# taz.de -- NSA bespitzelt Deutschland: Anlasslose Überwachung | |
> Warum es nicht egal ist, dass der US-Geheimdienst NSA und andere Behörden | |
> so viele Informationen sammeln. Eine Handreichung. | |
Bild: Antennenkuppel auf dem Westberliner Teufelsberg. Von hier aus überwachte… | |
## 1. Was wird der NSA vorgeworfen? | |
Mittlerweile bewegen sich die Vorwürfe auf unterschiedlichen Ebenen: Dazu | |
gehört, dass Millionen Bürger weltweit überwacht und damit große | |
Datenmengen angehäuft werden. In Deutschland allein sollen täglich rund 20 | |
Millionen Telefonverbindungen und zehn Millionen Datensätze aus | |
Internetverbindungen vom US-Geheimdienst NSA erfasst werden. | |
Es geht dabei nicht um die Inhalte der Kommunikation, sondern um sogenannte | |
Metadaten – also etwa die Frage, welche Verbindung von welchem Anschluss zu | |
einem bestimmten Zeitpunkt aufgebaut wurde. | |
Daneben greift – laut den Berichten über die von Whistleblower Edward | |
Snowden geleakten Dokumente – die NSA auf die Daten großer Internetkonzerne | |
wie Facebook und Apple zu und schöpft so auch Inhalte ab. Dies geschieht | |
mithilfe eines Programms namens Prism, das die NSA seit 2007 aufgebaut | |
haben soll. Die in die Öffentlichkeit gelangten Dokumente stammen vom April | |
2013 – und deuten darauf hin, dass die Überwachung aktuell ist. | |
Der britische Geheimdienst GCHQ soll mit seinem Programm Tempora sogar noch | |
einen Schritt weitergehen: Er speichert dem Guardian zufolge nicht nur | |
Metadaten, sondern auch Inhalte. Das können E-Mails, Textnachrichten oder | |
Telefonate sein, die über das Glasfasernetz laufen. 200 von 1.600 | |
Glasfaserkabeln, die durch britisches Staatsgebiet laufen, sollen die GCHQ | |
dafür anzapfen, in Zusammenarbeit mit der NSA. | |
Dazu kommt ein gezieltes Ausspionieren Einzelner: So soll die NSA laut | |
Berichten des Spiegel Wanzen unter anderem in der EU-Vertretung in | |
Washington installiert haben. Darüber hinaus soll der Geheimdienst das | |
interne Computernetzwerk angezapft haben, um Zugriff auf Mails und | |
Dokumente zu erhalten. Das Magazin beruft sich dabei auf ein NSA-Dokument | |
vom September 2010. Wie es seitdem weiterging, ist unklar. | |
## 2. Wie viele Daten sammelt die NSA? | |
Die NSA sorgt vor: Sie baut in der Wüste Utahs den weltgrößten | |
Datenspeicher. Fünf Billionen Gigabyte sollen die Systeme | |
US-Medienberichten zufolge speichern können. Zum Vergleich: Branchenkenner | |
vermuten, dass die Datenbanken der NSA derzeit mehrere Dutzend Petabyte | |
umfassen. | |
Ein Petabyte entspricht einer Million Gigabyte. Auf ein Speichermedium mit | |
einem Gigabyte passen über 200.000 E-Mails à fünf Kilobyte, also solche, in | |
denen sich ausschließlich Text befindet. | |
Das neue Zentrum in Utah sollte also reichen, um die Daten einiger Jahre | |
aufzunehmen, vor allem, wenn es um die Speicherung textbasierter Daten wie | |
Metadaten von Kommunikationsverbindungen, also etwa um Videos geht. Auch | |
beim Programm des britischen Geheimdienstes ist die Menge der anfallenden | |
Daten enorm: Ein einzelnes Glasfaserkabel, von dem die Briten laut dem | |
Guardian 200 überwachen sollen, kann bis zu fünf Gigabyte pro Sekunde | |
transportieren – das entspricht etwa einer DVD. Die Überwachung wird | |
dadurch erleichtert, dass Internetnutzer einen überwiegenden Teil ihrer | |
Daten unverschlüsselt durch das Netz schicken. | |
Das betrifft sowohl E-Mails, die unverschlüsselt versendet werden, als auch | |
Webseiten, die über unverschlüsselte Verbindungen laufen. Einige Daten | |
bleiben zwar auch bei einer verschlüsselten Kommunikation offen lesbar, wie | |
etwa die Betreffzeile einer E-Mail. | |
Doch um den Inhalt einer Mail zu entschlüsseln, müssten die Geheimdienste | |
einiges mehr an Aufwand betreiben, als das derzeit der Fall ist. Bei | |
Webseiten wären falsche Zertifikate nötig, was Nutzer entdecken könnten und | |
entsprechend Alarm schlagen könnten. | |
Und gegebenenfalls müssten die Geheimdienstler ein paar Jahre warten, um | |
einen guten Schlüssel tatsächlich knacken zu können. | |
## 3. Was versprechen sich die USA davon? | |
Sicherheit – das ist zumindest die offizielle Erklärung. Dafür seien | |
manchmal auch Kompromisse nötig, sagte US-Präsident Barack Obama nach dem | |
Bekanntwerden der Überwachungsdimensionen. Der Journalist und NSA-Experte | |
James Bamford ist da anderer Meinung. „Die NSA hat einen riesigen Heuhaufen | |
gebaut, so hoch, dass es unmöglich ist, die Nadel darin zu finden“, sagte | |
er im Interview mit der Zeit. | |
Gehe es wirklich darum, Menschenleben zu schützen, sei es effektiver, | |
Sturmgewehre zu verbieten anstatt nach Menschen zu fahnden, die etwa | |
Dampfkochtöpfe ordern. Solche waren bei dem Anschlag in Boston im April | |
benutzt wurden. | |
Bamfords These stützt, dass eine Reihe von Anschlägen nicht verhindert | |
wurde – trotz Überwachung. Nicht nur die Attentäter von Boston blieben | |
zuvor unerkannt, auch die Anschläge vom 11. September 2001 und im Jahr | |
davor den Angriff auf das Kriegsschiff „USS Cole“ konnte der Geheimdienst | |
nicht vereiteln. | |
Michael Ratner, Präsident des European Center for Constitutional and Human | |
Rights, glaubt, dass es eigentlich um etwas anderes geht: soziale Kontrolle | |
von Individuen. | |
In der taz nannte er etwa den Arabischen Frühling als Beispiel: „Die | |
US-Regierung kontrolliert diese Daten. Und kann ihren Alliierten sagen, wer | |
ihre Freunde und wer ihre Gegner sind. Letztere können dann hinter Gitter | |
gebracht werden.“ | |
In der EU sind nun Forderungen laut geworden, nach denen Unternehmen, die | |
sich mit ihrem Geschäftsmodell auch an europäische Kunden richten, diesen | |
die europäischen Datenschutzstandards bieten müssen. | |
Wie viel eine solche Regelung bringen würde, hängt aber maßgeblich von der | |
neuen Datenschutz-Grundverordnung ab, die die EU derzeit verhandelt. In | |
diesem Zusammenhang gibt es übrigens auch Vorschläge für einen besseren | |
Schutz für Whistleblower. | |
## 4. Profitieren auch deutsche Behörden? | |
Wenn die NSA Erkenntnisse liefert, sagen deutsche Sicherheitsbehörden nicht | |
Nein. Sie wissen, dass der amerikanische Geheimdienst überlegene technische | |
Möglichkeiten hat. | |
Und wie die Daten gewonnen wurden, will man in Deutschland besser gar nicht | |
wissen. Doch selbst wenn man es wissen wollte, würden die Amerikaner es | |
nicht sagen. | |
Das ist so üblich unter Geheimdiensten. Jüngstes Beispiel für Hilfe vom | |
großen Bruder ist der Verdacht gegen zwei tunesische Studenten. Sie sollen | |
in Deutschland Anschläge mit Hilfe von Modellflugzeugen geplant haben. Der | |
Verdacht soll Anfang 2012 durch Informationen eines US-Geheimdienstes | |
ausgelöst worden sein, berichtete am Wochenende der Spiegel. | |
Hier waren die Anschlagsplanungen aber noch nicht weit fortgeschritten, | |
sodass es am Dienstag voriger Woche bei Hausdurchsuchungen blieb und keine | |
Verhaftungen erfolgten. | |
Viel bekannter ist die Entdeckung der sogenannten Sauerland-Gruppe um den | |
Ulmer Konvertiten Fritz G., die im September 2007 nach monatelanger | |
Observation beim Bombenbasteln im Sauerland festgenommen wurde. Im Oktober | |
2006 hatten die deutschen Behörden einen Tipp von der NSA bekommen, dass | |
zwei Islamisten nach Deutschland zurückkommen, um möglicherweise Anschläge | |
zu verüben. | |
Von da an wurden die Verdächtigen überwacht. Sie hatten wohl vor, | |
Autobomben-Anschläge auch auf US-Einrichtungen zu verüben. | |
Wie das Magazin [1][Focus] erst am Wochenende enthüllte, reiste deshalb | |
sogar eine CIA-Einheit nach Deutschland. Zu ihr gehörten Chemiker, | |
Dolmetscher und nahkampferprobte Soldaten. Davon wussten damals aber nur | |
das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium. Das | |
Bundeskriminalamt war laut Focus nicht informiert. | |
## 5. Wird bei uns weniger überwacht? | |
Die anlasslose Überwachung der Bevölkerung ist keine Spezialität | |
amerikanischer und britischer Geheimdienste. Auch der deutsche | |
Bundesnachrichtendienst (BND) führt schon seit mindestens 1968 eine | |
strategische Fernmeldekontrolle durch. | |
Anfangs ging es dabei nur um den Schutz vor Angriffen des Ostblocks, seit | |
1994 auch um Terrorismus und illegale Rüstungsexporte, seit 2010 sogar um | |
die Schleusung von Ausländern. Überwacht wird der internationale | |
Telefonverkehr, seit 2001 auch die E-Mail-Kommunikation. | |
Dabei filtert der BND, ob verdächtige Worte benutzt werden und ob | |
verdächtige ausländische Anschlüsse beteiligt sind. Derzeit darf der BND | |
maximal 20 Prozent der internationalen Kommunikation scannen, aus | |
Kapazitätsgründen schafft er aber eh nur 3 bis 5 Prozent. | |
Im Jahr 2011 ergaben sich so 290 nachrichtendienstlich relevante Hinweise. | |
Konkrete Erfolge sind unbekannt. Der BND hätte gerne 100 Millionen Euro für | |
bessere Technik. Im Rahmen der sogenannten Vorratsdatenspeicherung sind | |
EU-weit alle Telefon- und Internetunternehmen verpflichtet, die | |
Verkehrsdaten ihrer Kunden („wer telefoniert/mailt/simst wann wo mit wem | |
wie lange?“; „wer surft mit welcher IP-Adresse wie lange im Internet“) | |
mindestens sechs Monate lang zu speichern. | |
Im Englischen nennt man diese Verkehrsdaten Metadaten. Die Polizei darf nur | |
im Verdachtsfall auf die Daten zugreifen. In Deutschland wurde die | |
Vorratsdatenspeicherung Anfang 2010 vom Bundesverfassungsgericht gestoppt, | |
das besseren Datenschutz forderte. Eine Wiedereinführung scheitert seitdem | |
an der FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. | |
Am 9. Juli verhandelt der Europäische Gerichtshof über die Frage, ob die | |
zugrunde liegende EU-Richtlinie gegen Grundrechte verstößt. | |
1 Jul 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.focus.de/politik/deutschland/streng-geheimer-einsatz-gegen-islam… | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
Christian Rath | |
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