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# taz.de -- Kommentar Überwachungsgesellschaft: Die digitale Unterwerfung
> Die Empörung über die gigantische Ausspähung privater Daten ist groß,
> aber ein Protest dagegen kaum vorhanden. Wir haben verlernt, kollektiv zu
> handeln.
Bild: Jeder für sich und jeder hilflos: Protest in Zeiten des digitalen Indivi…
Die Deutung der Geschichte ist meistens ein Projekt für später. Der Fall
der Mauer 1989 war erlebbare Geschichte. Der Terror vom 11. September 2001
war es auch. Beide Ereignisse veränderten die Geschichtsschreibung. Es
spricht einiges dafür, dass die westlichen Demokratien sich derzeit an der
Schwelle zu einer neuen Epoche befinden. Das verdeutlicht die Affäre um
Edward Snowden auf verschiedenen Ebenen.
Zwar fehlt uns noch der Begriff – wir können aber beschreiben, wodurch
diese neue Ära geprägt ist: Westliche demokratische Staatsapparate
etablieren einen hybriden Autoritarismus neuen Formats. Er beruht auf der
Macht der Datenverfügbarkeit.
Dieses Prinzip hat deshalb totalitären Gehalt, weil Daten, die heute
erhoben werden, auch in Jahrzehnten noch Repressionspotenzial haben. Was
die digitale Unterwerfung allerdings erst geschichtlich bedeutsam werden
lässt, ist die Totalität, mit der sie verteidigt wird. Die öffentliche Jagd
auf den Bürgerrechtler Snowden, vor allem aber die international vereinte
Haltung, seine Asylgesuche nahezu kollektiv abzuwehren, sowie die
europäische Dreistigkeit, die Präsidentenmaschine von Evo Morales auf
Verdacht abzufangen, sind Zeichen dieses Autoritarismus.
Eine weitere Besonderheit ist die nun offenbar werdende Ohnmacht westlicher
Zivilgesellschaften: Wie ist zu erklären, dass die Verehrung von
Bürgerrechten rhetorisch oberste Priorität genießt und die gigantische
Ausspähung privater Daten für massive Empörung sorgt – aber bei
Straßenprotesten kaum mehr als 200 Menschen zusammenkommen?
Die Lobpreisung des Individualismus hat zu pluralen Gesellschaften geführt.
Abhanden kam dabei die Kunst, kollektiv zu handeln. So wurden die Akteure
der digitalen Boheme in ihren hundert Blogs und tausend Foren zu
Freiheitskämpfern ohne Reich und Waffen. Die Helden der differenzierten
Zivilgesellschaften in all den Nichtregierungsorganisationen, Vereinen und
Netzwerken sind gute Verwalter von Spezialitäten.
Das Ergebnis sind freie BürgerInnen, die sich vieles wünschen dürfen, aber
keine Macht besitzen. Jenseits des Reichs der Wünsche beginnt aber jene
neue Dimension von Macht, die uns derzeit von einem internationalen
Staatenkartell vor Augen geführt wird. Wir brauchen ein Wort für diese
Epoche der digitalen Unterwerfung. Das Gefühl dazu gibt es bereits. Es ist
die Ohnmacht.
7 Jul 2013
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Überwachungsgesellschaft
Individualismus
NSA
Schwerpunkt Überwachung
Zivilgesellschaft
Protest
Kommentar
Rache
NSA
Prism
Edward Snowden
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Daten
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USA
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