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# taz.de -- Occupy und Demokratie: Die Weisheit der Vielen
> Prostestbewegungen sind populär – das Jahr 2012 verspricht mehr davon.
> Derweil kürte das "Time Magazine" den Demonstranten zur Person des Jahres
> 2011.
Bild: Mit Occupy ins Jahr 2012: Werden ihre Demonstrationen nicht von Mal zu Ma…
Erinnert sich noch jemand an die Jahre, als Engagement hierzulande wenig
galt? Wer Aktivisten damals als wohlbehütete Naivlinge abtat, brauchte
keinen nennenswerten Widerspruch fürchten. Das scheint vorbei, seit
Protestbewegungen in der arabischen Welt Diktatoren gestürzt, in Südeuropa
Plätze besetzt und vor der Wall Street Zelte errichtet haben. Kürzlich hat
das Time Magazine den Demonstranten zur Person des Jahres 2011 gekürt.
Viel wohlwollende Aufmerksamkeit erfährt auch die deutsche Occupy-Bewegung.
Das mag überraschen: Bleibt sie nicht programmatisch sträflich vage? Werden
ihre Demonstrationen nicht von Mal zu Mal kleiner? Auch am Sonntag kam der
Protest zwar vielfältig und kreativ daher.
Aber der Andrang auf dem Berliner Boulevard Unter den Linden hielt sich
deutlich in Grenzen. Dennoch bleibt zu erkunden, woher die Sympathien für
diese Proteste rühren - und worin die Verdienste dieser Bewegung bestehen.
Indirekt hat Angela Merkel bereits im vergangenen September eine Antwort
auf diese Fragen geliefert. Auf einer Pressekonferenz zur Eurokrise wollte
ein Journalist wissen, ob der Europäische Stabilitätsmechanismus EFSF durch
vorherige Beratungen im Bundestag geschwächt werde. Darauf versicherte
Merkel, man werde "Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu
gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den
Märkten die entsprechenden Signale ergeben".
## Ocupy verspricht Kontrastprogramm
Viel deutet darauf hin, dass Merkel mit dieser Auffassung unter Europas
Politikern nicht allein steht. Bei der Eurorettung gelten demokratische
Verfahren als langsam, ineffizient und obendrein risikoreich - sie könnten
ja einen unerwünschten Ausgang nehmen. Geradezu skandalös mutet es in
dieser Logik an, wenn, wie in Griechenland kurzzeitig erwogen, gar die
Bevölkerung befragt werden soll.
In einer gut funktionierenden "marktkonformen" Demokratie überlässt man die
Entscheidungen, so könnte man den Faden weiterspinnen, den aufgeklärten
Regierungseliten, am besten parteilosen Technokraten. Denn als politisch
gelten solche Beschlüsse ihren Verkündern ohnehin nicht, sondern bloß als
alternativlose Reaktionen auf ökonomische Dynamiken.
Occupy steht für das Kontrastprogramm. Die Demokratie im Dienste des
Kapitalismus wollen die Aktivisten in eine "echte Demokratie" für die "99
Prozent" verwandeln. Gegen Regierungstechnik setzen sie auf offene
Suchprozesse. Anstatt auf proklamierten Notwendigkeiten bauen sie auf
Debatten. Occupy erfüllt ein wiedererwachtes utopisches Bedürfnis.
Die Bewegung artikuliert am sichtbarsten die langsam reifende Erkenntnis,
dass grundsätzlichere Alternativen nottun. Technokratisches Durchregieren
wird weder die Wirtschaftskrise beenden noch den drohenden Klimakollaps
abwenden oder die Demokratie vor der Aushöhlung bewahren.
Von der prekären Krisenverwaltung heben sich die Occupy-Aktivisten schon
deshalb ab, weil sie möglichst alles in Vollversammlungen debattieren.
Damit wollen sie sicherlich, wie Zygmunt Bauman sagt, der Vereinzelung
durch die alltägliche Konkurrenz begegnen. Sie versuchen auf diese Weise
aber auch, die geforderte radikale Demokratie vorzuleben. Die nötigen
Veränderungen sollen der Weisheit der Vielen entspringen.
## Programmatische Unbestimmtheit
Daher verzichtet die Bewegung auf Sprecher, die mit prophetischem Gestus
fertige Gesellschaftsentwürfe verkünden. Das ist einerseits konsequent: Wer
der politischen Repräsentation durch Parteien und Berufspolitiker
misstrauen gelernt hat, will sich nicht beim Protest Funktionären oder
ideologischen Bannern unterordnen.
Allerdings treibt Occupy diese repräsentationskritische Haltung auf die
Spitze und bezahlt mit programmatischer Unbestimmtheit. Selbst in ihren
Unzulänglichkeiten erweist sich die Bewegung so als genaues Gegenstück zur
Krisenpolitik: Wo Merkel und Co. stur die bekannten Straßen befahren,
überlegen die Aktivisten noch, in welche Richtungen sie das Pflaster
verlegen wollen.
Dennoch bedient Occupy die utopischen Sehnsüchte nach einer guten
Gesellschaft ebenso wie das drängende Unbehagen an der bestehenden. Die
Sympathien gegenüber dieser Bewegung, die über ihre eigenen Schwächen zu
stolpern droht, verweisen auf ein Bedürfnis nach Veränderung. Ihr Verdienst
ist, an eine einfache, aber zuweilen verdrängte Tatsache zu erinnern: Wo
die Politik keine Lösungen bieten kann, ist das Engagement der Bevölkerung
gefragt. Vielleicht ja auch bei Occupy.
16 Jan 2012
## AUTOREN
Steffen Vogel
## TAGS
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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