# taz.de -- Bildersturm in Mali: Die Ikonoklasten von Timbuktu | |
> Rebellen, Islamisten, Tuareg: Die Lage in Mali ist unüberschaubar. 16 | |
> wichtige Heiligengräber in Timbuktu sind derweil von einer gewaltsamen | |
> Zerstörung bedroht. | |
Bild: Bedroht: Eine traditionelle Moschee in Timbuktu. | |
Staatliche Systeme bedienen sich immer der symbolischen Kraft von | |
Bildwelten, um durch sie Identitäten zu verändern oder die alten | |
politischen Systeme durch neue Inszenierungen ihrer Macht zu überblenden. | |
Konkret verwenden die jeweils führenden Eliten Bilder als Symbole der | |
Freiheit, aber auch als Projektionsflächen, um feindliche oder aggressive | |
Handlungen auszulösen. | |
Von solchen radikalen Akten zeugen höchst aktuell Werke der documenta 13, | |
deren Anspielungen von der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan bis zu | |
den Ereignissen auf dem Tahrirplatz reichen. Parallel zu den | |
Kampfhandlungen in Mali ist eine ausgeprägte Propaganda zu beobachten, | |
deren unüberschaubares „Schlachtfeld“ sich in den Medienquoten ebenso | |
niederschlägt wie in realen Aggressionen gegen Menschen. | |
Der ikonoklastische Gestus geht und ging auch in Timbuktu mit einer neuen | |
Bildrhetorik einher. Seit dem 14. Jahrhundert war die berühmte Oasenstadt | |
„am Rande der Welt“ einer der wichtigsten Umschlagplätze für Waren und | |
Ideen. Timbuktu als Sehnsuchtsort in der Wüste Sahara erlebte im Verlauf | |
seiner Geschichte immer wieder neue Blüten unter sich verändernden | |
kulturellen Vorzeichen. Neben architektonischen Kostbarkeiten zeugen davon | |
einzigartige Sammlungen von unschätzbar wertvollen Manuskripten, deren | |
sorgfältige Restaurierung gerade in den letzten Jahren am | |
Ahmed-Baba-Institut begonnen wurde. | |
Diese über 30.000 Stücke umfassende Sammlung einzigartiger Schriften | |
enthält Berichte und Abhandlungen aus allen Bereichen des Lebens: höchst | |
intellektuelles oder naturwissenschaftliches neben mystischem Gedankengut, | |
das kulturell in einer von Toleranz geprägten Gelehrsamkeit tief verankert | |
war. Heilige Männer und Frauen in der schiitischen Religion wie Sidi | |
Moctar, Sidi Mahmut und Alpha Moya wurden an ihren Grabstätten verehrt. Bis | |
heute spielt das heilige Grab (Marabut) in der Volksreligion mitunter eine | |
größere Rolle als die Moschee. | |
Bereits das 19. Jahrhundert kannte aus diesem Grunde eine | |
Dschihad-Bewegung, die sich gegen die alten Grabstätten und Moscheen | |
wandte, die sie als Konkretisierungen einer afrikanischen Mischreligion | |
betrachteten. Die verschiedenen Aspekte der Toleranz verloren sich in einem | |
immer mehr von Radikalität bestimmten Umfeld, das in der Regierungszeit von | |
Seku Ahmadou von dem Versuch geprägt war, einen Gottesstaat zu errichten. | |
Um 1830 ließ der radikalislamische Führer der Fulbe Massina etliche | |
Moscheen aus der Songhay-Zeit niederreißen. | |
Doch niemand wagte die zentralen heiligen Monumente zu zerstören. Zu groß | |
war die Ehrfurcht. Doch darum scheren sich die heutigen salafistischen | |
Ableger eines „reinen“ Wahhabismus nicht mehr. Der Terror jeglicher | |
Richtung bedient sich entsprechender Bilder und symbolischer Akte. Der | |
Anthropologe Michael Taussig spricht von der absoluten Macht öffentlicher | |
Bilder. Mittlerweile gehören Mythen und Symbole des Terrors zu den am | |
häufigsten reproduzierten Bildern der Welt. | |
## Neue Vokabeln der Gewalt | |
Dabei neigen die Beteiligten dieses Spiels zur formelhaften Verkürzung, zu | |
Klischees, zu reduzierten Mustern, kurz: zu simplifizierenden Ikonen | |
kollektiven Erinnerns. Auch der terroristische Akt des Ansar Dine, eines | |
selbsternannten salafistischen Verteidigers des reinen Islam, kulminiert in | |
einem radikalen Akt der Zerstörung in Timbuktu und fügt der internationalen | |
Sprache einer bestehenden Bildsymbolik der Gewalt nur neue Vokabeln hinzu. | |
John Gray bemerkt, dass nichts irreführender sein könnte, als den | |
islamistischen Extremismus als mittelalterlich zu bezeichnen oder die | |
Ursache dieses Phänomens auf die verpasste Modernisierung des Islam | |
zurückzuführen: die Netzwerke des Terrors sind als Nebenprodukte der | |
Globalisierung ganz modern. Sie bedienen sich avancierter digitaler Medien | |
und appellieren an Emotionen. | |
Dies dient dem Zweck, die gewaltsamen Zerstörungen der seit 1988 zum | |
Weltkulturerbe der Menschheit gehörenden Grabstätten und der | |
Djingerber-Moschee in Mali zu bekräftigen. Ohne Bilder in global agierenden | |
Medien hätte die angekündigte Zerstörung von 16 wichtigen Heiligengräbern | |
in Timbuktu keinen Sinn. Gleichzeitig zerstören die Rebellen jedes Symbol | |
der Moderne, das den Menschen in Timbuktu das Gefühlt von | |
Zeitgenossenschaft gibt. | |
Die Reaktion auf die Unesco und ihre Liste der gefährdeten Kulturschätze | |
ist dabei nur noch ein weiterer strategischer Schritt im Bestreben, ganz | |
Mali unter die Kontrolle dieser der al-Qaida nahe stehenden Gruppierung zu | |
bringen. Geradezu hilflos erscheint angesichts dessen die Forderung der | |
Unesco, die Zerstörung von Gräbern und Moscheen sofort zu beenden. Ansar | |
Dine führt als Argument dagegen lediglich an, dass die Verehrung | |
islamischer Gelehrter an diesen Grabstätten dem reinen Islam widerspreche. | |
Um diese Interpretation des Islam durchzusetzen, werde seine Gruppe sich am | |
islamischen Recht, der Scharia, orientieren. Mit seiner unnachgiebigen | |
Haltung bedrohte der Rebellenführer auch die Ältesten der Stadt, die | |
anfangs versuchten, die Mausoleen und Moscheen zu schützen. Als dann noch | |
mahnende Worte von Fatou Bensouda, der neuen Chefanklägerin am | |
Internationalen Strafgerichtshof aus Den Haag, Mali erreichten, schien dies | |
seine Aggressionen eher noch zu steigern. | |
Die Kämpfer um Ansar Dine geben jedenfalls nicht auf und wenden ihre | |
Zerstörungen verstärkt gegen kulthafte oder rituelle Artefakte | |
traditioneller Bildkulturen. Wir erleben die verstörende Erfahrung | |
politisch motivierter Radikalität: Sufis stehen gegen Wahhabiten und | |
liefern sich einen Kulturkampf ganz eigener Art. | |
Worum geht es eigentlich in Mali? Die Lage ist kompliziert, Freund und | |
Feind sind nicht nach einfachen Kategorien zu unterscheiden. Fakt ist | |
allerdings, dass die Menschen sowohl von den Rebellen als auch von | |
Islamisten gequält werden. Wie in jedem anderen Krieg wird gegenwärtig auch | |
in Mali das Recht auf Leben ebenso mit Füßen getreten wie das Recht auf den | |
Schutz kostbarer und unwiederbringlicher Kulturschätze. | |
## Die Vergessenen | |
Die Zivilbevölkerung ist schockiert. In den vergangenen Monaten wurden | |
zahlreiche Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet. Mehr als | |
120.000 Menschen sollen nach UN-Angaben bereits in die Nachbarländer | |
geflohen sein. 150.000 sind Vertriebene im eigenen Land. Zugang zu | |
Trinkwasser oder Nahrungsmitteln ist nur sporadisch gegeben. | |
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warf auch der malischen Armee schon vor | |
Monaten vor, einige Flüchtlingslager von Hubschraubern aus bombardiert zu | |
haben. Gleichzeitig beginnen Ansar Dines Truppen mit der Verlegung von | |
Landminen, um andere feindliche Tuareg-Rebellen an der Rückeroberung der | |
Stadt zu hindern. Verschiedene Gruppierungen der Tuareg stehen sich | |
gegenüber. | |
Dieser Krieg – jeder gegen jeden – scheint seit den Sechzigerjahren immer | |
wieder aufzuflammen. Obwohl es im Kampf zwischen Mali und den Rebellen | |
offiziell um Autonomie ging, war der stärkste Feind, die Armut, stets | |
präsent. Die Lebensverhältnisse in der Sahelzone veränderten sich | |
dramatisch, viele Nomaden konnten nur noch in der Stadt überleben. Sie | |
waren entwurzelt, verarmten und blieben häufig ohne Bildung. Die Argumente | |
änderten sich, die Gewalt blieb. | |
Alle in diesem Spiel Beteiligten versuchen ihren Vorteil aus dieser | |
Situation zu ziehen. Diktator Muammar al-Gaddafi in Libyen unterstützte die | |
Rebellen, nutzte sie jedoch als Söldner aus – ein hoher Preis. Seit seinem | |
Tod hat ein auch unter ihm ohnehin nur fragiles Gleichgewicht noch keine | |
neue Balance gefunden. Im Gegenteil. | |
Seit dem Zusammenbruch des Regimes in Libyen spitzt sich die Situation mehr | |
und mehr zu. Über 4.000 Tuareg-Söldner sollen den verschiedenen Armeen | |
angehören. Wer in welchen Milizen aktiv wird und warum, ist nicht einfach | |
zu beantworten. | |
Immer wieder sind die Tuareg Opfer und Täter. Obwohl sich oft nichts länger | |
hält als romantische Exotisierungen, scheint das romantische Bild der | |
Tuareg mehr als angekratzt. Die Tuareg, ihrer indigoblauen Kleidung wegen | |
als „blaue Ritter der Wüste“ berühmt geworden, haben extreme | |
Tourismusmythen gebildet. Hartnäckig hält sich der Mythos des | |
unbesiegbaren, freiheitsliebenden Volkes, das seit der Kolonialzeit für | |
seine Unabhängigkeit, Freiheit und traditionelle nomadische Lebensweise | |
kämpfe. | |
## Stolz und Vorurteil | |
Doch tatsächlich hat die Zuschreibung all dieser Eigenschaften mit den | |
aktuellen Lebensbedingungen wenig zu tun. Die Zuschreibung der Freiheit | |
kontrastiert vor allem mit der Tatsache, dass die Tuareg schon immer in | |
fest zementierten hierarchisch-feudalen Gesellschaftsstruktur lebten. Diese | |
hatten und haben mit demokratischen Werten wie Gleichheit, Freiheit und | |
Brüderlichkeit nichts zu tun. | |
Die Adligen (Imazighen) dominierten die schwarzen Sklaven und die | |
abhängigen Bauern (Iklan). Im Gegensatz zu diesen Realitäten waren es die | |
Tuareg selbst, die an ihrem Image gearbeitet haben. Mamadou Diawara, | |
Ethnologe in Frankfurt, beschreibt es so: „Die Tuareg und andere Völker | |
haben sich [dieses] Bild angeeignet, arbeiten damit und verkaufen […] sich | |
als ’Blaumänner‘. Sie haben das Spielchen verstanden.“ | |
Und manchmal blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Aufgrund großer | |
wirtschaftlicher Not stützten sich die Tuareg im Laufe der neunziger Jahre | |
immer mehr auf illegale Geschäfte – vom Warenschmuggel durch die Sahara bis | |
zum blühenden Kokainhandel. Durch die Entführung von Touristen verdienten | |
sie noch etwas dazu. Die radikale MNLA im Norden entzog sich dem Zugriff | |
der Regierung Malis. | |
Untergruppierungen des Terrornetzwerks al-Qaida nutzten die Instabilität | |
der Region für ihre eigenen Agenden. Diese Eskalation ist keine | |
Überraschung. Angesichts der ökonomischen und machtpolitischen | |
Auseinandersetzungen sind die Tuareg schon seit vielen Jahrzehnten die | |
Verlierer. | |
So sagte Ag Leche, Tuareg und Mitglied der heute weltberühmten | |
Musikergruppe Tinariwen: „Wir haben schon seit Langem Alarm geschlagen. Die | |
Welt hat uns 50 Jahre lang vergessen. Hätte jemand unsere Texte sorgfältig | |
gehört, hätte er schon gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es | |
zu einem neuen Gewaltausbruch kommt.“ Am 7. Juli gab es ein Gipfeltreffen | |
in Ougadougou, um den Konflikt in Mali einzudämmen. Ob es den Menschen | |
helfen wird, bleibt dahin gestellt. Der Westen konzentriert sich | |
unterdessen auf das Regelwerk der Unesco. | |
10 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Lydia Haustein | |
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