wie V-Leute ein. Vielmehr geht es um die öffentliche
Verrufserklärung. Wer im Verfassungsschutzbericht steht, ist irgendwie
gefährlich und damit stigmatisiert.
Das Bundesinnenministerium will seinen Kurswechsel auf Nachfrage nicht
bestätigen. „Über solche Fragen werden nur die zuständigen
parlamentarischen Gremien unterrichtet“, sagte ein Sprecher. Vermutlich hat
Friedrich Angst, dass ihm seine Unionsfreunde vorwerfen, er hätte der
Linken einen Persilschein ausgestellt. Immerhin kommt eine Partei, die
nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet wird, auch eher für
rot-grün-rote Koalitionsüberlegungen in Betracht.
So gesehen ist es aber durchaus ein Politikum, dass der Kurswechsel der
Öffentlichkeit zwei Monate lang verschwiegen wurde. Das Stigma der
Geheimdienstbeobachtung sollte offensichtlich so lange wie möglich
aufrechterhalten werden.
## Veränderte Prioritäten
Allerdings hätte Friedrich spätestens im Sommer bei der Vorstellung des
neuen Verfassungsschutzberichts Farbe bekennen müssen. Bis zur
Bundestagswahl hätte er seinen Erlass also nicht verschweigen können.
Tatsächlich beruht Friedrichs Verschonung der Linken wohl weniger auf
besserer Einsicht als auf einer Verschiebung der Prioritäten.
Nach dem Desaster um den vom Verfassungsschutz nicht erkannten NSU-Terror
wollen Friedrich und der neue Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen das
Amt vorrangig auf den gewaltorientierten Extremismus ausrichten. Die
weitere Beobachtung der gesamten Linken mit ihren rund 70.000 Mitgliedern
hätte diese Strategie unglaubwürdig gemacht.
Zugleich will der Innenminister die Linke aber auch nicht in Ruhe lassen.
Mindestens fünf Zirkel sollen weiter im Blickfeld des Verfassungsschutzes
bleiben: die „Kommunistische Plattform“ (1.250 Mitglieder laut VS-Bericht
2011), die „sozialistische Linke“ (800), Die AG „Cuba Si“ (400), das
„Marxistische Forum“ (300) und das Diskussionsforum „Antikapitalistische
Linke“, zu dem auch viele Parteilose gehören.
## Abgeordnete unter Beobachtung
Laut VS-Bericht gehören dem 44-köpfigen Parteivorstand 11 Mitglieder
solcher „offen extremistischen“ Strömungen an. Unter den 16 Mitglieder der
Programmkommission seien sechs Extremisten gewesen.
Auch Bundestagsabgeordnete der Linken werden weiter vom Verfassungsschutz
beobachtet. Waren es früher 27 von 76 Fraktionsmitgliedern, sind es jetzt
noch 25. Nach taz-Informationen sind acht Namen von der Liste gestrichen
worden – darunter Fraktionschef Gregor Gysi – und dafür sechs neue Namen
hinzugekommen.
Die Linke reagiert deshalb auch keineswegs dankbar auf Friedrichs Schritt.
Sie kritisiert, dass noch immer Teile der Partei „bespitzelt“ werden.
„Dahinter verbirgt sich nicht weniger als eine Diskreditierung
demokratischen Widerspruchs“, sagte Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn der
taz.
## „Wir werden klagen“
Steffen Bockhahn, der Geheimdienstexperte der Linken, sagte: „Die Partei
lässt sich nicht spalten und auseinanderdividieren. Wir werden weiter
klagen, solange Teile der Partei als verfassungswidrig stigmatisiert
werden.“
Tatsächlich hat die Bundestagsfraktion der Linken schon 2008 beim
Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen die Geheimdienstbeobachtung
eingereicht.
Und der Thüringer Landtagsabgeordnete Bodo Ramelow erhob 2011 eine
Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Leipziger
Bundesverwaltungsgerichts, das Ramelows Beobachtung gebilligt hatte. Die
Gesamtentwicklung einer Partei könne nur verlässlich verfolgt werden, wenn
auch nichtextremistische Spitzenpolitiker beobachtet werden, hieß es
damals.
Über beide Klagen will das Bundesverfassungsgericht bald beraten. Eine
Entscheidung werde „im ersten Halbjahr 2013“ fallen, erklärte ein Sprecher
des Karlsruher Gerichts auf Nachfrage der taz. Vorbereitet wird das Urteil
von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle persönlich.
22 Jan 2013
## AUTOREN
Christian Rath
Christian Rath
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