| # taz.de -- Schmuggel in der Sahara: Auf der Piste von Drogen und Tod | |
| > Kokain kommt immer öfter über die Sahara nach Europa. Leicht verdientes | |
| > Geld, glauben die Tuareg. Eine Reise zu den Schmugglern. | |
| Bild: Bloß nicht stecken bleiben – quer durch die Wüste kommt die Ware von … | |
| AGADEZ taz | Ibrahim kontrolliert ein letztes Mal die Ladung, bevor er eine | |
| Plane über alles breitet, was sich im Geländewagen befindet: Reservereifen, | |
| Werkzeug, Diesel, Wasser, Lebensmitteln, Matratzen und Zelte. Wir wollen in | |
| die Ténéré-Wüste im westafrikanischen Niger und dort einen Konvoi von | |
| Kokainschmugglern treffen. Mit einigen von ihnen ist Ibrahim, der anonym | |
| bleiben will, befreundet, mit anderen verwandt. „Nur deshalb haben sie | |
| schließlich zugestimmt“, sagt er bei unserem ersten Treffen in einem der | |
| Hotels von Agadez. | |
| Die Stadt im Norden des Landes war eine Touristenmetropole. Jetzt sind wir | |
| im Hotel mit der Hitze allein. Irgendwo im Norden der Ténéré wollen wir den | |
| Konvoi in spätestens drei Tagen treffen. „Am Abend vorher gibt mir Lamine | |
| die GPS-Koordinaten durch“, sagt Ibrahim. Die beiden wollen so vermeiden, | |
| dass die Armee oder feindliche Kartelle von dem Treffpunkt erfahren und | |
| einen Hinterhalt legen. | |
| Lamine und Ibrahim gehören beide zum Nomadenvolk der Tuareg, wuchsen | |
| gemeinsam in der nordmalischen Wüstenstadt Kidal auf und sind seit dieser | |
| Zeit befreundet. Lamine verdient sein Geld inzwischen mit | |
| Sicherheitseskorten für Konvois, die Kokain und Haschisch von Mali nach | |
| Europa schmuggeln, erzählt Ibrahim. | |
| Ehe Lamine in den Kokainschmuggel eingestiegen ist, hat er mit Zigaretten, | |
| Migranten und Haschisch aus Marokko Erfahrung gesammelt. „Aus Libyen und | |
| Mauretanien brachte er immer mehr Waffen mit“, berichtet Ibrahim, während | |
| ein Ventilator mit lautem Quietschen vergeblich versuchte, die Luft in | |
| Bewegung zu bringen. „Außerdem bekam er Waffen von der malischen Armee.“ | |
| ## Geländewagen und Waffen | |
| Das sei ganz einfach gewesen, bis niedrige Dienstgrade unter Hauptmann | |
| Amadou Sanogo im März 2012 geputscht haben. Lamine hat seine Gewinne | |
| reinvestiert, hat Geländefahrzeuge und Waffen angeschafft. Inzwischen hat | |
| er zehn Wagen, und die Konvois, die er begleitet, transportieren nicht nur | |
| Haschisch, sondern auch Kokain. Sagt Ibrahim. | |
| Das UN-Büro für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung warnt seit | |
| einigen Jahren vor einem Ansteigen der organisierten Kriminalität in | |
| Westafrika. Den Berichten zufolge sind am Schmuggel von Kokain auch | |
| islamistische Milizen beteiligt, die mit al-Qaida in Verbindung stehen. | |
| Mali gilt als einer der Brennpunkte. Dass islamistische Milizen im Frühjahr | |
| 2012 den Norden Malis eroberten, darunter die al-Qaida im Islamischen | |
| Maghreb (AQMI) und die Bewegung für Einheit und Heiligen Krieg in | |
| Westafrika (Mujao), passt für viele Analysten ins Bild. | |
| Auch Ibrahim hält die Mujao für nichts als einen Haufen von Schmugglern. | |
| Die AQMI dagegen verdiene zwar durch „Wegezoll“ an den Schmuggelkonvois und | |
| beteilige sich gelegentlich aktiv. „Aber sie hat auch ideologische und | |
| religiöse Ziele.“ Seit die französische Armee Mitte Januar in Mali | |
| eingerückt ist, sind die islamistischen Milizen massiv unter Druck und | |
| mussten ihre Stellungen weitgehend räumen. Seitdem sind einige der | |
| Schmuggelrouten offenbar unterbrochen, aber der Handel geht teils auf neuen | |
| Wegen weiter. | |
| ## Grau-gelbe Landschaft | |
| Wir brechen auf. Um bei einer Panne nicht liegen zu bleiben, sind wir mit | |
| zwei Autos unterwegs. Die Landschaft ist flach, grau-gelb und eintönig. | |
| Staub hängt in der Luft. Abseits der wichtigsten Pisten gibt es kaum | |
| menschliches Leben. Mali und Niger gehören zu den ärmsten Ländern der Erde, | |
| große Teile sind von der Sahara bedeckt. | |
| Das Leben in der Wüste ist härter denn je. Der Karawanenhandel wurde von | |
| den Lkws abgelöst, Dürren haben die Herden dezimiert, mit dem Klimawandel | |
| trocknen die Oasen aus, und der Tourismus kam wegen der vielen Entführungen | |
| zum Erliegen. | |
| „Immer mehr Menschen leben vom Schmuggel“, sagt Ibrahim am Feuer, als wir | |
| für die erste Nacht rasten. Sein Freund Assalek, der das zweite Auto fährt, | |
| stimmt ihm zu: „Inzwischen gibt es in vielen Familien mehrere Angehörige, | |
| die mit dem Schmuggel zu tun haben. Und in jeder Familie gibt es mindestens | |
| einen.“ Wir campieren im Windschatten der Autos neben ein paar Büschen im | |
| Sand. | |
| ## Ein Vater von zwölf Kindern | |
| In der Dunkelheit der Wüste sind unzählige Sterne zu sehen, auch die | |
| Milchstraße ist klar zu erkennen. „Die Versuchung ist für jeden groß, wenn | |
| es leichtes Geld zu verdienen gibt“, sagt Assalek, selbst Ehemann von zwei | |
| Frauen und Vater von zwölf Kindern. „Ich habe lange für jemanden | |
| gearbeitet, der zu mir großes Vertrauen hatte“, erzählt er, auf einer | |
| Bastmatte liegend, bei ein paar Gläsern des süßen Pfefferminztees der | |
| Tuareg. „Er war Analphabet, hatte aber ein großes | |
| Import-Export-Unternehmen.“ | |
| Eines Morgens nahm ihn sein Chef beiseite und offenbarte ihm ein „kleines | |
| Problem“. Er müsse für zwei Wochen drei Tonnen Drogen lagern, dafür zahle | |
| er umgerechnet gut 15.000 Euro. Assalek bot nach kurzem Zögern sein Haus | |
| an. „Am nächsten Tag kam ein Lkw mit mehr als 120 Pappkartons“, erzählt e… | |
| Den Aufklebern nach enthielten sie Whiskey und Lebensmittel. | |
| Assalek rührte nichts davon an und schloss das Zimmer ab. Nach zwei Wochen | |
| wurden die Kartons abgeholt. Assalek bekam einen Geländewagen im Wert von | |
| 15.000 Euro. „Damit verdiene ich jetzt meinen Lebensunterhalt.“ Es ist der | |
| Pick-up hinter uns. | |
| Wieder rasten wir für die Nacht, bauen die Zelte auf, legen die Matten in | |
| den Sand. Inzwischen sind wir zwei Tage unterwegs, morgen soll uns Lamine | |
| die Koordinaten durchgeben. Ein Assistent beginnt mit dem Kochen und | |
| Ibrahim lüftet noch ein paar Details zur Arbeit seines Jugendfreunds. | |
| ## Kalaschnikows und Granatwerfer | |
| „Auf jedem seiner zehn Autos hat er acht junge Soldaten. Sie sind mit | |
| Kalaschnikows und Panzerabwehrgranatwerfern bewaffnet.“ Lamine begleitete | |
| Konvois von 15 bis 20 Autos. „Seine Auftraggeber geben ihm pro Fahrt rund | |
| 700.000 Euro, manchmal sogar mehr.“ | |
| Davon bezahlt Lamine die Bewaffneten, die Fahrer, die „Lehrlinge“. Zwei von | |
| Ibrahims Neffen arbeiten für Lamine, einer ist bewaffnet, der andere ist | |
| Fahrer. „Selbst der bekommt jedes Mal 13.000 Euro. Trotzdem bleibt nichts | |
| übrig. Er feiert, schmeißt das Geld zum Fenster raus und binnen einem Monat | |
| ist alles weg.“ Lamine war klüger, habe es zu mehreren Häusern in malischen | |
| und algerischen Städten gebracht. | |
| Im Lichtkegel einer Taschenlampe fahren Ibrahim und Assalek mit Fingern die | |
| Routen ab, die sie kennen. „Das Kokain kommt mit Flugzeugen direkt aus | |
| Venezuela“, sagt Ibrahim. Die Flugzeuge landeten im Vallée du Tilemsi in | |
| unmittelbarer Nähe zu Gao und Kidal. Dann gehe es von Mali entlang der | |
| algerischen Grenze nach Niger, weiter über Libyen nach Ägypten und von dort | |
| aus nach Europa. | |
| Da die Ware mehrfach umgeladen wird und Lamine die Konvois nur bis zur | |
| libyschen Grenze begleitet, weiß Ibrahim nichts über die Routen weiter | |
| nördlich. Im November 2009 machte eine solche Maschine aus Venezuela | |
| international Schlagzeilen als „Air Cocaine“. Die Boeing 727 war in der | |
| Nähe von Gao von den Piloten angezündet worden, nachdem sie die Maschine | |
| entladen hatten. Sachverständige von Interpol und aus den USA fanden in dem | |
| Wrack trotz des Brandes erhebliche Kokainspuren. | |
| ## Angst vor Drohnen | |
| Am nächsten Tag schaltet Ibrahim sein Satellitentelefon ein. „Wenn wir es | |
| zwischendurch anlassen, können wir von Drohnen geortet werden“, erklärt er. | |
| Vor allem die Aufklärung von US-Amerikanern und Algeriern sei ziemlich | |
| dicht. Er findet eine SMS von Lamine: „Es tut mir leid, ich kann nicht | |
| kommen, wir hatten zu viele Probleme mit der Mujao.“ Da Lamine sein Telefon | |
| bereits wieder abgestellt hat, erfährt Ibrahim nicht, was genau passiert | |
| ist. Die Stimmung ist gedrückt und angespannt. | |
| Nach ein paar ratlosen Minuten warnt Assaleks Assistent: „Wir müssen hier | |
| weg, vielleicht sind Schmuggler oder Islamisten in der Nähe.“ Wir brechen | |
| auf, Richtung Südwesten, zurück nach Agadez. Als die Handys Netz haben, | |
| ruft Ibrahim seine Schwester an. Sie erzählt, dass sein Neffe und zwei | |
| weitere Milizionäre beim Überfall auf den Konvoi von Mitgliedern der Mujao | |
| erschossen wurden. Lamine wurde am Arm verletzt. | |
| ## Ibrahim ringt um Fassung | |
| Doch die Verbindung bricht ab. Ibrahim ringt um Fassung. Dann erzählt er, | |
| dass sein Neffe erst kürzlich gesagt habe, dass er vielleicht bald mit | |
| dieser Arbeit aufhören wird. Sie sei sehr riskant, er könne niemandem mehr | |
| vertrauen. | |
| Nach einem weiteren Tag auf der Piste sind wir zurück in Agadez. Wieder | |
| telefoniert Ibrahim, er erreicht Lamine in einem Krankenhaus in Mali, | |
| spricht mit anderen Bekannten. Bei dem Überfall sei es um offene Rechnungen | |
| zwischen dem Drogenbaron von Agadez und dem Baron von Tamanrasset gegangen. | |
| Zurzeit sei die Ware wahrscheinlich in Agadez beim hiesigen Drogenbaron. | |
| „Für den arbeiten viele Mitglieder der Mujao“, behauptet Ibrahim. Auf dem | |
| Markt habe er einige erkannt, die er aus Mali kenne. Am nächsten Morgen | |
| sagt er beim Abschied: „Ich habe Angst um meine Kinder. Und um die Kinder | |
| meiner Verwandten und Freunde.“ | |
| 27 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Rühl | |
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