# taz.de -- Weltsozialforum in Tunesien: Die Revolution kriegt Besuch | |
> Das Weltsozialforum findet erstmalig in einem arabischen Land statt. | |
> Viele glaubten, es sei zu früh. Nun gibt es einen Deal: Keine Kritik am | |
> tunesischen Regime. | |
Bild: Tunesien ist noch nicht zur Ruhe gekommen: Beerdigung des sozialistischen… | |
Werden sie stolze Gastgeber sein? Oder bleibt am Ende nur das Gefühl, dass | |
sie gescheitert sind und nicht mal eine einzige Konferenz abhalten können, | |
ohne dass der Staat sie kontrolliert? Seit Wochen bereitet sich die | |
Studentin Sinda Garziz auf das [1][Weltsozialforum] vor – jenes am Dienstag | |
beginnende Treffen von rund 30.000 Globalisierungsgegnern. Garziz ist Teil | |
der tunesischen Zivilgesellschaft, die der Arabische Frühling | |
hervorgebracht hat. Mit ihrer Organisation „Article 13“ wird sie auf dem | |
Forum über Migration sprechen. | |
„[2][Eine andere Welt ist möglich]“, der von den mexikanischen Zapatisten | |
erfundene Slogan des Forums, „genau das haben wir uns damals ja auch | |
gedacht“, sagt sie. Damals, als Garziz und Hunderttausende Tunesier eine | |
Revolution herbeidemonstrierten und den Diktator Ben Ali gestürzt hatten. | |
Wochenlang boten sie Polizei und Geheimdienst auf den Straßen die Stirn, | |
rund 80 Menschen wurden dabei getötet, doch am Ende trugen sie den Sieg | |
gegen das Regime davon. | |
Einige machten sich danach auf in den Senegal, zum letzten Weltsozialforum. | |
Während in Ägypten und in Libyen noch gekämpft wurde, liefen die jungen | |
Revolutionäre, eingehüllt in Tunesienfahnen, durch Dakar – bejubelte Stars | |
des Arabischen Frühlings. Für die globalisierungskritische Bewegung, der | |
die Frische schon vor einiger Zeit abhanden gekommen war, avancierten sie | |
zu Symbolen eines neuen Aufbruchs. | |
Doch die Tunesier waren nicht nur gekommen, um sich feiern zu lassen. Sie | |
verlangten, dass das nächste Forum bei ihnen stattfinden müsse: Als | |
Verneigung vor der Arabellion, aber auch als Rückendeckung ihrer | |
demokratischen, säkularen Bewegung. Denn die hatte zwar Ben Ali gestürzt, | |
aber keine neue Ordnung geschaffen. „Schon damals war die Fragilität dieser | |
Prozesse klar“, sagt Hugo Braun, der für Attac im Internationalen Rat des | |
Weltsozialforums sitzt. „Die Entscheidung, das Forum nach Tunis zu geben, | |
war ein Akt der Solidarität mit dieser Bewegung.“ | |
## Lateinamerikaner sind skeptisch | |
In der meist autoritär regierten Arabischen Welt war ein solches | |
zivilgesellschaftliches Ereignis bis dahin undenkbar. Unumstritten war die | |
Entscheidung für Tunis nicht. Vor allem die dominierende | |
lateinamerikanische Fraktion hätte das Forum lieber wieder bei sich | |
abgehalten. Sie hegte große Vorbehalte: Wie würde 2013 das politische Klima | |
in Nordafrika sein? Würden die Islamisten die Revolution gekapert haben? | |
In Tunesien [3][regieren heute gemäßigte Islamisten]. Der künftige Kurs des | |
Landes ist noch immer stark umkämpft. Radikale Muslime streiten mit Linken, | |
beide mit der Regierung. Der aufsehenerregende [4][Mord an dem | |
sozialistischen Oppositionellen Chokri Belaïd] im Februar hat die Lage noch | |
verschärft. Der Druck auf die tunesischen Gastgeber ist gewachsen. | |
Wie die sonntaz erfuhr, verabredeten diese deshalb mit der Regierung eine | |
„Sicherheitsgarantie“ für das Forum. Im Gegenzug wahre man „Neutralität… | |
was die „konkreten politischen Auseinandersetzungen“ im Land angeht. Anders | |
gesagt: Die Regierung wird vom Forum nicht kritisiert. „Die Regierung | |
schützt das Forum und hält sich aus dem Rest raus“, sagt ihr Sprecher Amal | |
Jerbi. Allerdings könne man „schreiben, was man für richtig halte. Wir | |
machen da kein Glaubensbekenntnis daraus.“ | |
Der Campus der El-Manar-Universität, auf dem das Forum stattfindet, wird | |
vom Militär geschützt. Dass derlei Fürsorge von der Regierung umsonst zu | |
haben ist, glaubt in Tunesien niemand, sagt die Aktivistin Garziz. „Alle | |
wissen, dass es diese Verabredung gibt.“ Jene, die den arabischen Raum von | |
vornherein für nicht reif für ein solches Treffen gehalten haben, dürften | |
sich bestätigt sehen: Ein zivilgesellschaftliches Forum, das nur | |
stattfinden kann, wenn es die Regierung von Kritik ausnimmt, erinnert an | |
die Zeiten Ben Alis. | |
## Alle möglichen Gestalten | |
Die Arabellion ist keineswegs Geschichte: In Bahrain, Syrien und anderen | |
Ländern sind die Kämpfe längst nicht ausgefochten. Trotzdem ist weder die | |
Auftakt- noch die Abschlussdemo dem Arabischen Frühling gewidmet, sondern | |
der Freiheit Palästinas. „Das ist eben der Kernkonflikt in der arabischen | |
Welt“, sagt Attac-Mann Braun. | |
Mit 30.000 Teilnehmern rechnen die Veranstalter. Auch dieses Forum wird ein | |
Gemischtwarenladen, der alle möglichen Gestalten anzieht, die für „soziale | |
Gerechtigkeit“ sind. Doch anders als zuvor sind in Nordafrika nicht nur | |
Linksnationalisten oder orthodoxe Stalinisten zu fürchten. „Umverteilung | |
und soziale Gerechtigkeit sind explizit Themen islamistischer Gruppen“, | |
sagt der Tunesienexperte Sebastian Sons vom Deutschen Orientinstitut. „Die | |
nennen das vielleicht nicht Antiglobalisierung, aber es gibt da durchaus | |
Schnittstellen, was die Kritik an einer modernen kapitalistischen Welt | |
angeht.“ | |
Seit die Organisatoren das Programm veröffentlicht haben, ist absehbar, wer | |
erscheinen wird: säkulare, linke Organisationen, Gruppen aus Ägypten und | |
Tunesien, die die „Vermuslimbruderisierung“ ihrer Länder anprangern wollen | |
und islamische Organisationen wie „Horiya“, die die soziale Frage eher im | |
Namen Allahs beantworten. Für Garziz ist das in Ordnung. „Sie sind Teil | |
unserer Gesellschaft. Das ist ja gerade die Demokratie, für die wir | |
gekämpft haben.“ | |
25 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://weltsozialforum.org/2013/index.html | |
[2] http://alterglobalizacion.wordpress.com/foro-social-mundial-wsf/ | |
[3] /Kabinett-in-Tunesien/!112525/ | |
[4] /Trauerfeier-fuer-Belaid-in-Tunesien/!110684/ | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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