# taz.de -- Tuareg im Niger: Der Bart deines Nachbarn | |
> Die desolate Lage macht junge Tuareg im Niger anfällig für Angebote von | |
> Islamisten. Viele fürchten ein zweites Mali. Nun wirbt die Armee um ihr | |
> Vertrauen. | |
Bild: Um ein zweites Mali im Niger zu verhindern, wäre Arbeit für junge Tuare… | |
IFEROUANE taz | Nahe der Lehmmauer ist die Hitze gerade so erträglich. In | |
deren Schatten hockt die Frau mit dem transparenten Gaze-Kopftuch, die | |
darum bittet, ihren Namen nicht zu nennen. „Man weiß ja nie“, sagt sie in | |
gutem Französisch. „Die Wüste von Mali ist dieselbe wie die im Niger.“ | |
Sie hat Angst vor den Islamisten, die seit April den Norden des | |
Nachbarlandes kontrollieren. Denn die Grenze zwischen den beiden | |
Sahelstaaten ist durchlässig, die nomadisch lebenden Tuareg ziehen mit | |
ihren Kamelen seit Jahrhunderten zwischen beiden Ländern hin und her. | |
Inzwischen wandern sie kaum noch mit Kamelkarawanen, sondern in Konvois mit | |
modernsten Pick-ups. Im Gepäck haben sie statt Salz heute Drogen aller Art | |
und andere Schmuggelwaren. | |
Obwohl sie meist schwer bewaffnet sind, lassen diese Kriminellen die | |
Bevölkerung in Ruhe. Im Gegenteil, mit ihren mafiösen Netzwerken sorgen sie | |
für recht einträgliche Arbeit und kommen bei den jungen Leuten nicht | |
schlecht an. Mit den Islamisten ist das anders. Die Angst vor den in Mali | |
operierenden Extremisten ist im Niger weit verbreitet. | |
Einzelne Einheiten der al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) haben in den | |
vergangen Jahren auch dort Ausländer entführt, von denen sich manche noch | |
immer in ihrer Gewalt befinden. Bisher haben sie im Niger aber noch keine | |
Basis und ziehen sich nach jeder Aktion über die Grenze nach Mali zurück. | |
Dass dies so bleibt, scheint mit dem Erstarken der verschiedenen | |
islamistischen Gruppierungen wie AQMI, Ansar Dine, Mujao und anderer | |
Gruppen in Mali immer weniger sicher. | |
„Ich bete zu Gott“, sagt die im Schatten hockende 32-jährige Mutter von | |
vier Kindern, „dass die Bärtigen hier nicht Fuß fassen. Die Frauen leiden | |
daunter am meisten.“ Das Fehlen eines Bartes ist eins von vielen | |
Kennzeichen, die die durchweg muslimischen, aber toleranten und | |
freiheitsliebenden Tuareg von Islamisten der wahhabitisch-strengen Schule | |
und anderen muslimischen Fanatikern unterscheidet. | |
## Touristen bleiben weg | |
Iferouane ist ein Dorf, man sieht schattenspendende Bäume, Dattelpalmen und | |
einige Lehmbauten. Im Hintergrund erhebt sich der Tamgak, mit gut 1.900 | |
Metern der zweithöchste Berg im Niger. Früher war Iferouane ein beliebtes | |
Reiseziel von Touristen, die sich an den Oasengärten erfreuten und das | |
Aïr-Gebirge mit Motorrädern, Geländewagen oder zu Fuß durchstreiften. Aber | |
seit Lösegelderpressungen zu einer wichtigen Einnahmequelle krimineller | |
Banden wurden, bleiben die Weißen weg. | |
Iferouane war außerdem ein Zentrum der letzten Tuareg-Rebellion, die 2007 | |
ausbrach und zwei Jahre später mit einem durch den damaligen libyschen | |
Herrscher Gaddafi vermittelten Waffenstillstand zu Ende ging. Die Frau | |
erinnert den Krieg zwischen Armee und Tuareg-Rebellen als einen Albtraum, | |
dessen Wiederholung sie seit Beginn der Unruhen in Mali nicht mehr für | |
ausgeschlossen hält. „Es war die Hölle“, sagt sie, „die Armee hatte ihre | |
Basis ganz in der Nähe. Sie rächte sich an uns für jeden Angriff der | |
Rebellen.“ | |
Nach und nach seien alle Zivilisten geflohen. Auch sie selbst packte eines | |
Tages ihre Kinder und ließ alles andere zurück. „Iferouane war jahrelang | |
ein toter Ort. Wir wissen, was der Krieg bedeutet.“ Die Bevölkerung kämpfe | |
bis heute darum, das Lebensniveau der Vorkriegszeit wieder zu erreichen. | |
Die Frau steht auf und tritt aus dem Schatten. Sie will zurück zu der | |
Veranstaltung, die sie für das kurze Gespräch unterbrochen hat. | |
Die Versammlung findet ein paar Schritte entfernt in einem Lehmbau statt. | |
Eingeladen hat die nigrische Hilfsorganisation HED Tamat, die auch aus | |
Deutschland finanziell unterstützt wird. „Wir wollen eine weitere Rebellion | |
der Tuareg verhindern“, erklärt Mano Aghali, selbst ein Tuareg und zugleich | |
Präsident von HED Tamat. „Wir wissen, dass die Bevölkerung immer am meisten | |
leidet.“ | |
Aghali gehörte beim ersten Tuareg-Aufstand in den 1990er Jahren zum | |
politischen Flügel der Rebellen. An der zweiten Rebellion im Jahr 2007 nahm | |
er nicht mehr teil, weil er die politischen Gründe für vorgeschoben hielt. | |
„In Wirklichkeit ging es um die Kontrolle von Routen für den | |
Drogenschmuggel und andere kriminelle Machenschaften.“ Ganz so, meint er, | |
wie jetzt in Mali. | |
Der 46-jährige Aghali studierte Wirtschaftswissenschaften und saß von 2004 | |
bis 2009 im nigrischen Parlament. Er ist davon überzeugt, dass es in der | |
nigrischen Demokratie möglich ist, auf politischem Weg gegen bestehende | |
Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Dazu hat auch die erste Tuareg-Rebellion | |
beigetragen. | |
Auf den Plastikstühlen in dem Lehmbau sitzen Frauen, die festlich gekleidet | |
sind. Drei der Anwesenden haben sich besonders in Schale geworfen: die | |
Musikerinnen aus dem Gefolge des Sultans von Agadez tragen Kleider aus | |
glänzendem, dunklem Indigostoff und sind mit Goldschmuck reich behängt. | |
Auch die Männer im Publikum sind traditionell gekleidet, mit langen | |
Gewändern und den Tagelmust der Tuareg. Im Publikum sitzen Vertreter der | |
ehemaligen Rebellen, der Frauen, der meist arbeitslosen Jugend. | |
Trotz der drückenden Nachmittagshitze sind alle bei der Sache. Rhizza Ag | |
Boula, ehemaliger Tourismusminister und derzeit Berater des nigrischen | |
Präsidenten, schlägt sie mit seiner Rede richtig in Bann. | |
„Lasst euch von al-Qaida nicht täuschen“, erklärt Ag Boula, „sie mögen… | |
Geld versprechen, aber am Ende unterwerfen sie euch ihrer Gewalt!“ Vor | |
allem die jüngeren Leute sollten sich vorstellen, was geschehe, wenn auch | |
im Niger allen Dieben eine Hand und ein Bein abgehackt werde. „Wir würden | |
eine Gesellschaft von Behinderten. Wer sollte die alle ernähren?“ | |
Ag Boula ist eine schillernde Figur, er hat selbst an beiden Rebellionen im | |
Niger mitgewirkt. Zum Abschluss seiner kurzen und drastischen Rede lädt er | |
das Publikum ein, sich ohne Tabus mit Fragen und Kritik zu äußern. | |
## „Wir haben nichts“ | |
Ein junger Mann lässt sich das Mikrofon geben und beschreibt, was nach ihm | |
noch viele andere in ähnlichen Worten ausdrücken werden: „Wir haben nichts. | |
Wir leben in einer katastrophalen Situation.“ Die Regierung von Präsident | |
Mahamadou Issoufou kündige seit langem immer wieder an, Arbeit und | |
Beschäftigung zu beschaffen. | |
„Aber das sind leere Versprechen.“ Niger ist nach der Armutsskala der | |
Vereinten Nationen das ärmste Land der Welt, trotz der reichen | |
Uranvorkommen, die von dem französischen Staatskonzern Areva im Joint | |
Venture mit nigrischen Unternehmen seit vierzig Jahren ausgebeutet werden. | |
In der Nähe der Stadt Arlit wurden seit 1968 mehr als 100.000 Tonnen Uran | |
abgebaut. Rund um Arlit sollen sich mittlerweile etwa 35 Millionen Tonnen | |
Abraum türmen. Areva und die Partner des Konzerns erklären den Abraum für | |
unbedenklich, Kritiker legen dagegen Messwerte vor, wonach er hoch | |
radioaktiv verseucht ist. | |
Zurzeit ist Areva dabei, in der Region Agadez nahe dem Dorf Imouraren die | |
zweitgrößte Uranmine der Welt zu erschließen. Für das Projekt seien schon | |
190 Arbeitskräfte ausgebildet worden, versucht Ag Boula in seiner Funktion | |
als Vertreter des Präsidenten das Publikum zu beschwichtigen. Die | |
Bergbauunternehmen hätten der Regierung versprochen, ihren Beitrag zur | |
sozialen Entwicklung zu leisten und Arbeitsplätze auch für Menschen aus der | |
Region zu schaffen. | |
Wieder meldet sich einer aus dem Publikum. „Ich habe bei Areva schon vor | |
fünf Jahren so eine Ausbildung gemacht und seitdem nichts mehr von dem | |
Unternehmen gehört.“ Ag Boula bittet um Geduld. Die Regierung selbst werde | |
in der Region Agadez 300 kommunale Polizisten ausbilden, und auch die Armee | |
sei auf der Suche nach Rekruten. Mano Aghali von HED Tamat sagt weitere | |
290, durch seine Organisation finanzierte Ausbildungsplätze zu. | |
## Armee wirbt um Vertrauen | |
Den Nachmittag über bleibt die Diskussion hitzig, auch der Vertreter der | |
nigrischen Armee auf dem Podium bekommt sein Fett ab. Trotz | |
Arbeitslosigkeit meiden die jungen Tuareg die Armee, weil die Soldaten | |
während der Tuareg-Aufstände kaum zwischen Zivilisten und Rebellen | |
unterschieden und in den Dörfern Kriegsverbrechen verübt haben. „Auch wir | |
haben unsere Lektion gelernt“, sagt der Oberst auf dem Podium, „viele | |
Soldaten wurden ausgetauscht.“ Er bittet um Vertrauen. | |
Am Abend sitzt Aghali auf einem Teppich im Sand, über sich den klaren | |
Sternenhimmel des Südens. Er ist mit dem Verlauf der Versammlung zufrieden. | |
„Soweit ich weiß, hat heute zum ersten Mal ein Armeevertreter mit der | |
Bevölkerung gesprochen.“ Das sei eine wichtige Geste. Ebenso die Tatsache, | |
dass der Präsident seinen Berater zu dem Treffen mit den Menschen in die | |
Dörfer entsendet. | |
Mit der Idee solcher „Friedensforen“ trägt sich Aghali seit langem, aber | |
erst in diesem Jahr bekam HED Tamat von Care Deutschland/Luxemburg und dem | |
Auswärtigen Amt das dafür nötige Geld. Die Versammlungen, die nun in 11 von | |
15 Gemeinden der Region Agadez stattfinden, bekommen durch die Ereignisse | |
in Mali eine dramatische Aktualität. Es gehen Gerüchte, dass Gruppen wie | |
Ansar Dine ihren Kämpfern im Monat 200 Dollar zahlen. Verlockend in einer | |
Region, in der es kaum Arbeit gibt. Und um so größer der Druck, dagegen | |
etwas zu tun. | |
Die Frau hat am Nachmittag im Schatten der Lehmmauer geradezu inständig um | |
Arbeitsplätze für die jungen Leute gebeten. „Es gibt bei uns ein altes | |
Sprichwort“, sagt sie. „Wenn der Bart deines Nachbarn Feuer fängt, machst | |
du deinen am besten nass, damit er nicht ebenfalls anfängt zu brennen.“ | |
29 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Rühl | |
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