| # taz.de -- Gaddafi-Sohn angeklagt: Wüstendorf gegen Weltgericht | |
| > Im libyschen Zintan beginnt der Prozess gegen den Gaddafi-Sohn Seif | |
| > al-Islam. Dahinter steht ein Streit mit dem Internationalen | |
| > Strafgerichtshof. | |
| Bild: Seif al-Islam (vorne) nach seiner Festnahme im November 2011. | |
| ZINTAN/TRIPOLIS taz | Seit Donnerstag steht Seif al-Islam al-Gaddafi, Sohn | |
| und geplanter Nachfolger von Muammar al-Gaddafi, in der Wüstenstadt Zintan | |
| wieder vor Gericht. Angeklagt ist er mangels juristischer Beweise zunächst | |
| nicht wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen, sondern eines angeblichen | |
| Fluchtversuchs. Nach nur drei Stunden wurde das Verfahren auf den 19. | |
| September vertagt, um den libyschen Anwälten mehr Zeit zu geben. Der | |
| Porzess war im Januar eröffnet worden. | |
| Wenn es nach der libyschen Regierung gegangen wäre, hätte der | |
| Gerichtstermin in Tripolis stattgefunden. Im quirligen Vorort Tajoura, | |
| versteckt hinter Lagerhäusern, liegt der Betonklotz al-Adath. Das einst | |
| größte und wohl verfallenste Gefängnis der libyschen Hauptstadt sollte | |
| statt tausend eigentlich nur einen Gefangenen beherbergen, nämlich Seif | |
| al-Islam. | |
| „So aufwendig wurde wohl kaum kein anderes öffentliches Gebäude in Tripolis | |
| renoviert“, sagt einer der zahlreichen Wachposten auf seinem Pick-up mit | |
| obligatorischem Luftabwehrgeschütz. Doch der Volleyballplatz und das | |
| Fitnesscenter sind seit einem Jahr verwaist, obwohl Seif al-Islam im | |
| November 2011 in der Sahara aufgegriffen wurde. Eine Miliz aus dem | |
| Wüstennest Zintan hält ihn seitdem an einem unbekannten Ort fest. „Für die | |
| Zintanis ist er ein Faustpfand im Machtkampf um Geld und Macht. Sie | |
| argumentieren, dass er im Chaos von Tripolis befreit würde“, sagt einer der | |
| Wächter. | |
| ## Das Verfahren ist ein Test für die Rechtsstaatlichkeit | |
| Die Staatsanwaltschaft in Tripolis hat gegenwärtig tatsächlich nur wenige | |
| Argumente aufzubieten, das Verfahren von Zintan nach Tripolis zu holen. | |
| Einer kleinen Gruppe von Milizionären aus dem ganzen Land gelingt es seit | |
| Tagen, das Justiz- und Außenministerium zu besetzen und damit lahmzulegen. | |
| Sie fordern den Ausschuss sämtlicher ehemaliger Regimeanhänger aus | |
| öffentlichen Ämtern. In den Augen vieler Bürger stellt die bis jetzt | |
| friedliche Aktion der bewaffneten Revolutionäre einen weiteren Rückschlag | |
| beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit dar. | |
| Das Verfahren gegen Seif al-Islam al-Gaddafi vor dem Bezirksgericht in | |
| Zintan ist der erste große Lackmustest für die Rechtsstaatlichkeit im neuen | |
| Libyen. Der Übergangsrat in Bengasi hatte 2011 den Internationalen | |
| Strafgerichtshof in Den Haag gebeten, mögliche Kriegsverbrechen des | |
| Gaddafi-Regimes zu untersuchen. Der ICC, autorisiert vom UN-Sicherheitsrat, | |
| erhob daraufhin noch während der Kämpfe Anklage gegen Muamar al-Gaddafi, | |
| seinen Sohn und mehrere Generäle. | |
| ## Den Haag will in Kürze über Auslieferungsanträge entscheiden | |
| Doch inzwischen möchte Libyen die noch lebenden Angeklagten, Seif Gaddafi | |
| und Exgeheimdienstchef Abdallah Senussi, im eigenen Land aburteilen. Ihnen | |
| droht die Todesstrafe. In Den Haag wiederum entscheiden in Kürze drei | |
| Richter über die Auslieferung von Gaddafi und Senussi. Daher will die | |
| libysche Staatsanwaltschaft vorher Fakten schaffen. Sie will Seif Gaddafi, | |
| während des Krieges De-facto-Oberbefehlshaber des Regimes, keine | |
| Gelegenheit für Fernsehauftritte aus dem Gerichtssaal in Den Haag geben, so | |
| wie Slobodan Milosevic ihn für sich nutzen konnte. | |
| Marike Wierda von der UN-Mission in Libyen sieht durchaus Fortschritte im | |
| Aufbau eines neuen Rechtssystems. „Der sogenannte Hohe Rechtsrat kämpft um | |
| die Unabhängigkeit und den Aufbau eines Justizwesens nach internationalem | |
| Standard. Justizminister Salah Marghani ist ein anerkannter | |
| Menschenrechtsaktivist. Doch er muss bei null anfangen“, sagt sie. | |
| Stefan Schnitt von „Ärzte für Menschenrechte“ sammelt forensische Beweise | |
| für Kriegsverbrechen in Libyen, die er dem ICC zur Verfügung gestellt hat. | |
| "Das Problem ist die fehlende Zentralmacht im Land. Wenn der | |
| Premierminister oder die Staatsanwaltschaft etwas in Tripolis beschließt, | |
| bedeutet das noch lange nicht, dass es in Bengasi oder Zintan umgesetzt | |
| wird.“ | |
| ## Spekulationen über einen Tauschhandel | |
| Die Zeit drängt nicht nur im Fall Gaddafi. Mehrere regionale Konfliktherde | |
| zwischen ehemaligen Kriegsgegnern sind nur mit juristischer Aufarbeitung | |
| der Kriegsverbrechen zu bewältigen. Übergangsweise versucht sich der | |
| Ältestenrat Hukama als Vermittler – zuletzt nach Kämpfen zwischen Milizen | |
| aus Zintan und der südlichen Nachbarstadt Mizdah mit über 100 Toten. | |
| Doch auch für das Gericht in Zintan viel auf dem Spiel. Hintergrund der | |
| Vorwürfe wegen Fluchtversuchs ist ein Besuch der Anwältin Melinda Taylor | |
| vom ICC im Juni 2012. Libyschen Angaben zufolge soll sie Seif Gaddafi | |
| angeblich geheime Dokumente übergeben haben und wollte ihm zur Flucht | |
| verhelfen. | |
| Sie wurde daraufhin zusammen mit zwei Kollegen trotz diplomatischer Pässe | |
| vier Wochen festgehalten. Ungeachtet einer Vorladung erschien Taylor am | |
| Donnerstag nicht vor Gericht. Ein Prozeßbeobachter in Zintan kommentierte | |
| das Verfahren mit den Worten: "Das ist der Versuch eines Tauschhandels. | |
| Nach dem Motto: Wir heben die Anlage gegen sie (Taylor) auf und ihr (as | |
| ICC) vergesst die Auslieferung von Seif al Islam nach Den Haag.“ | |
| 3 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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