| # taz.de -- Milizen in der libyschen Sahara: In der Wüste lauern Krokodile | |
| > Tief im libyschen Süden organisieren Milizen des Toubou-Volkes das Leben | |
| > in Abgrenzung zum Staat. Sie setzen afrikanische Migranten fest. | |
| Bild: „Wer keine Papiere hat, wird zurückgeschickt“: Checkpoint der Toubo… | |
| SEBHA taz | Schon am Stadtrand spürt man, wie sehr sich [1][der libysche | |
| Staat] aus der Sahara zurückgezogen hat. Alle paar Kilometer markieren | |
| provisorische Kontrollstellen die Grenzen neuer Machtgebiete. Zerschossene | |
| Autowracks in den Sanddünen am Straßenrand erinnern immer noch an die | |
| Kämpfe im Zuge des Sturzes von Gaddafi 2011. | |
| „Mischt euch nicht ein“, warnt ein Graffito in der Innenstadt von Sebha mit | |
| ihren 200.000 Einwohnern. Gemeint sind die Handelsrouten zur 2.000 | |
| Kilometer langen Südgrenze Libyens. Während sich die Regierung in Tripolis | |
| vom Ölexport finanziert, verdienen am Warenverkehr in der südlibyschen | |
| Region Fezzan Milizen. Auf Pick-ups transportieren sie Waffen nach Mali, | |
| Drogen nach Tripolis und afrikanische Flüchtlinge in Richtung Europa. | |
| Der Gegensatz zwischen Staat und lokalen Milizen ist auch ein ethnischer. | |
| 170 Kilometer weiter, kurz vor Murzuk, wird die Hautfarbe der jungen Männer | |
| in Armeeuniform dunkler. Es sind Toubou, die Ureinwohner des Fezzan. „Wir | |
| [2][Toubou] kämpften als Einzige im Südlibyen auf der Seite der | |
| Revolution“, erklärt Journalist Mohamed Lino. | |
| Die Mehrheit der arabischen Stämme Sebhas hingegen kämpfte zusammen mit den | |
| Tuareg bis zum bitteren Ende an der Seite Gaddafis. Im zwangsarabisierten | |
| Libyen bleiben die Widerstände gegen die nichtarabischen Minderheiten groß. | |
| ## „Ein modernes Festival“ | |
| Mit ihrem ersten Kulturfest in der Oase Murzuk präsentieren sich jetzt die | |
| in Tschad, Niger und Libyen lebenden Toubou. „An der Küste glauben viele, | |
| wir seien noch ein Nomadenvolk, aber die libyschen Toubou sind Libyer wie | |
| alle anderen auch“, sagt Menschenrechtsaktivist Mohamed Senussi und | |
| verdreht bei den Vorführungen der Kamelreiter die Augen. „Ich möchte ein | |
| modernes Festival.“ | |
| Ans Rednerpult tritt der Kommandeur der Fezzan-Brigade der libyschen Armee, | |
| Ramadan Barasi. „Ohne Toubou, die Söhne der Wüste, wird es in Libyen keine | |
| Sicherheit geben“, betont er. Die mehr als tausend Besucher des Festivals | |
| sind zufrieden. „Doch leider hat die Armee hier kaum etwas zu sagen“, | |
| zischt Touboukämpfer Galma nüchtern. | |
| Ende vergangenen Jahres starben 180 Menschen bei Auseinandersetzungen | |
| zwischen Toubou und dem Stamm der Abu Seif in Sebha. „Die Mehrheit der | |
| Libyer glaubt, die Toubou kämen aus dem Tschad, und die Tuareg würden immer | |
| noch von der Gaddafi-Familie bezahlt“, sagt Senussi. | |
| An staubigen Straßenkreuzungen hocken mehrere Dutzend Somalier, Sudanesen | |
| und Nigerianer in zerlumpter Kleidung. Sie suchen Arbeit, und ihre | |
| Schaufeln, Besen und Farbrollen zeigen, für welche Tätigkeit man die | |
| Tagelöhner mieten kann für umgerechnet 5 Euro am Tag. Die Zahl der | |
| Migranten nimmt täglich zu. Wer kann, schlägt sich bis Tripolis durch und | |
| hofft auf ein Boot zur italienischen Insel Lampedusa. „Nach Schengen“, wie | |
| sie sagen. | |
| ## Einheit Derra Sahara | |
| Weiter südlich in al-Qatrun zeichnet ein ehemaliger Polizeibeamter auf der | |
| Karte die Routen der Schmuggler nach. „Über Tschad und Niger kommen | |
| Migranten und Drogen. Die Waffen werden im Länderdreieck mit Algerien und | |
| Niger übergeben.“ | |
| Der letzte große Checkpoint liegt 100 Kilometer vor der Grenze. Hier liegt | |
| das ehemalige Militärcamp Luer, das jetzt die Toubou der Einheit Derra | |
| Sahara, (Schutzschild der Wüste) nutzen. Der libysche Staat ist hier nicht | |
| mehr präsent. „Seit dem Ende der Revolution war noch niemand von der | |
| Regierung hier“, sagt der junge Kommandant Sahafedin Barka. „Wir bekommen | |
| kein Geld von der Regierung und müssen uns selbst finanzieren.“ | |
| Überladene Lastwagen aus dem Tschad mit Wanderarbeitern und Waren werden | |
| von den Toubou-Milizionären kontrolliert. „Wer keine Papiere hat, wird | |
| zurückgeschickt“, behauptet der Kommandant. 150 Migranten haben die | |
| Mitglieder der Derra Sahara eingesperrt. „Das Essen zahlt die Gemeinde in | |
| al-Qatrun“, sagt Kommandant Barka. In der Waffenkammer stapeln sich Kartons | |
| mit konfiszierten Drogen und Alkohol. | |
| Barka ist Realist. „Gegen die Menschenschmuggler haben wir keine Chance, es | |
| sind zu viele. Die religiösen Extremisten aus Ostlibyen haben wir aber aus | |
| unserem Gebiet vertrieben. Sie leben von Waffen- und Drogenverkauf. Wir | |
| nennen sie Krokodile. Denn nachdem sie verschwunden sind, weiß man nie, wo | |
| sie wiederauftauchen.“ | |
| 3 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!110836/ | |
| [2] /!91214/ | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
| ## TAGS | |
| Libyen | |
| Milizen | |
| Sahara | |
| Tschad | |
| Libyen | |
| Niger | |
| Mali | |
| Libyen | |
| Libyen | |
| Tripolis | |
| Mali | |
| Weltsozialforum | |
| Weltsozialforum | |
| Libyen | |
| Islamismus | |
| Frauen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rebellen aus Tschad in Libyen: Kämpfer auf Wanderschaft | |
| Im Süden Libyens setzen sich Rebellen aus Tschad fest. Sie nutzen die | |
| Sahara-Migrationsrouten. Tschads Regierung schließt die Grenzen. | |
| Milizen in Libyen: Der Wahnsinn wird Alltag | |
| In Libyens Hauptstadt Tripolis bauen vom Staat bezahlte Milizen ihre Macht | |
| aus. In Bengasi hingegen geht die Armee gegen bewaffnete Gruppen vor. | |
| Schmuggel in der Sahara: Auf der Piste von Drogen und Tod | |
| Kokain kommt immer öfter über die Sahara nach Europa. Leicht verdientes | |
| Geld, glauben die Tuareg. Eine Reise zu den Schmugglern. | |
| Kommentar Folgen des Mali-Kriegs: Die islamistische Internationale lebt | |
| Nach dem Mali-Krieg destabilisiert sich die Lage in den Nachbarländern. | |
| Jedes kämpft für sich allein gegen islamistische Extremisten. | |
| Ziviler Protest gegen Rebellen in Libyen: Permanente Revolution? | |
| Die Milizen und Rebellen, die das Gaddafi-Regime stürzten, wollen ihre | |
| Autonomie behalten. Auch treiben sie die gewählten Institutionen vor sich | |
| her. | |
| Gaddafi-Sohn angeklagt: Wüstendorf gegen Weltgericht | |
| Im libyschen Zintan beginnt der Prozess gegen den Gaddafi-Sohn Seif | |
| al-Islam. Dahinter steht ein Streit mit dem Internationalen | |
| Strafgerichtshof. | |
| Proteste in Tripolis: Bewaffnete blockieren Ministerien | |
| Nach dem Außenministerium blockieren Milizionäre in Libyen auch das | |
| Justizministerium. Ehemalige Gaddafi-Funktionäre sollen dort nicht mehr | |
| arbeiten, fordern sie. | |
| Kommentar Bundeswehr in Mali: Gut gemeint, schlecht angelegt | |
| Dass die Deutschen den Maliern etwas beibringen wollen, trägt nicht zur | |
| Lösung des Konflikts in dem Land bei. Und die Armee ist ein eher | |
| zweifelhafter Kooperationspartner. | |
| Weltsozialforum in Tunis: Das Fähnchen des neuen Libyen | |
| Erstmals sind libysche Zivilorganisationen beim Sozialforum. Sie stöhnen | |
| über ihre Regierung und versuchen, Inhaftierten Beistand zu leisten. | |
| Weltsozialforum in Tunesien: Die Revolution kriegt Besuch | |
| Das Weltsozialforum findet erstmalig in einem arabischen Land statt. Viele | |
| glaubten, es sei zu früh. Nun gibt es einen Deal: Keine Kritik am | |
| tunesischen Regime. | |
| Konflikt in Libyen: Hunderte überfallen TV-Sender | |
| Der Machtkampf zwischen Religiösen und Liberalen in Libyen spitzt sich zu. | |
| Selbstständig agierende Gruppen machen sich zunehmend unbeliebt. | |
| Jahrestag in Libyen: Bengasi bleibt eine rebellische Stadt | |
| Die libysche Regierung rüstet sich für die Revolutionsfeiern. Im Osten des | |
| Landes wird zum Protest gegen Islamisten mobilisiert. | |
| Frauenkonferenz in Libyen: Eine Stimme für die Frauen | |
| Aktivistinnen diskutieren drei Tage lang über ihre Rechte. Auch in der | |
| bevorstehenden Debatte über eine neue Verfassung wollen sie mitmischen. |