| # taz.de -- Milizen in Libyen: Der Wahnsinn wird Alltag | |
| > In Libyens Hauptstadt Tripolis bauen vom Staat bezahlte Milizen ihre | |
| > Macht aus. In Bengasi hingegen geht die Armee gegen bewaffnete Gruppen | |
| > vor. | |
| Bild: Soldat der Spezialeinheit „Thunderbolt“ in Bengasi. | |
| TRIPOLIS/BENGASI taz | Die Fahrt von dem gut besuchten Gelände der Baumesse | |
| „Libya Build“ zum internationalen Flughafen von Tripolis endet für die | |
| ausländischen Geschäftsleute mit einem gehörigen Schreck. Mitten im | |
| Feierabendverkehr stehen Uniformierte mit finsterer Miene an | |
| Straßensperren, von einigen Häuserblocks weiter hört man das Knattern von | |
| Maschinengewehren. Neugierige am Straßenrand verfolgen aufgeregt den Kampf | |
| der Polizei gegen angebliche Alkoholschmuggler. | |
| „Gargaresch ist ein liberaler Stadtteil, dies ist ein Angriff des | |
| ultrakonservativen Sicherheitskomitees aus Misurata gegen unseren | |
| Lebensstil“, beschwert sich ein Jugendlicher. Qualmende Autoreifen und | |
| Löcher in den Fassaden zeugen noch am nächsten Morgen vom heftigen | |
| Widerstand im Viertel, der die Milizenpolizei SSC zum Rückzug zwang. | |
| „Das Nebeneinander von Wirtschaftsboom und diesem Wahnsinn wurde in den | |
| letzten Monaten schleichend zur Normalität“, sagt Gheith Shannib in einem | |
| der vollbesetzten Cafés auf der Gargareschstraße. Auch Ausländer haben sich | |
| der Lage angepasst. Einen Steinwurf entfernt versuchen Mitarbeiter der im | |
| April von einer 100-Kilo-Autobombe zerstörten französischen Botschaft, in | |
| verrußten Räumen weiterzuarbeiten. | |
| „Dass nach den Tätern nicht einmal gesucht wird, ist ein gefährliches | |
| Signal“, sagt ein Student, der seinen Namen nicht nennen will. „Die | |
| ungebrochene Macht einiger Milizen, die sogar vom Staat bezahlt und | |
| legitimiert werden, ist wie eine Zeitbombe für Tripolis.“ Während die | |
| Polizei nicht einmal bei Verkehrsunfällen einzugreifen wagt, [1][nutzen | |
| Milizen die Anarchie für den Ausbau ihrer Macht]. Das letzte Opfer der | |
| Gesetzlosigkeit war ein Staatsanwalt, der nach einer Klage gegen | |
| SSC-Milizionäre nun selbst im Gefängnis sitzt. Justizminister Salah | |
| Marghani fordert seither verzweifelt seine Freilassung. | |
| ## Milizen verdienen mehr als Soldaten | |
| „Generalstabschef Jussuf Mangusch ist der Hauptgrund für die Macht dieser | |
| Gruppen“, sagt der Journalist Tafwik Mansourey aus Bengasi. „Milizen unter | |
| dem Kommando des Verteidigungsministeriums verdienen im Osten mehr als | |
| reguläre Soldaten, die seit Monaten auf ihren Sold warten.“ | |
| Nächtliche Explosionen und Anschläge auf Polizeistationen gehörten bis vor | |
| zwei Wochen zum Alltag in der Hauptstadt der Cyrenaika. Das Fass zum | |
| Überlaufen brachte die wohl zufällige Explosion eines mit Granaten | |
| beladenen Wagens vor dem Jalal-Krankenhaus mit drei Toten und zahlreiche | |
| Verletzten. | |
| Gegen den Befehl von Generalstabschef Mangoush besetzten Spezialeinheiten | |
| der Armee daraufhin neuralgische Punkte in der Stadt. Maskiert stürmten sie | |
| den Waffenbasar, in dem Händler alles von der Kalaschnikow bis zur | |
| Luftabwehrrakete offen an Milizen verkauften. | |
| Wie andere Bürger auch ging Aktivist Tafwik Mansurey mit einem Schild vor | |
| der Brust auf den Freiheitsplatz. „Danke Jungs“, stand darauf. Die Mehrheit | |
| der Bürger in Bengasi sympathisiert mit den Spezialeinheiten, weil sie sich | |
| im Gegensatz zu ihren Kollegen in Tripolis schon nach wenigen Tagen der | |
| Revolution angeschlossen und aus dem aktuellen Machtpoker um Posten | |
| herausgehalten haben. | |
| ## 50 ermordete Offiziere | |
| Für die seit der Revolution erstarkten Islamisten sind die gut trainierten | |
| Soldaten jedoch Kollaborateure des alten Regimes. Gaddafi setzte sie gegen | |
| den religiösen Widerstand im Osten ein. Neben Kommandeur [2][Abdul Fatah | |
| Junis] wurden in den letzten zwei Jahren über 50 Offiziere von Unbekannten | |
| ermordet. | |
| Doch die Bürger im rebellischen Bengasi haben genug von den zahlreichen | |
| Milizen. „Bengasi ist nicht Kandahar“, steht auf Plakaten in der | |
| Universität. „Die aus Mali zurückgekehrten Kämpfer und extremistischen | |
| Milizen sind die größte Gefahr für das zerbrechliche libysche | |
| Nachkriegsgefüge“, sagt der Chef der Spezialeinheiten, Wanis Bukhamada. | |
| Eine ähnliche Aussage hat dem ehemaligen Polizeichef von Bengasi, Farraj | |
| al-Dursi, im Januar das Leben gekostet. | |
| 29 May 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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