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# taz.de -- Homotaz Freundschaft: „Hab nichts gegen Schwule, aber...“
> In Kroatien zeigen sich Schwule selten öffentlich als Paar – zu
> gefährlich. Kurz vor dem EU-Beitritt hat die Kirche die Hetze gegen
> Homosexuelle verschärft.
Bild: In Kroatien für Minderheiten eintreten? Nur für wenige selbstverständl…
ZAGREB taz | Die erste warme Mai-Nacht in Zagreb, alle sind draußen. Etwas
abseits des Zentrums, in einem Biergarten, der mit seiner sperrmüllartigen
Einrichtung und dem bunten Publikum auch am Spreeufer in Berlin liegen
könnte, sitzt eine Gruppe junger Anwaltskollegen. Die Männer buhlen um die
Aufmerksamkeit der Frauen. Sie behaupten, besser als die Ehefrau zu Hause
zu kochen, gründlicher zu putzen und sogar die Wäsche selbst zu waschen.
„Ich wasch alles immer 40 Grad. Nur Schwule drehen die Hemden um und gucken
nach, wie viel Grad das Ding verträgt.“
Ein blöder Scherz? Die selbstverständliche Antwort: „Ich hab nichts gegen
Schwule." Und nach einer Pause: „Aber die müssen ja nicht in aller
Öffentlichkeit Händchen halten“.
In den Straßen der kroatischen Hauptstadt sind gleichgeschlechtliche Paare,
die Händchen halten, nirgens zu entdecken. Auch nicht auf der kleinen Demo
für die Homo-Ehe durch die Innenstadt ein paar Tage später.
„Das ist das Paradebeispiel für diese lächerliche Scheinheiligkeit in
diesem Land“, sagt Ana Benacic. „Niemand von denen empfindet es als
Zumutung, dass die Kirche ihre Prozessionen in aller Öffentlichkeit
durchführt. Sollen die doch ihre Kreuze in ihren eigenen vier Wänden
lassen“, schimpft sie. Ana ist Journalistin, arbeitet für eines der wenigen
Online-Portale Kroatiens, das nicht einem der beiden Medienmogule des
Landes gehört und wurde kürzlich von der Kroatischen
Journalistenvereinigung für den besten Internetjournalismus 2012
ausgezeichnet.
In ihrer ersten Zagreber WG vor knapp 10 Jahren lebte sie mit einem
schwulen Pärchen. Bedrückt erzählt die sonst sehr selbstbewusste
29-Jährige, dass ihre Mitbewohner sich nie auf der Straße als Pärchen
gezeigt hätten. Einer der beiden wurde zwei Mal zusammengeschlagen. Ein
Mal, vor einem Club, war sie dabei. „Am Tag, nachdem er sein Studium
beendet hat, ist er abgehauen. Nach Berlin. Dort ist er endlich richtig
glücklich, wenn auch illegal.“
## 700.000 gegen die Homo-Ehe
Die Mitbewohner seien auch nie auf der „Pride“ gewesen, die seit 2002
immerhin jährlich in Zagreb stattfindet. „Sie hatten nichts dagegen. Aber
sie wollten, dass ihr Verhältnis kein Thema ist, das es normal ist.“ Ana
selbst war in diesen Jahren auch nicht auf der Pride. „Ich war keine
Aktivistin. Für mich war es ganz normal, dass um mich herum Homosexuelle
sind." Erst 2006 war sie zum ersten Mal auf der „Pride", um darüber zu
berichten.
Auch vor ein paar Wochen war sie als Journalistin auf der Demo der
LGBT-Aktivisten für die Homo-Ehe. Anlass: die Initiative „Im Namen der
Familie“, die innerhalb von zwei Wochen 700.000 Unterschriften für ein
Referendum gegen die Homo-Ehe sammelte. Einige Tage vorher hatte das
Verfassungsgericht der Klage gegen den Sexualkundeunterricht Recht gegeben
und ihn damit de facto abgeschafft.
Es war zwar klimatisch eher ein kälterer Mai, aber einer der politisch
heißesten der vergangenen Jahre: Kurz vor dem EU-Beitritt des Landes am 1.
Juli erlebt das Land einen Frühling der Reaktionäre, ganz so als ob noch
schnell ein paar Wertepfeiler einbetoniert werden müssen, bevor die Tür zur
großen Hure Babylon aufgemacht wird. Hinter diesen propagandistischen
Aktivitäten steht vor allem eine Institution: die katholische Kirche. Die
spricht von „Krankheit“ und „Gefahr für das kroatische Volk“, wenn sie
Homosexalität meint. Die Medien sprechen von „Krise der Verfassung“, von
„Alle gegen alle“, von „konservativer Revolution“.
„Ich spreche von Hetze", sagt Ana. „Bis 14 war ich radikale Katholikin.
Eines Tages wurde mir schlagartig klar, wie heuchlerisch die Moral der
Kirche ist. Ein Pfarrer sagte mir, dass vor Gott nicht alle Menschen gleich
seien“, erzählt sie. Ana wuchs in einer Kleinstadt in Slawonien, im
nordöstlich Teil Kroatiens, auf. Ihre Heimatstadt wird seit über 25 Jahren
rechtskonservativ, von der HDZ, regiert.
Anas Mutter war mal Klosterfrau. Auch sie hat das Referendum
unterschrieben. „Das war der größte Schock meines Lebens. Und als ich ihr
sagte, dass ich vielleicht auch lesbisch geworden wäre, hätte ich nicht
Lado kennengelernt, war das für sie der größte Schock ihres Lebens.“
Ladislav Tomicic, ebenfalls Journalist, arbeitet für die einzige
Printzeitung des Landes, die unabhängig von Medienmogulen ist. „In unserer
Gesellschaft ist es mutiger, sich als schwul zu outen als in den Krieg zu
gehen. Im Krieg hast du eine Chance zu überleben. Als bekennender Schwuler
musst du hier davon ausgehen, dass dich deine eigene Familie lyncht, wenn
es nicht vorher deine Nachbarn erledigt haben.“
## Da sind die Schwulen, da wirst du gefickt
Lado ist in einem Dorf in Mittelbosnien groß geworden. Als er nach Zagreb
zum Studieren ging, gab man ihm im Dorf den Rat, auf keinen Fall das
„Baccus“ am Bahnhof zu betreten, da würden sich die Schwulen treffen und er
„gefickt" werden. „Als ich dann den erste Schwulen kennenlernte, war ich
vor allem davon überrascht, dass es den wirklich gibt, den Schwulen. Bis
dahin hatte ich das ganze Gerede für eine dieser mythischen Balkanmärchen
gehalten.“ Das Bacchus, ein Jazz-Lokal am Bahnhof, hat er bis heute nicht
betreten. „Die Schwulen, die ich kenne, gehen da gar nicht hin.“
Im „Krolo“, der Kneipe im Stadtzentrum, in der sich die LGBT-Aktivisten
nach der Demo treffen, ist Lado der einzige Mann in einer Runde. Die Frauen
am Tisch sind alte Freundinnen. „Ich bin halt lieber mit Frauen zusammen,
weil da mein Humor besser ankommt“. Was er als „selbstverständlich“
bezeichnet - für die Rechte einer Minderheit einzutreten, wenn sie bedroht
ist - ist es das für seine Geschlechtsgenossen offenbar weniger?
Achselzucken.
Trotzdem, erzählt Ana, sei das Thema Homophobie in Kroatien eigentlich
durch. Keine ernstzunehmende Zeitung würde heute noch einen Politiker als
„schwul“ bezeichnen, um ihn damit zu diskreditieren. Das sei vor ein paar
Jahren noch anders gewesen. „Es gibt keine spezielle kroatische Form der
Homophobie“, meint Lado. Es sei alles nur primitiver und die Erfahrung mit
der political correctness in diesem Land noch sehr kurz. „Hier gibt es zwar
ein Gesetz, das homophobische Angriffe unter 'Volksverhetzung´ fasst. Aber
die Polizei erkennt gar nicht, was ein homophober Angriff ist.“
À propos „politisch korrekt": Ana und Lado benutzen während sie erzählen
immer wieder die traditionell genitalen Flüche des Landes (wörtlich
übersetzt: „Verpiss dich in die Fotze deiner Mutter“, „Das tut meinem
Schwanz weh“). „Wenn ich sage: 'Ich spül kein Geschirr, das ist
Schwuchtelarbeit'“, erklärt sich Lado, „benutze ich das Wort Schwuchtel in
vollem Bewusstsein.“
## Politisch unkorrektes Fluchen
Aber beim Fluchen merke man eben, wie stark die Geschlechtsbilder die
Kultur prägen und dass es noch mehrere politcial correctness Debatten
brauche, bis sich selbst bei Leuten wie ihnen, das Bewusstsein über
Geschlechterdiskriminierung auch in einer nicht diskriminierenden Sprache
zeige.
Er glaube zwar trotzdem nicht, dass sich Weltanschauungen durch
Sprechverbote ändern ließen - „schwul“, „debil“, „Mistvieh, wenn ic…
alles nicht mehr sagen darf, wie soll ich Menschen eigentlich noch
beurteilen?“, witzelt er -, aber ohne „PC“ erreiche man tatsächlich leid…
gar nichts.
Ana und Lado stehen immer auf der Seite der bedrohten Minderheiten:
„Serben, Schwule, Zigeuner". Dabei gehören sie selbst zu einer vierten: die
der unabhängigen Journalisten. Doch Lado winkt ab: „Es wird Zeit, dass die
Kirche den Hass auf die Arbeiter lenkt. Das wird dann hoffentlich ähnliche
große Medienwirbel verursachen wie der Hass auf Schwule."
4 Jul 2013
## AUTOREN
Doris Akrap
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Kroatien
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