# taz.de -- Pro und Contra Weltsozialforum: Brauchen wir ein Weltsozialforum? | |
> Rund 30.000 Aktivisten werden beim Weltsozialforum sein. Aber ist das | |
> Forum der Globaliserungskritiker überhaupt noch zeitgemäß? | |
Bild: Bunter Protest auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre 2005 | |
## JA | |
2011 nahm in Tunesien eine globale Bewegung ihren Anfang. Die vom | |
Arabischen Frühling angeschobene Welle globaler Rebellion setzte sich fort | |
auf dem Syntagma-Platz in Athen, bei den Indignados in Spanien, in London | |
und Paris, Chile und schließlich in New York, wo Occupy geboren wurde. | |
Diese Kämpfe mögen verschieden sein, aber sie haben etwas Fundamentales | |
gemeinsam: 2011, als wir die Macht herausgefordert haben, haben wir uns | |
alle in den Kämpfen der anderen gesehen. | |
Unsere Wut, die Ungerechtigkeit unserer Lage, sie spiegelte sich in allen | |
Protesten wechselseitig wieder. Das geschah vielleicht zum ersten Mal | |
überhaupt auf globalem Level. Denn anders als 1968 gab es das Internet, das | |
die Kämpfe direkt zusammen brachte. | |
All dies muss jetzt evaluiert werden. Es muss darüber nachgedacht werden, | |
wie es weiter gehen soll – und wo könnte man das besser tun, als am | |
Ursprungsort des globalen Protestzyklus’? | |
Denn die großen Institutionen, seien sie parlamentarisch oder | |
außerparlamentarisch, bringen die Lösung der großen Fragen unserer Zeit | |
nicht voran. Sie stoppen nicht den Klimawandel und sie stoppen nicht die | |
Krise. | |
Der Wohlstand wird oben konsolidiert und alle anderen werden hierfür | |
benutzt. Doch diese Globalisierung ist gescheitert. Ihr Modell ist im | |
freien Fall, man sieht es in Zypern, wo es den Eliten nicht einmal gelingt, | |
nur ein kleines Stückchen des Systems zu retten. | |
Deshalb brauchen wir Institutionen wie das Weltsozialforum. Man kann nicht | |
sagen wie „erfolgreich" es ist oder werden kann, aber man kann aber sagen, | |
dass es einer der wichtigsten Versuche ist, die Welt, so wie sie ist, nicht | |
hinzunehmen. | |
Jetzt ist ein Schlüsselmoment für unsere Kämpfe. Wir müssen den nächsten | |
Schritt des globalen Aufbegehrens gegen die ökonomische Elite gehen. Das | |
Weltsozialforum könnte diesmal für viel mehr stehen, als in der | |
Vergangenheit: Als ein großer Moment der globalen Rebellion. MICHAEL | |
LEVITIN | |
************* | |
## NEIN | |
Was passiert eigentlich, wenn eine Bewegungsinstitution die Bewegung | |
überlebt, aus der sie hervorgegangen ist? Das ist das zentrale Dilemma des | |
Weltsozialforums (WSF): Die institutionalisierte Macht hat die bewegliche | |
Macht hinter sich gelassen. | |
Die globale Bewegung gegen den Neoliberalismus und für eine andere Welt, | |
aus der die Foren entstanden sind, hat bedauerlicherweise das Zeitliche | |
gesegnet. | |
Natürlich gibt es weiterhin überall Widerstand gegen den zwar nicht mehr | |
hegemonialen, aber irgendwie doch allgegenwärtigen und scheinbar | |
unkaputtbaren Neoliberalismus. | |
Aber diese Bewegungen bleiben relativ vereinzelt. Sie fügen sich heute eben | |
nicht mehr zu einer „Bewegung der Bewegungen“ zusammen, wie das vor gut | |
zehn Jahren bei den großen Gipfelprotesten von Seattle, Genua oder Cancun, | |
und eben auf den Weltsozialforen der Fall war. | |
Deshalb zu sagen, die Foren sollten eingestampft werden, ginge vermutlich | |
zu weit. Sie erfüllen weiterhin wichtige Funktionen, von der regionalen | |
Vernetzung – in diesem Fall für linke Kräfte im Kontext des Arabischen | |
Frühlings – hin zur globalen Vernetzung lokaler Bewegungen. | |
Das WSF ist vermutlich nicht mehr der zeitgemäßeste Weg, das zu tun, aber | |
im Moment gibt es nicht besseres. | |
Wer ehrlich ist, muss aber konstatieren, dass so richtig viel „Welt“ im | |
„Weltsozialforum“ nicht mehr drinsteckt. Zu den Foren kommen zwei Sorten | |
von Aktivisten: Solche, die in der jeweiligen Gastgeber-Region aktiv sind, | |
wie 2009 in Belém und 2011 in Dakar zu sehen war. | |
Und es kommt der globale aktivistische Jetset, dessen Verbindungen zu den | |
regionalen Kontexten immer schwächer werden. | |
Das WSF hat keine globale Massenbasis mehr, und es kann diese, zumindest | |
zur Zeit, nicht haben. Deshalb erscheinen diese Events heute manchen wie | |
Fische ohne Wasser – so „ten years ago“. TADZIO MÜLLER | |
26 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
T. Müller | |
M. Levitin | |
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