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# taz.de -- Gesetz zur Homo-Ehe in Frankreich: Zeit der Revanche
> Mit dem Gesetz für die Homo-Ehe erfüllt Präsident François Hollande sein
> Wahlversprechen. Religiösen und Rechten im Land passt das gar nicht.
Bild: Das also soll der „französische Frühling“ sein?
PARIS taz | Auf der Esplanade vor dem Pariser Invalidendom knien ein paar
Dutzend gut gekleidete junge Leute neben einem Priester in schwarzer
Soutane. Die Kundgebung gegen die Homo-Ehe ist seit zwei Stunden zu Ende.
Diese Unentwegten aber schwenken noch die blauen und rosaroten
Demo-Fähnchen mit dem Dreifaltigkeitssymbol der Familie: Vater, Mutter,
Kind.
Einige beten, anderen singen. Manche frösteln wegen der Kälte der
einbrechenden Nacht und fühlen sich mit ihrem Ausharren vielleicht schon
als Märtyrer. Die Frechsten rufen den Bereitschaftspolizisten zu, sie
sollen sich mit ihnen solidarisieren oder mit ihnen gegen den
Élysée-Präsidentschaftspalast marschieren.
Die Beamten haben andere Order. Sie beenden die unangemeldete „Andacht“ und
tragen schließlich die letzten Teilnehmer bis zur Metro. Dort verabreden
sich diese bereits zur den nächsten Aktionen am Dienstag, wenn die
Abgeordneten der Nationalversammlung das Gesetz verabschieden und damit
[1][den Schlusspunkt] unter eine lange und oft tumultuöse Parlamentsdebatte
setzen.
Das also soll der „Französische Frühling“ sein? Mit diesem etwas zu
wohlmeinenden Ausdruck für eine kollektive homophobe Hysterie einer äußerst
aufgebrachten Minorität in Frankreich bezeichnen französische Medien
mittlerweile die Bewegung gegen die Einführung der Ehe und des
Adoptionsrechts für homosexuelle Paare.
## Proteste begannen im Herbst 2012
In Wirklichkeit begannen diese Proteste im letzten Herbst, als die
Regierung zur Umsetzung von François Hollandes Wahlversprechen Nr. 31 eine
Gesetzesvorlage zur Homo-Ehe dem Parlament vorschlug. Bestimmt hatten weder
der sozialistische Präsident noch seine Justizministerin Christiane Taubira
erwartet, dass der Text mit dem politisch entschärfend formulierten Titel
„Heirat für alle“ einen solchen nachhaltigen Wirbel im Land auslösen wür…
Für die Linke – und ursprünglich auch einen Teil der bürgerlichen Rechten …
ging es da doch bloß um eine längst fällige demokratische Nachbesserung, um
eine rechtliche Gleichstellung der Homosexuellen, wie sie in zahlreichen
anderen Ländern bereits in Kraft oder ebenfalls auf dem Weg der
Gesetzgebung war. Wer hätte gedacht, das Hollande da [2][anscheinend in ein
Wespennest stach]?
Die Reform betrifft ja zudem Minderheiten in der Gesellschaft. Aufgrund der
Erfahrung in Nachbarländern kann man davon ausgehen, dass maximal 2 bis 5
Prozent der Ehen von homosexuellen Paaren geschlossen würden.
Noch jetzt verstehen wahrscheinlich die Hälfte der Französinnen und
Franzosen nicht, warum sich andere ihrer Landsleute darüber derart aufregen
können, dass sie seit Januar – gelegentlich gar zu Hunderttausenden –
Sonntag für Sonntag auf die Straße gehen.
## Emotionsgeladene Verhinderung
Warum bloß stört es sie, dass sich vor dem Standesbeamten auch zwei Männer
oder zwei Frauen das Jawort geben dürfen? Und dass sie allenfalls Kinder
adoptieren könnten, wie ihnen als Ledige dies das Gesetz theoretisch auch
schon bisher erlaubt? Natürlich geht es bei dieser emotionsgeladenen
Verhinderung der Homo-Ehe um viel grundlegendere Motive – aber auch um
unausgesprochene Ressentiments und verdrängte Ängste.
Wer die Demonstranten über den Grund ihrer Empörung fragt, muss sich
belehren lassen, wie man Babys „macht“. Das ist Biologie und folglich
„Naturrecht“. Es gibt zwei Geschlechter, es braucht eine Frau und einen
Mann für die – von Gott gewollte und für den Fortbestand der Nation
notwendige – Fortpflanzung.
Obwohl die Frage des Zugangs zu Technologien der medizinisch unterstützten
Befruchtung explizit aus der Gesetzesvorlage ausgeklammert wurde, tun die
Homo-Ehe-Gegner so, als stehe dies jetzt zur Debatte. Für die Mobilisierung
erwies sich das Amalgam als sehr wirksam.
Wer da aber der Natur ins Handwerk der Fortpflanzung pfuscht, steuere „mit
allerbesten Absichten auf einen totalitären Staat“ zu, sagte uns die in
dieser Bewegung sehr aktive Exministerin und Vorsitzende der kleinen
Christdemokratischen Partei (PCD), Christine Boutin. Für sie sei die
Ablehnung der Homo-Ehe nicht eine Sache der Religion, sondern der
„Anthropologie“. Denn die Kinder würden bei einer Homo-Ehe mit Nachkommen
„belogen“, und ihr Recht zu wissen, woher sie kommen, von wem sie
abstammen, werde infrage gestellt.
## Mit der Bibel in der Hand
Boutin hatte als praktizierenden Katholikin vor 13 Jahren schon mit der
Bibel in der Hand im Parlament die Einführung des PACS, des
Konkubinatsvertrags für homo- und für heterosexuelle Paare, bekämpft und
das Ende der traditionellen Familie heraufbeschworen. Über hundert Jahre
lang herrschte zwischen dem konservativen und restaurativen Frankreich und
den weltlich-fortschrittlichen Kräften ein bloßer Waffenstillstand. Jetzt
löst jede politische Offensive von der einen oder der anderen Seite – zum
Beispiel in Schulfragen oder Themen der Bioethik – unweigerlich einen
„Glaubenskrieg“ aus.
Vor allem aber hatte die Regierung die Revanchewünsche der konservativen
oder nostalgischen, auf traditionelle und religiöse Werte bestehenden
Volkskreise unterschätzt. Insgeheim hoffen manche sogar das Rad der
Geschichte zurückzudrehen auf die Epoche vor dem Mai 68, als die Rollen,
die Autorität und Ordnung ins Wanken gerieten.
Die bürgerliche Rechte wiederum hat schnell verstanden, dass sie nach ihrer
Wahlniederlage auf diesem gesellschaftspolitischen Terrain mit einer
Aktionseinheit mit Kräften [3][weiter rechts die Regierung in
Schwierigkeiten bringen kann]. Die Bewegung gegen die Homo-Ehe wurde so zum
Sammelbecken einer vielschichtigen Ablehnung der Linksregierung und ihrer
progressiven, weltlichen Politik. Diese Ablehnungsfront ist so über ihr
eigentliches Anliegen hinausgewachsen.
Und das nicht zuletzt auf Kosten der Homosexuellen, die nun das schale
Gefühl haben, dass sie womöglich für einen relativ bescheidenen Fortschritt
mit einer gefährlichen Zunahme der Homophobie in Frankreich bezahlen.
23 Apr 2013
## LINKS
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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