| # taz.de -- Die vier Phasen der Globalisierungskritik: Der Zyklus des Protests | |
| > Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wird man die vierte Phase der | |
| > globalisierungskritischen Bewegung beobachten können. Bei Occupy wird | |
| > sich der Prozess wiederholen. | |
| Bild: Blank ziehen – ein typischer Ausdruck von Phase drei. Hier beim Europä… | |
| Es wird wieder eine gepflegte Veranstaltung werden im Hotel Montana. Die | |
| Herberge im Schweizer Skiort Davos ist von der Art, dass gekreuzte Skier | |
| über der Tür zum Tanzsaal hängen. 250 Menschen in Wollpullovern werden sich | |
| dort am kommenden Freitagmittag beim Duft von Kakao mit Schlagsahne | |
| zusammenfinden und verächtlich murren, wenn US-Ökonom Joseph Stiglitz die | |
| Verfehlungen globaler Konzerne anprangert. | |
| "Public Eye Award" heißt das zwölf Jahre alte Ritual. Über Menschen und | |
| Firmen, die nicht dabei sind, erzählen sich die Anwesenden schlimme Dinge. | |
| Am Ende verleihen sie einen Preis an den "skrupellosesten Konzern" der | |
| Welt. Folgen für die Firmen wird das keine haben. | |
| Im Hotel Montana kann man die Reste der globalisierungskritischen Bewegung | |
| beobachten. Viel ist nicht übrig geblieben. Aber ist sie deshalb erfolglos | |
| gewesen? Keinesfalls! Sie ist nur auf der letzten Stufe angekommen. Oder, | |
| wenn man so will, am Beginn eines neuen Zyklus. | |
| ## | |
| Reagan, Thatcher und Kohl haben die Welt in den Achtzigern gefügig gemacht. | |
| Blair, Clinton und Schröder vollendeten in den Neunzigern die Befreiung des | |
| Geldes vom Gesetz. Nur privater Reichtum ist guter Reichtum. "Jede Steuer | |
| ist zu hoch", postuliert Ökonom Milton Friedman. | |
| ## | |
| Am 1. Dezember 1999 verhindern 40.000 Demonstranten in Seattle, dass | |
| UN-Generalsekretär Kofi Annan und US-Außenministerin Madeleine Albright mit | |
| ihren Karossen zur Tagung der Welthandelskonferenz fahren. Steine, | |
| Schlagstöcke, Verletzte, Ausgangssperre – ab jetzt spricht man von der | |
| Bewegung der Globalisierungskritiker. | |
| ## | |
| Während in Davos wie immer im Januar das Weltwirtschaftsforum tagt, | |
| organisieren die Kritiker im Jahr 2001 im brasilianischen Porto Alegre ihre | |
| Gegenveranstaltung, das Weltsozialforum. Jeder kann seine Analysen und | |
| Rezepte gegen den schrankenlosen Kapitalismus einbringen. | |
| Linke in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern gründen Attac und | |
| fordern die Einführung einer globalen Steuer auf Finanzgeschäfte. Die | |
| Kanadierin Naomi Klein erklärt in ihrem Buch "No Logo", wie man die | |
| anscheinend allmächtigen Konzerne mit ihrer eigenen Waffe schlägt, dem | |
| Image. | |
| ## | |
| "Eine andere Welt ist möglich" lautet das Motto der Bewegung. Es ist | |
| mitreißend, großartig, aber zu groß und unbestimmt, um realisiert zu | |
| werden. Nicht nur die Weltsozialforen zerfasern in regionale | |
| Veranstaltungen, auch die globale Bewegung besinnt sich auf ihre | |
| unterschiedlichen konkreten und handhabbaren Anliegen – den Kampf für | |
| sauberes Trinkwasser, das Recht auf Nahrung, gegen die Privatisierung | |
| öffentlichen Eigentums, für höhere Steuern auf Kapital, gegen | |
| Menschenrechtsverstöße von Unternehmen. | |
| Im Geiste von "No Logo" vergeben ab dem Jahr 2000 Schweizer Aktivisten | |
| parallel zu Davos ihren Schmähpreis an sozial und ökologisch | |
| unverantwortliche Unternehmen. Weil es in vielen Ländern ähnliche | |
| Initiativen gibt, sehen die Konzernvorstände ein, dass sie auf die globale | |
| Rufschädigung reagieren müssen, wenn sie ihr Geschäft retten wollen. | |
| Die Verleihung des Public Eye Award mögen sie ignorieren, doch im Großen | |
| und Ganzen stehen die Unternehmen unter zunehmendem Druck einer weltweiten | |
| Öffentlichkeit politisch bewusster Konsumenten. Apple muss etwas tun, wenn | |
| in China die ausgebeuteten Arbeiter vom Dach der iPhone-Fabrik in den Tod | |
| springen. | |
| Der große Auftritt der Globalisierungskritiker ist vorbei, die Bewegung | |
| stirbt einen langsamen Tod, aber sie nimmt den neoliberalen Kapitalismus | |
| mit ins Grab. Die Globalisierungskritiker waren erfolgreich, sie haben den | |
| globalen Zeitgeist gedreht: Selbst Finanzminister Schäuble will jetzt eine | |
| Steuer auf Finanztransaktionen. Bald ist diese uralte Forderung erfüllt. | |
| Wie sagte doch 2009 Frankreichs Staatschef Sarkozy, ein | |
| wirtschaftsfreundlicher Konservativer? "Die herausragende Eigenschaft | |
| dieser Krise ist die Rückkehr des Staates, das Ende der Ideologie von | |
| seiner Ohnmacht." | |
| ## | |
| Apropos Krise – nun beginnt alles wieder von vorne. Eine Gewindedrehung | |
| höher, dialektisch fortgeschritten? In mancher Hinsicht ja, in anderer | |
| nein. Den Exzess erleben wir gerade als dritte Finanzkrise innerhalb einer | |
| Dekade. Die Antwort darauf ist die derzeit explodierende Occupy-Bewegung. | |
| Sie beginnt – wie in Porto Alegre – ohne konkrete Forderungen als | |
| transnationaler Versuch der Selbstverständigung darüber, was eigentlich zu | |
| tun sei. Wenn die Bewegung in diesem Jahr weiter aktiv bleibt und die | |
| kritische Masse überschreitet, dann ist der weitere Weg vorgezeichnet. | |
| 20 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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