| # taz.de -- Homotaz Freundschaft: Der Letzte macht das Licht aus | |
| > Viele Schwule und Lesben haben keine Familie. Umso wichtiger werden | |
| > Freunde. Im Seniorenheim muss die Freundschaft solidarisch organisiert | |
| > werden. | |
| Bild: Freundschaft hat mit Vertrauen zu tun. Dass man sich verlassen kann, getr… | |
| Der Weg vom Bett zum Sessel ist für Walter Krüger jetzt eine Polka. Tanzen | |
| war sein Beruf. „Ich bin durch die ganze Welt getanzt.“ Er zählt auf: | |
| Mongolei, China, Nordkorea, „und wie heißt dieses andere Land?“ Reden | |
| strengt ihn an. „Bei mir rutscht das alles runter.“ Alles: die Worte, die | |
| Namen, die Erinnerung. Krüger tourte zehn Jahre mit einer Folkloregruppe | |
| und war danach 32 Jahre lang Tänzer am Friedrichstadtpalast in Berlin. | |
| Jetzt lebt er in einem Pflegeheim, in seinem Arm eine Infusion. Er trinkt | |
| zu wenig. | |
| „Ich hatte viele Freunde. Die meisten tot“, sagt er. Einer ist ihm | |
| geblieben. Er zeigt auf den kleinen Rollwagen vor der Wand mit dem Telefon. | |
| Dort liegt das Foto. Ein Tänzer wie er. „Kollege sagen wir. Der ist jetzt | |
| auch sechzig geworden.“ | |
| Auf dem Foto ist der Kollege, ein stattlicher blonder Mann, fesch, im | |
| Anzug, Standbein-Spielbein, noch jünger. Sanft lächelt er in die Kamera. | |
| Spielt Freundschaft eine Rolle, wenn man im Altersheim lebt? Krüger, der in | |
| einem Liegesessel sitzt, vor ihm ein kleiner Tisch mit einer Wachstuchdecke | |
| mit Hunden drauf, gegenüber das Bett mit einem Überwurf, auf dem auch Hunde | |
| aufgestickt sind, links davon der Fernseher (groß) und die Tür zur Toilette | |
| (breit, so breit, dass ein Rollstuhl durchpasst), sagt: „Nein.“ | |
| Dann nickt er wieder dem Foto zu. Kommt Ihr Freund oft? „Er ist nicht, was | |
| Sie denken“, dabei hebt er seine rechte Hand, die gute, die, in der noch | |
| Kraft ist, die, an der er den Ring mit dem blauen Stein trägt, elegant in | |
| die Höhe und legt sie wieder in seinen Schoß. | |
| Krüger, 1929 geboren, lebt seit zwei Jahren in diesem Zimmer. „Ich habe die | |
| Welt gesehen.“ Wo waren Sie nicht? „In Australien.“ Wo waren Sie am | |
| liebsten? „In Vietnam.“ Er deutet auf ein Foto, das rechts an der Wand | |
| hängt. Ho Tschi Minh umringt vom Tanzensemble. Er zeigt auf seinen Ring. | |
| „Der ist von Onkel Ho.“ | |
| Bis er sechzig war, hat er getanzt, erzählt er. Jeden Abend eine | |
| Aufführung, am Samstag und Sonntag jeweils zwei. Und als er nach der Wende | |
| doch zu alt war fürs Tanzen, wurde er Inspizient – einer, der dafür sorgt, | |
| dass alles glatt über die Bühne geht. Es war ihm Anstrengung und Freude | |
| zugleich. | |
| ## Ihn treibt nichts mehr an | |
| Außer dem Foto seines Freundes und dem mit Ho Tschi Minh hängen noch ein | |
| paar kleine Schwarzweißaufnahmen im Zimmer. Er tanzend. Mal mit Frauen in | |
| einer Tracht, mal mit einer Solistin, die er auf Knien in seinem Schoß | |
| hält, mal in die Luft springend, die beiden Beine angewinkelt. Er erklärt | |
| gern, was auf den Fotos zu sehen ist, aber außer dem großen Foto von seinem | |
| Kollegen drängt es ihn nicht, sie zu zeigen. | |
| Ohnehin treibt ihn nichts mehr. Ab und zu kämen Leute, fragten, ob er mit | |
| ihnen raus auf die Straße, den Park gehen möchte. Er möchte nicht. „Ich | |
| kann nicht mehr laufen. Die Beine kaputt. Das viele Tanzen. Immer | |
| ausverkauft. Immer lächeln.“ Er sagt es lächelnd. Zwischen den Sätzen sind | |
| Pausen. Er weiß, es war ein gutes Leben. „Ja, Erfüllung“, sagt er. | |
| Krüger wurde in Stralsund geboren. Eigentlich sollte er Fischer werden wie | |
| sein Vater. Aber die beiden vertrugen sich nicht. Nach dem Krieg, „es eine | |
| schlimme Zeit“, auch er musste als 16-Jähriger in der Wehrmacht noch auf | |
| der Enigma-Schreibmaschine kodierte Botschaften tippen, nach dem Krieg also | |
| entdeckte seine Mutter eine Annonce: „Tänzer gesucht“. Die Mutter sagte: | |
| „Du tanzt doch so gerne.“ Schon als Kind habe er sich Steppen und all das | |
| ja beigebracht. In den Filmen von Marika Rökk gesehen, wie es geht – und | |
| nachgemacht. „Nach dem Krieg fehlten die Männer“, sagt er. Frauen mussten | |
| Männer spielen. Also wurde er Tänzer – mit 21 Jahren. | |
| Er sei froh, dass er keine Frau habe. Beim Tanzen hätte er gemerkt, dass | |
| die immer führen wollten. „Aber richtig homosexuell – nein“, das sei er … | |
| nicht. Wenn er erzählt, spart er sich oft die Verben – er ist kein | |
| Handelnder mehr. | |
| Immer montags kam der Kollege früher zu ihm in die Dunckerstraße, wo er | |
| wohnte. „Zum Quatschen.“ Eine Bekanntschaft über Jahre. Der Kollege hatte | |
| einen Schlüssel zur Wohnung, deshalb hat er Krüger auch gefunden, als der | |
| auf dem Boden lag, Schlaganfall. „Ach“, sagt er. Er schaut auf das Foto | |
| seines Kollegen. Das Foto hält ihn. „Sie wissen auch noch nicht, wo Sie | |
| enden im Alter“, sagt er. | |
| ## Getragen werden | |
| Ob Freundschaft trägt, wenn man alt ist, gebrechlich und im Seniorenheim | |
| lebt? Es ist nur eine Frage. Und ob es dann noch eine Rolle spielt, dass | |
| man homosexuell ist? Henry Schade sucht nach Antworten. Findet keine. Er | |
| sitzt im Besucherzimmer eines Heims, das in einer ehemaligen Berufsschule | |
| an der Danziger Straße in Berlin ist. Ein Backsteinbau versteckt hinter | |
| Zehngeschossern. Auf dem Tisch Mineralwasser. | |
| „Machen wir uns nichts vor“, sagt er, als er von der Begegnung mit Krüger | |
| erfährt, „für die Kriegsgeneration ist es schwer, über Homosexualität zu | |
| sprechen.“ Henry Schade – schwul, verpartnert, in den letzten Tagen vor dem | |
| Ende des Krieges geboren – betreut eine 67 Jahre alte lesbische Frau, die | |
| hier lebt. Früher war er ihr Amtsbetreuer, aber es habe sich eine | |
| Freundschaft entwickelt, und die höre nicht auf, wenn man nicht mehr | |
| bezahlt werde. | |
| Und was ist Freundschaft? Es dauert lange, bis die Formel gefunden ist. Sie | |
| hat mit Vertrauen zu tun. Dass man sich verlassen kann, getragen wird. Dass | |
| man nicht verurteilt wird für das, was man ist, wie man ist. „Dass man | |
| durch dick und dünn geht.“ | |
| Henry Schade war erst Schauspieler in der DDR, dann wechselte er ins | |
| Synchronfach. Dass er schwul war – kein Problem. In der DDR wurde | |
| Homosexualität unter Erwachsenen seit Ende der Fünfziger nicht mehr | |
| verfolgt. Schwulenkneipen waren erlaubt. „Da hatte die Stasi die | |
| Plaudertaschen auf einem Haufen.“ Trotzdem stellte er 1981 einen | |
| Ausreiseantrag und blieb am Ende doch, weil er seinen Mann kennenlernte. | |
| Als nach der Wende das Synchronstudio geschlossen wurde, wechselte er in | |
| den sozialen Bereich. „Ich habe ein Helfersyndrom“, sagt der große blonde | |
| Mann im Hawaiihemd. | |
| Er hat gut in der DDR gelebt, konnte reisen, tun, was ihm gefällt, | |
| homosexuell sein. Ganz anders die lesbische Frau, um die er sich kümmert. | |
| Ihre DDR war ein Gefängnis. Weil sie selbst kaum darüber reden kann, gibt | |
| Schade die Stichworte: 1946 geboren, Vater vermutlich russischer Soldat, | |
| die Mutter, Prostituierte, stirbt früh. Das Mädchen kommt in eine | |
| „Bonzenfamilie“, wird misshandelt, vergewaltigt, sie haut vor dem Mauerbau | |
| noch nach Westberlin ab, wird zurückgebracht, kommt wieder in die | |
| „Bonzenfamilie“, der Missbrauch geht weiter, sie wehrt sich, kommt in ein | |
| Heim für Schwererziehbare, „was das hieß, wissen Sie“. | |
| Später macht sie eine Druckerlehre, hilft einem schwulen Pärchen, nach dem | |
| Mauerbau in den Westen abzuhauen, kommt dafür anderthalb Jahre in den | |
| Stasiknast. Und bald nach ihrer Entlassung noch einmal – als Rückfällige. | |
| Im Knast findet sie eine Freundin. Die erhängt sich, weil sie es nicht | |
| aushält. Später, als es so was wie Normalität in ihrem Leben gab, findet | |
| sie eine Freundin, mit der sie 19 Jahre zusammen ist. Diese stirbt an | |
| Krebs. | |
| „Die Uschi braucht einen Betreuer“, sagt Schade. „Sie ist krank durch und | |
| durch. Eine geschundene Seele.“ Ins Seniorenheim kam sie, weil sie nicht | |
| mehr allein leben konnte, ihre Gesundheit zu fragil. Sooft es geht, holen | |
| er und sein Mann sie zu sich, nehmen sie mit auf Ausflüge. | |
| Ihr Zimmer ist klein. Das Bett ist das Sofa. Mit den Händen im Schoß sitzen | |
| die beiden auf der Kante wie Kinder. Was ist Freundschaft? „Er liest mir | |
| die Wünsche von den Augen ab“, sagt die bleiche Frau mit den gütigen Augen. | |
| Ihr Zimmer ist der Ort, wo sie sich sicher fühlt. Im Gemeinschaftsraum kann | |
| sie nicht essen. „Da ist es eng, da bekomme ich Panik.“ | |
| Freundschaft, das ist, dass man sich berühren lässt: Einer mit einer guten | |
| DDR-Biografie unterstützt eine mit einer schlimmen. Freundschaft, das ist | |
| auch, dass man sieht, was man früher nicht gesehen hat. | |
| ## Sich tragen lassen | |
| In der lesbisch-schwulen Community hat man schon vor Jahren gesehen, dass | |
| Homosexuelle im Alter Unterstützung brauchen und dass es gut wäre, wenn es | |
| ein Netzwerk gäbe. Der Verein „Rat und Tat – Offene Initiative lesbischer | |
| Frauen“ in Berlin hat 2005 einen Besuchsdienst eingerichtet: Lesben | |
| besuchen alte Lesben. „Es ist wichtig, dass die Beziehungen aufgebaut | |
| werden, wenn die Frauen noch nicht zu gebrechlich sind“, sagt Jutta | |
| Brambach, die Initiatorin. Denn alt sein hieße auch, dass man Scham ablegen | |
| muss, dass man nicht mehr alles selbst bestimmen kann, dass man die Hilfe | |
| anderer schließlich doch zulassen muss. | |
| Dreißig solcher Lesben-Lesben-Tandems gibt es derzeit. Maria Arbol und Leni | |
| Heilmann sind eins. Maria Arbol, Arbeitsemigrantin aus Spanien, die 1963 | |
| nach Deutschland kam, wohnt in einer betreuten Wohngemeinschaft für | |
| psychisch und dementiell Erkrankte in Moabit. Leni Heilmann besucht sie | |
| einmal in der Woche, dann quatschen sie, gehen einkaufen oder ins Café, | |
| auch ins Kino. | |
| Arbol, die demnächst 71 wird, thront göttinnengleich mit langem weißem Haar | |
| neben der 15 Jahre jüngeren Heilmann auf dem roten Sofa in ihrem Zimmer und | |
| spricht in kurzen Sätzen. Sie habe immer Frauen begehrt, aber wie sie die | |
| finden kann, das wusste sie nicht. Sie heiratete, arbeitete in ihrem | |
| Blumenladen, bekam einen Sohn. „Die Ehe war unglücklich.“ Erst in den | |
| siebziger Jahren traf sie eine Spanierin, die nahm sie mit ins „Pour Elle“, | |
| ins „Die 2“, da öffnete sich die Tür. | |
| Aber Arbol ist keine, die festhält, nicht die Freundinnen, die sie dann | |
| fand, nicht ihren Mann, ihren Sohn, nicht ihre Heimat. „Ich bin heimatlos.“ | |
| Hier die Spanierin, in Spanien die Deutsche. | |
| Statt Kontakten kamen die Ängste. „Ich bin unsicher, wenn ich rausgehe.“ | |
| Die Wohngemeinschaft gibt ihr Halt. Hier ist sie eingebunden, obwohl die | |
| Mitwohnenden keine Freunde sind, hat Verpflichtungen, muss putzen, muss | |
| kochen – am liebsten Chinapfanne, fast Paella also. Die Besuche von Leni | |
| Heilmann aber sind Halt für ihre Seele. „Wenn sie da ist, fühle ich mich | |
| wohl.“ | |
| Heilmann, die vor zwei Jahren nach Berlin zu ihrer Geliebten zog, macht das | |
| bewusst, eine lesbische Frau besuchen. „Meist haben Lesben keine Familie. | |
| Und dann, wenn man älter wird, sterben Freunde weg. Da dachte ich, ich muss | |
| Freundschaft stärken.“ Sie dachte es nicht für sich, sie dachte es für | |
| jemanden, den sie noch gar nicht kannte. Sie dachte es gebend. „Nein“, | |
| widerspricht sie. „Nicht nur.“ | |
| 7 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Waltraud Schwab | |
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