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# taz.de -- Weltsozialforum in Tunis: Saddam-Poster und Scharia-Aufrufe
> Treffen der Vielfalt: Islamistische Gruppen waren eine Minderheit auf dem
> Weltsozialforum in Tunis, aber eine sehr lautstarke.
Bild: Das geht immer: Pro-Palästina-Demo am Rande des Weltsozialforums in Tunis
TUNIS taz | Francisco Whitaker Ferreira, genannt Chico, ist kleiner Star an
diesem Tag. Vor dreizehn Jahren hat der freundliche ältere Mann in
Brasilien das Weltsozialforum (WSF) aus der Taufe gehoben.
Am Freitag läuft er über den brechend vollen Campus der
El-Manar-Universität in Tunis, die Sonne strahlt, und er kommt kaum voran.
Alle kennen ihn, wollen Hände schütteln, Fotos machen. „Das Forum ist
Demokratie“, sagt er: „Es ist Freiheit. Hier gibt es niemanden, der
bestimmt, keine Leitung. Jeder, der die Grundsätze respektiert, ist
willkommen.“
Die Grundsätze des WSF lauten: keine Regierungen, keine Parteien, keine
Guerillas. Dass auch eine Reihe islamistischer Gruppen Stände aufgestellt
hat, Flugblätter für die Einführung der Scharia verteilt und
Veranstaltungen durchführt, ist für Whitaker kein Problem. Auch die Stände,
an denen Fotos von Assad, Saddam Hussein, Hisbollah-Führern oder
beschmierte Israel-Fahnen hängen, stören ihn nicht: „Es ist eben ein Forum
der Vielfalt“, sagt er.
## Zwischen Religiösen und Säkularen
Die harten Fundamentalisten sind eine Minderheit unter den Zehntausenden
Globalisierungskritikern, aber ihre Präsenz ist nicht zu übersehen. Das
Forum, einst geschaffen, um dem globalisierten Kapitalismus, der sich zum
Weltwirtschaftsforum in Davos traf, den Entwurf eines Ausgleichs zwischen
Nord und Süd entgegenzusetzen, steht in Tunis auch mitten in der
Auseinandersetzung zwischen Religiösen und Säkularen.
Ein Forum am Vortag trug den Namen „Islamistische Regierungen und die
Rechte der Frau“. Hunderte ZuhörerInnen waren in den Hörsaal Chemie 2
gekommen, die meisten von ihnen Frauen mit Kopftuch. Als Erste schilderte
die Islamwissenschafsprofessorin Dalenda Larguech ihre Sicht auf die
Politik der regierenden islamistischen Ennahda-Partei.
„Die Frau soll nur durch ihr Verhältnis zum Mann definiert werden“,
kritisiert sie: „Jede Individualität und Staatsbürgerlichkeit wird ihr
weggenommen.“ Ihre Rede wird immer wieder von wütenden Zwischenrufen
unterbrochen.
Anders bei Maherzia Laabidi. Sie trägt ein Kopftuch, nach der Revolution
hatte die Ennahda-Partei sie in die verfassungsgebende Versammlung
geschickt. „Wir sind die Söhne und Töchter dieses Landes“, sagt sie. Der
Islam, soll das heißen, sei nichts Fremdes, vor dem sich die Menschen
fürchten müssen. Sie verstehe, dass es Ängste gebe, „aber ich bitte euch:
Rationalisiert diese Ängste.“
Auch sei der Islam kein Feind der Revolution: „Die partizipative Demokratie
und die Freiheit“, all das sei sehr wohl Teil des tunesischen, islamischen
Projekts. Und auch den Frauen werde kein Platz zweiter Klasse in der
Gesellschaft zugedacht: „Islamische Frauen haben Hoffnungen und
Persönlichkeit. Wir sind Intellektuelle, wir sind Arbeiterinnen und
Bäuerinnen,“ sie nimmt sogar das Wort „postfeministisch“ in den Mund. Die
Frau im Islam sei nicht weniger wert als der Mann – sie habe eben nur eine
„komplementäre Rolle“. Die Menschen im Hörsaal erheben sich zum Applaus.
Molka Sousi sieht das anders. Die junge Französischstudentin ist Sprecherin
des linken Studierendenverbands Uget. Der hat seine Zelte während des
Forums auf einer Wiese auf dem Campus aufgeschlagen. Die Präsenz der
Religiösen auf dem WSF sei unvermeidbar, sagt sie, doch sie würden die
Öffentlichkeit zu täuschen versuchen.
„Die Islamisten sind Manipulatoren, sie geben ein falsches Bild“, sagt sie.
Erst vor Kurzem hätten salafistische Studierende an ihrer Fakultät eine
Schlägerei angezettelt: „Es waren viele Leute darin verwickelt, es gab
Verletzte. Das war schrecklich.“ An der Universität seien die Islamisten
noch eine Minderheit, „aber ihr Einfluss wächst im ganzen Land erschreckend
schnell, vor allem unter jungen Leuten“. Sie habe Angst vor einem
islamistischen Kurs in Tunesien. „Die ganze Kultur wird sich dann ändern.
Ich hoffe, dass ich das nicht erleben muss.“
29 Mar 2013
## AUTOREN
Christian Jakob
Christian Jakob
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