# taz.de -- Konflikt in Libyen: Hunderte überfallen TV-Sender | |
> Der Machtkampf zwischen Religiösen und Liberalen in Libyen spitzt sich | |
> zu. Selbstständig agierende Gruppen machen sich zunehmend unbeliebt. | |
Bild: Feiern zum Jahrestag der Revolution am 17. Februar. | |
TRIPOLIS taz | In Libyen wird der Machtkampf zwischen religiösen Milizen | |
und Parteien sowie den liberalen Kräften schärfer. Am vergangenen | |
Donnerstagnachmittag bereiteten sich die Journalisten von al-Assema gerade | |
auf ihre Abendsendung vor. Thema der Sendung des einflussreichstem privaten | |
Fernsehsenders sollte einmal mehr die Besetzung des Parlaments durch | |
Dutzende Kriegsveteranen sein. | |
Die ehemaligen Kämpfer fordern Entschädigungszahlungen und den Ausschluss | |
aller Funktionäre des Gaddafi-Regimes aus dem politischen Leben. Einige | |
Kongressabgeordnete wurden bei Rangeleien verletzt; Sicherheitsleute | |
schlugen ein Kamerateam von al-Assema krankenhausreif. | |
„Wir waren vorgewarnt“, sagt Radschab Ben Ghazi, Moderator der | |
Abendsendung. „Aber als plötzlich die Tür meines Büros aufflog und | |
Bewaffnete unsere Redaktion stürmten, dachte ich, die Revolution war völlig | |
vergebens. Es waren Islamisten und Revolutionäre. Sie schrien, wir würden | |
mit unserer kritischen Berichterstattung über die Kongressbesetzung Chaos | |
in Libyen stiften.“ | |
## Ministerpräsident übt scharfe Kritik | |
Mehrere Hundert Milizionäre und Zivilisten verwüsteten den Sender und | |
verschleppten den Besitzer, Juma Osta, und seinen ehemaligen Manager Nabil | |
Schebani. Beide wurden inzwischen wieder freigelassen. | |
Ben Ghazi berichtet auch von Vorwürfen der Angreifer, der Sender stünde dem | |
liberalen Politiker Mahmud Dschibril nahe. Dschibril war unter Gaddafi | |
Planungsminister und später Übergangsspremier. Sein Parteienbündnis gewann | |
die Wahlen, aber für die Muslimbrüder ist er eine Art Staatsfeind geworden. | |
Ministerpräsident Ali Seidan kritisierte das Vorgehen der Milizionäre | |
scharf. „Das libysche Volk wird jeden in seine Schranken weisen, der die | |
Revolution und ihre Werte missbraucht. Zu den Werten gehört auch die | |
Freiheit der Medien“, sagte er. Seidan ging nicht darauf ein, dass einige | |
der Angreifer auf der Gehaltsliste des Staates standen. | |
## Die meisten Libyer wünschen ein härteres Auftreten des Staaten | |
Die Unterstützung der meisten Libyer für ein härteres Auftreten des Staates | |
gegenüber den Milizen wäre Seidan wohl sicher. Viele wünschen sich eine | |
funktionierende Armee und Polizei. | |
Dass die Libyer ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen können, haben die | |
Feiern zum zweiten Jahrestag der Revolution am 17. Februar gezeigt. | |
Nachbarschaftlich organisierte Kontrollpunkte und Patrouillen verhinderten | |
Zwischenfälle und hielten die Milizen fern. In Faschlum, einem Stadtteil | |
von Tripolis, lösten aufgebrachte Nachbarn eine illegale Miliz kurzerhand | |
auf und setzten deren Anführer fest, nachdem sie einen Apotheker entführt | |
und umgebracht hatte. | |
Doch am Samstag beschloss das Parlament, wegen der Sicherheitslage vorerst | |
keine weiteren Sitzungen abzuhalten. Dabei stehen drei wichtige | |
Entscheidungen an: die Verabschiedung des Haushalts, die Modalitäten der | |
Wahl einer 60-köpfigen Verfassungskommission und die Verschärfung des | |
Isolationsgesetzes, die ehemalige Regimeanhänger zehn Jahre von politischen | |
Ämtern ausschließen soll. | |
## Streit um die künftige Rolle der Scharia | |
Gegner einer Verschärfung argumentieren, dass mittlere Regimefunktionäre | |
für den Wiederaufbau der Institutionen gebraucht werden. Die religiösen | |
Kräfte fordern eine auf der Scharia basierende Verfassung und möglichst | |
wenig Staat. | |
„Welche Form der Scharia ist damit gemeint? Darüber muss in Libyen endlich | |
offen diskutiert werden“, sagt der Journalist Reda Fhelboom in seinem | |
Sender Libya International. Er kritisiert auch den obersten Geistlichen, | |
Sadiq al-Ghariani für dessen Schmährede über die Feiern am 17. Februar. | |
Bilder von tanzenden Männern und Frauen hätten ihn an westliche Nachtclubs | |
erinnert, so Ghariani. „Ich habe diese und andere seiner Bemerkungen als | |
unpassend kritisiert und werde nun von Extremisten bedroht“, so Fhelboom. | |
„Aber immerhin werden solche Themen nun überhaupt diskutiert. Das ist ein | |
Fortschritt.“ | |
11 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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