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# taz.de -- Untersuchungsausschuss zum NSU: Verloren im Thüringer Wald
> Der Untersuchungsausschuss des Bundestags geht in seine entscheidende
> Phase. Über zwei Millionen Seiten Akten sorgen für schlafarme Nächte.
Bild: „Die Augen übergegangen“: Von Donnerstag an wird der NSU-Ausschuss d…
BERLIN taz | Polizisten bewachten die Villa, rund um die Uhr, fast ein
halbes Jahr lang. Drinnen hatte sich unter strenger Geheimhaltung die vom
Thüringer Innenminister beauftragte Schäfer-Kommission eingerichtet, um das
NSU-Debakel zu untersuchen. Auf einem Flipchart hielten die Mitglieder in
verschiedenen Farben fest, welche Informationen der
Landes-Verfassungsschutz über das 1998 untergetauchte Neonazi-Trio hatte –
und ignorierte.
„Als wir damit fertig waren, sind uns die Augen übergegangen“, beschrieb
der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer vor Kurzem das Vorgehen seiner
bis Mitte Mai 2012 arbeitenden Kommission. Zentrales Ergebnis: Der
Thüringer Geheimdienst hatte nicht nur Hinweise auf ein Abtauchen des
Jenaer Trios im nahen Sachsen, sondern auch auf Waffenlieferungen und
Überfälle – nur die für die Fahndung zuständige Polizei erfuhr davon
nichts.
Als „mehr als wichtige Grundlagenarbeit“ lobte der CDU-Abgeordnete Clemens
Binninger Schäfers Bericht, als der Ex-Richter diesen im Dezember in Berlin
erläuterte. Doch viele Fragen blieben auch in dem Gutachten noch
unbeantwortet.
Von diesem Donnerstag an wird der NSU-Ausschuss des Bundestags deshalb eine
ganze Reihe von Zeugen aus dem Thüringer Apparat hören müssen, die sich
mitunter [1][fundamental widersprechen und gegenseitig wilde Vorwürfe
machen]: Polizisten, Verfassungsschützer, Staatsanwälte, womöglich auch
V-Leute.
Gleichzeitig beginnt damit auch die entscheidende Phase des
Untersuchungsausschusses, der trotz inzwischen mehr als zwei Millionen
Seiten an Akten am Ziel festhält, bis zum Sommer seinen Abschlussbericht zu
schreiben – samt Empfehlungen für eine Reform der gesamten deutschen
Sicherheitsarchitektur. „Wir müssen fertig werden“, sagt die
Linken-Abgeordnete Petra Pau.
## Den Überblick verloren
Doch die Gefahr, sich im Thüringer Wald zu verlaufen, ist groß. Das liegt
auch daran, dass das Bundesland dem Ausschuss wortwörtlich alle Unterlagen
zukommen ließ, die auch nur im Entferntesten etwas mit dem Thema
Rechtsextremismus zu tun haben könnten, von braunen Tendenzen in der
Technoszene bis zu einem „Druiden-Ring“ im Freistaat. „Ich habe den
Überblick über all diese Akten verloren“, gibt der Grünen-Abgeordnete
Wolfgang Wieland offen zu.
Doch manche Dokumente in den Aktenbergen des Ausschusses werfen ernste
Fragen auf. Etwa eine Kontaktliste von Uwe Mundlos, die nach Untertauchen
des NSU-Trios 1998 in deren Bombenbauwerkstatt in einer Jenaer Garage
gefunden wurde. Allein zehn Mal tauchte darauf die sächsische Stadt
Chemnitz auf – dort versteckten sich die drei Neonazis bis 2000.
Auch die Namen von zwei der nun mit Beate Zschäpe angeklagten vier
NSU-Helfer standen auf der Garagenliste. Warum maß die Polizei ausgerechnet
diesem wichtigen Fundstück bei der Suche nach dem Trio keine Bedeutung bei?
## Mit Mundlos an der Ampel
Unklar ist auch, wie die Polizei mit einer Zeugenaussage umging, die 2003
noch zu einem späten Fahndungserfolg hätte führen können. In dem Jahr
berichtete ein alter Bekannter von Uwe Böhnhardt, er sei diesem einige
Monate vorher in Jena begegnet – eine Aussage, die er inzwischen im Kern
gegenüber dem BKA wiederholt hat. Böhnhardt habe damals in einem roten
Hyundai an der Ampel gewartet, so Böhnhardts ehemaliger Kumpel aus
Jugendzeiten.
Doch keine drei Wochen nach dieser Aussage Anfang Juni 2003 wurde die
Fahndung nach den Neonazis eingestellt, da der in den Haftbefehlen gegen
das Trio von 1998 aufgeführte Bombenbau nach fünf Jahren verjährt war.
Dabei hätte die Polizei gerade nach Böhnhardt noch vier weitere Jahre
suchen können. Der Neonazi war wenige Monate vor dem Untertauchen wegen
Volksverhetzung zu zwei Jahren und drei Monaten Jugendgefängnis verurteilt
worden. Die Haftstrafe trat er nie an – erst am 13. Dezember 2007 wäre sie
verjährt. Bis dahin hatten die Mörder des NSU zehn Menschen erschossen.
17 Jan 2013
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## AUTOREN
Wolf Schmidt
Wolf Schmidt
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Ausschuss
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Verfassungsschutz
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Zschäpe
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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