# taz.de -- Homotaz Freundschaft: „Ich bin eine Idiotin“ | |
> Anna Grodzka sitzt in Polens Parlament. Sie ist weltweit die einzige | |
> transsexuelle Abgeordnete. Ein Gespräch über Freundschaft, | |
> Weltverbesserer und ihre Familie. | |
Bild: Politik ist Arbeit, da sucht man nicht nach Freunden. | |
taz: Frau Grodzka, wie haben Ihre Freunde reagiert, als Sie sich vor zwei | |
Jahren dazu entschlossen, als Frau zu leben? | |
Anna Grodzka: Ich habe damals viele Freundinnen und Freunde verloren. Aber | |
nicht alle, die keinen Kontakt mehr wollten, waren auch meine Freunde. Dass | |
ich Freundschaftsgefühle habe, bedeutet ja nicht, dass der andere auch | |
welche hat. Oft wird erst in schwierigen Situationen die Freundschaft auf | |
eine wahre Probe gestellt. | |
Und wenn die Freundschaft weiterhin besteht, wird sie oft gefestigt. | |
Die, die mir geblieben sind, sind mit der Situation zurechtgekommen. Ich | |
habe große Achtung vor ihnen. Wobei Frauen da eher empathischer waren, | |
offener. Die Männer fühlten sich irgendwie betrogen, verraten. Aber ich | |
werfe ihnen das nicht vor. Vielleicht haben sie die Situation einfach nicht | |
ausgehalten. | |
Sie waren ein Mann, nun sind Sie eine Frau. Sind Sie heute dieselbe Person | |
wie früher? | |
Meine Schwächen, meine Interessen, alles, was meins war, ist meins | |
geblieben. Nur jetzt sind bestimmte Dinge normal geworden. Mein Äußeres | |
entspricht endlich meinem Ich. Hinzu kommt, dass ich mich entschieden habe, | |
dies auch öffentlich zu machen und darüber zu sprechen. | |
Sie lebten 50 Jahre lang als Mann, führten eine Ehe, zeugten einen Sohn. | |
Fragen Sie sich manchmal, wie es gewesen wäre, hätten Sie sich schon viel | |
früher zu Ihrem Geschlecht bekannt? | |
Ich stelle es mir sehr oft vor. Es wäre wohl besser gewesen. Vielleicht | |
wäre ich dann glücklicher. Ich habe zu lang gewartet. | |
Woran liegt es, dass sich viele Transsexuelle erst so spät bekennen? | |
Ich weiß es nicht. In Thailand, wo ich die Geschlechtsumwandlung habe | |
durchführen lassen, sind die Patienten im Durchschnitt 42 Jahre alt. Es | |
scheint also normal zu sein, sich erst relativ spät im Leben zu bekennen. | |
Dabei glaube ich, dass schon ein junger Mensch spürt, ob sein Geschlecht zu | |
ihm passt oder nicht. Es gibt diese innere Kraft, die ihn in diese oder die | |
andere Richtung lenkt. Aber bis er diese Hürde überwindet, dazu auch zu | |
stehen, das ist ein sehr langer Weg. | |
Wie könnte man einem Heranwachsenden diesen Weg erleichtern? | |
Man könnte das Kind beobachten, und irgendwann in der Pubertät dessen | |
hormonellen Prozess stoppen. Das wäre viel einfacher und gesünder als | |
später als Erwachsener. | |
Was war bei Ihnen der ausschlaggebende Moment, sich als Frau zu bekennen? | |
Ich hatte Nierenkrebs. Eine Niere wurde mir entfernt. Wir leben tagaus | |
tagein, wir führen Beziehungen, erziehen Kinder, gründen eine Firma, bauen | |
ein Haus, und rennen von Ziel zu Ziel. Aber wenn etwas wirklich Tragisches | |
passiert, nicht nur Krankheit, auch der Tod einer nahen Person, dann | |
stellen wir uns plötzlich grundsätzliche Fragen. Ich fragte mich: Wie will | |
ich den Rest meines Lebens verbringen? | |
Und Sie weihten Ihre Frau ein. | |
Sie wusste schon vorher von Anna Bescheid, von mir als Frau. Aber der Deal | |
war, dass ich es nicht auslebe. Es wäre wohl besser gewesen, hätte ich | |
diese Ehe so nicht gelebt. Aber ich habe meine Frau sehr geliebt, sie war | |
und ist die wichtigste Person meines Lebens. Ohne sie wäre auch mein Sohn | |
nie geboren worden. Das Schlimmste war die Trennung von ihr. Sie brach den | |
Kontakt ab. Nur zu meinem Sohn habe ich noch guten Kontakt. | |
Seit zwei Jahren sitzen Sie im polnischen Sejm, als Abgeordnete für die | |
Palikot-Bewegung, die drittstärkste Kraft im Parlament. | |
Als Psychologin habe ich mich mein Leben lang auch beruflich mit der | |
Transsexualität beschäftigt. Damals war ich bereits stark in der | |
Transsexuellenszene aktiv und gab ab und an Interviews. Allerdings als | |
Mann, als Experte auf dem Gebiet. Doch die Medien brauchen Fleisch, sie | |
wollen keine Experten, sie wollen Menschen, die ihr persönliches Schicksal | |
erzählen. Irgendwann entschied ich mich, meine persönliche Geschichte zu | |
erzählen. So wurde Janusz Palikot auf mich aufmerksam, der Gründer der | |
Palikot-Bewegung. Er fragte mich, ob ich bei der nächsten Wahl des Sejm für | |
seine Partei kandidieren wolle. Ich sagte nein – und dachte dann: Wie soll | |
ich sonst etwas ändern?Am Ende bekam ich in Krakau 20.000 Stimmen, und | |
damit landesweit den zweiten Platz. | |
Wir waren sehr überrascht, dass Sie als Transsexuelle nur zwei | |
Vorgängerinnen haben. Derzeit sind Sie sogar die einzige in einem | |
Parlament. | |
Es gibt eben wenige Idioten, die glauben, die Welt verbessern zu müssen. | |
Außerdem gibt es ja auch weit weniger Trans- als Homosexuelle. | |
Das klingt ernüchtert. Bereuen Sie den Schritt, in die Politik gegangen zu | |
sein? | |
Nein. Aber er hatte Konsequenzen, nicht nur positive. Ich werde beschimpft, | |
nicht ernstgenommen von Politikern. Und doch: Dank meiner Bekanntheit kann | |
ich viel tun für uns Transsexuelle. Auch wenn ich damit ein Opfer bringe. | |
Heute wissen wir, dass es Menschen wie mich gibt. Damals hatten meine | |
Eltern keine Wahl, sie trainierten mich, ein Junge zu sein – obwohl sie | |
wussten, dass ich mich nicht als Junge akzeptieren konnte. | |
In vielen Ländern sehen Schwule und Lesben Transsexuelle nicht als | |
gleichwertige Mitkämpfer. | |
Es gibt ja auch in den einzelnen Gruppen Distanzierungen. Männliche Lesben | |
sind gegen weibliche, bei den Schwulen ebenso. Meiner Ansicht nach sind das | |
blödsinnige Trennungen. Wenn nicht alle Menschen der Auffassung sind, dass | |
jeder so sein darf, wie er sich fühlt, dann werden wir den Kampf um | |
Gleichheit nie gewinnen. Aber in Polen hält die LGBT-Szene sehr zusammen. | |
Das mag daran liegen, dass unser Kreis noch sehr klein ist, und unser | |
äußeres Umfeld uns nicht wohlgesonnen. | |
Es gab in letzter Zeit heftige Proteste in Frankreich gegen die Homoehe. | |
Polen hat es bisher nicht geschafft, gleichgeschlechtliche Partnerschaften | |
per Gesetz zu stärken. | |
Derzeit gibt es in vielen europäischen Ländern in dieser Hinsicht einen | |
Stillstand, wenn nicht gar einen Rückschritt. Europa polarisiert sich in | |
dieser Frage immer stärker, auch der Faschismus erstarkt, nicht nur in | |
Ungarn. Das ist ein Problem. | |
Im Sejm werden Sie öfter beschimpft, Ihr Büro wurde ein Mal verwüstet. Ihre | |
Bekanntheit schützt Sie also nicht. | |
Dass ich so bekannt bin, schadet mir nur. Aber es hilft, meine Mission zu | |
realisieren. Und mancher konservative Politiker ist im privaten Gespräch | |
sehr aufgeschlossen und interessiert. Doch insgesamt wächst die Aggression | |
in der Politik. Immerhin wird die Linke stärker, fordert Veränderung und | |
Gerechtigkeit ein. | |
Haben Sie denn auch Freunde in der Politik? | |
Die Politik ist meine Arbeit, ich suche da nicht wirklich nach Freunden. | |
Ich habe Verbündete, Feinde auch. Es geht darum, zu etwas nütze zu sein, | |
einen guten Eindruck zu machen. Um den Kampf um politische Konzepte. | |
Freunde habe ich eher in transsexuellen Gruppen, unter Gleichgesinnten. | |
Wie viel Zeit haben Sie denn für Freundschaften? | |
Überhaupt keine. Ich schaffe es kaum, meine drei wunderbaren Schwestern zu | |
sehen, in Bremen, in Warschau, und in den USA. Ich habe eine sehr | |
liebevolle Mutter, einen Sohn. Mit all denen versuche ich verzweifelt | |
Kontakt zu halten. | |
Wie lange machen Sie das noch mit der Politik? | |
Bis zum Ende der Legislaturperiode bestimmt. Danach haben die mich eh satt. | |
Und wie lang würden Sie gern? | |
Bis bestimmte Projekte zu Ende gebracht sind. Wie das Gesetz zur | |
Gleichstellung aller Partnerschaften. Oder die Reform des Arbeitsrechts, um | |
die Arbeitnehmerrechte zu stärken, damit diese prekären Arbeitsverhältnisse | |
aufhören. Und eine Reform des Mietrechts. Der Staat muss in dieser Frage | |
stärker reagieren. | |
Glauben Sie, dass die Politik mit Gesetzen auf die Gesellschaft einwirken | |
kann? | |
Ich habe vor allem den Eindruck, dass die Politik die Probleme der Menschen | |
einfach nicht lösen kann. Es ist doch so: Homosexuelle, Transsexuelle, sie | |
alle leben in Partnerschaften. Sie erziehen Kinder, oft aus vergangenen | |
Beziehungen. Das ist die Wirklichkeit, da muss die Politik eine gesetzliche | |
Grundlage schaffen. Es gibt Leute, die glauben, ein Rezept für die | |
komplette Menschheit zu besitzen. Sie irren sich sehr. Menschen sind | |
verschieden. Es gibt auch keine zwei gleichen Bäume oder Blumen. Es gäbe | |
gar keinen Fortschritt ohne diese Vielfalt in der Natur. Vielfalt ist unser | |
Wert. | |
5 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
Emilia Smechowski | |
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