Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Homotaz Freundschaft: Verliebt, niemals verlobt
> Ein Szenario für ein schlimmes Drama: Ungeouteter Schwuler liebt heimlich
> seinen besten Heterofreund. Gibt es ein Happy End?
Bild: Eine besondere Freundschaft: eng, vertraut, zeitintensiv. Schön – und …
Philipps Freundinnen mochte ich nie. Die konnten noch so nett sein, noch so
witzig und bemüht um meine Anerkennung. Ich verachtete sie schlicht für
das, was sie waren: die Frau an seiner Seite. Ich ging ihnen aus dem Weg.
Doch jetzt war das unmöglich. Erstes Semester in Leipzig, Neustart,
eigentlich. Philipp wohnt über mir, er ist mein bester Freund, und ich bin
verliebt in ihn.
Acht Jahre ist das her. Die Nähe ist unerträglich. Früher auf dem Dorf
konnte ich nur mutmaßen, wann er Frauenbesuch hatte, jetzt weiß ich es.
Höre es. Kichern, Stöhnen, quietschende Betten. Ich will hochgehen, sie
wegzerren, aus dem Fenster schmeißen.
Ich bin ein Meister geworden im Verbergen von Gefühlen. Im Verdrängen auch.
Doch sobald eine neue Frau kommt, übernimmt das Herz die Kontrolle. Ich
sage: „Noch so ein Blondchen.“ Es verletzt ihn. Also gibt es Ärger, mal
wieder. Neun Monate halte ich die Nähe aus, dann ziehe ich ans andere Ende
der Stadt.
Paul lehnt an meiner Badezimmertür und raucht. Wir haben uns gestritten und
nichts mehr zu sagen. Weil von allem zu viel nicht immer das Beste ist.
Verletzte Gefühle, verletzter Stolz, das macht stumm, das weiß jeder, der
liebt. Aber Paul ist mein Freund, mein bester, nicht mein Freund, mein
Partner. Zwar verbringe ich mit niemandem mehr Zeit, aber nicht so. Zwar
leben wir zusammen, aber nicht so. So what?
Am Wochenende war Annett da. Wir haben die Wände rot angemalt, Obst und
anderen Dekoschrott gekauft und peinliche Sexpausen mit Smalltalk
überbrückt. Ich verliere mich in ihren Augen, ich will sie nicht mehr
loslassen, ich vergesse die Zeit und alles um uns herum. Paul hat keinen
Mucks von sich gegeben. Saß wahrscheinlich in seinem Zimmer und hat
geraucht. Ist halt so ein Blondchen, hat er über meine neue Liebe gesagt.
Das war alles. Und ich habe nicht verstanden, warum sich Paul nicht für
mich freut, jetzt, da ich mich doch gerade freue. Ich bin sauer. Keinen
Bock mehr auf Zugeständnisse, Kompromisse, Diplomatie. Also gibt es Stress.
Vielleicht, weil Paul ein besonderer Freund ist, in allen Belangen. Der
ungeduldige, vereinnahmende, sprachgewalttätige Freund. Der Freund, der
etwas irre ist. Mit Paul habe ich Erinnerungen verdaut, neue Ideale
erdacht, meine Zukunft geplant. Mit Paul habe ich Dummheiten gemacht. Paul
hat mir Sorgen bereitet. Paul hat mich zum Nachdenken gebracht. Paul hat
vieles auf den Kopf gestellt. Die Kleinigkeit, warum er sich nie für
Mädchen interessiert hat – geschenkt.
Was bringt all die Gleichstellung, der gesellschaftliche Fortschritt, wenn
man als 16-Jähriger in der fränkischen Provinz merkt, dass man Jungs
interessanter findet als Mädchen. Es gibt keine schwulen Vorbilder, keine
Offenheit, keinen Mut. Nur Versteckspiele. Ich bin anders, das merke nicht
nur ich. Die gelegentlichen Schwuchtel-Rufe in den Schulgängen überhöre ich
meist. Oder lächle sie weg. Ich verknalle mich ständig in meine Freunde.
Der Klassiker. Und entknalle mich wieder. Weil es hoffnungslos ist.
Dann kommt Philipp. Es wird eine besondere Freundschaft. Eng, vertraut,
zeitintensiv. Sein Haus ist meine zweite Heimat, mein Auto sein zweites
Zuhause. Die ersten Konzerte, die ersten Joints. Musik, Filme, Partys. Ein
rauschhaftes Leben. Es ist schön – und schmerzhaft, weil ich mich wieder
verliebe. Seine erste Freundin sehe ich als Konkurrentin, die uns die Zeit
stiehlt. Ich bin zickig, eifersüchtig, bösartig. Philipp duldet das und
fragt nie nach. Jahrelang nicht.
Ich kenne Paul fast noch aus dem Sandkasten. Zwei Ossis im Frankenland,
nicht ganz einfach, das Los. Wir haben Zeit geteilt, zu zweit, in der
Clique, online. Vor allem in der Oberstufe. In der Schülerzeitung, auf
Reisen, unter gleichen Gedanken. Sehr viel Zeit. Meine Eltern fanden das
befremdlich. Paul hat dich wohl ein bisschen zu gern, was? Mir hat das
wenig ausgemacht. Er ist mein Gefährte, verdammt. Ihn stoße ich nur dann
zurück, wenn mir eine Umarmung zu lange dauert.
Paul fordert Zweisamkeit. Aber die gilt gerade Jenny, meiner ersten
Freundin. Wir wollen Zeit für uns, ich bilde mir ein zu wissen, was Liebe
ist, die Momente sind wertvoll. Paul sieht das nicht ein. Der Grund liegt
auf der Hand. Doch unterschätze nicht die Macht der Verdrängung.
Homosexualität ist für mich kein Thema. Das Mysterium „Mädchen“ ist
universell, ich wage es gar nicht zu hinterfragen. Und deshalb benehme ich
mich auch entsprechend mit Chauvisprüchen daneben. Alter, verschon mich
bitte mit deiner Schwuchtelmucke. Ich denke nicht viel nach. Höchstens:
Vielleicht ist Paul ja asexuell. Ein bisschen anders halt. Fragen stelle
ich keine.
Nicht nur Philipp fragt nicht nach. Dabei müsste sich doch zumindest meine
Clique wundern. Warum hat er keine Freundin? Warum schweigt er, wenn wir
über Frauen reden? Warum guckt er Philipp so an? Ich bin Außenseiter,
irgendwie besonders. Besonders komisch. Ich weiß, warum. Meine Freunde
nicht. Für sie bin ich der leicht verrückte, elitäre, undurchschaubare
Paul, der gerne mal verletzend ist, wenn er verletzt wird, was andere gar
nicht als Verletzung erkennen. Ich lenke die Gespräche auf andere Bahnen,
weg von Mädchen, Brüsten, Sex. Suche neue Themen, setze mich damit durch.
Wir sind zu viert in unserer Clique und halten uns für etwas Besonderes.
Wir sind nicht diese Prolls vom Dorf, wir sind alternativ, ragen heraus aus
dem Trott. Wir reden stundenlang über Politik und Medien und über das, was
sein soll und sein wird. Wir lachen und rangeln und spielen und leben. Uns
gehört die Zukunft. Wir sondern uns bewusst ab, aber meine Absonderung ist
anders, sie ist nicht selbst gewählt. Es ist eine schöne Zeit. Trotz allem.
Ich behalte mein Geheimnis für mich.
Vermutlich Paul zuliebe tauschen wir Titten und Trichtersaufen gegen
Popkultur und Philosophie ein. Wir kiffen, um Joints drehen zu lernen, und
lesen Bücher, um Anspielungen aus Filmen und Songs zu verstehen. Wir sind
unvorstellbar cool, elitär und kleinkriminell. Jenny passt da nicht mit ins
Konzept. An ihrer Seite erfülle ich das, was die Welt von mir erwartet.
Meine Jungs erwarten mehr. Also führe ich zwei Leben. Herz neben Verstand,
Körper neben Geist, Tradition neben Revolte.
Die Jungs und ich. Wir sind nicht anders als der Rest. Wir sind besser. Wir
tun, was man auf dem Dorf so tun kann, plündern Supermärkte, bereisen
Festivals, brechen Hausfrieden. Dann gehen die ersten beiden Jungs
studieren. Paul und ich bleiben zurück. Aber Paul schafft es, die Freunde
zusammenzuhalten. Dank seinem alten Ford Fiesta, dem kein Weg zu weit ist,
und einem entwaffnenden Durchsetzungsvermögen.
Paul und ich, wir verschwenden unseren Feierabend. Lungern in den Kneipen
herum, fahren durch die Dörfer, brüllen vor der Startbahn des Frankfurter
Flughafens die landenden Maschinen an, jagen nachts im Auto Feldhasen auf
dem gefrorenen Acker. Wir bereisen die Welt, gucken uns die großen Städte
an, teilen uns ein französisches Bett im YMCA von Brooklyn. Wie das beste
Freunde eben so machen.
Paul ist immer da für mich. Besonders, als mit Jenny Schluss ist. Paul
zuliebe? Na ja, vielleicht, aber nicht wirklich. Gegen sie sprachen weitere
Jahre auf dem Land, Familienpläne und die Panik vor Verantwortung. Für ihn
sprachen die gleiche Berufsidee, die gleiche Stadt und die gleichen Partys.
Raus aus dem Dorf, rein in die Stadt. Es wäre der richtige Zeitpunkt
gewesen. Es endlich zu sagen. Endlich zu leben und zu lieben. Jemand
anderen. Doch meine Altlast kommt mit. Philipp und ich. Ich und Philipp.
Wir wollen beide Journalisten werden, bekommen den Studienplatz in Leipzig.
Wir suchen gemeinsam nach Wohnungen, finden zwei im gleichen Haus,
übereinander. Ich zweifle, zeige es aber nicht. Für ihn ist es das
Natürlichste der Welt. Für mich die Fortsetzung der Qual. So nah bei ihm.
Aber noch immer mutlos. Habe Angst vor den Konsequenzen des Outings. Bilde
mir ein, die Freundschaft mit Philipp, die so unendlich wichtig ist, würde
das nicht aushalten. Würde zerbrechen. Und dann stünde ich am Ende ganz
alleine da.
Anstatt ein neues Leben zu beginnen, bleibe ich beim alten. Ich habe mich
so eingerichtet, bin vorbereitet. Habe Antworten auf die Fragen parat, die
immer kommen. Kann Frauen charmant eine Abfuhr erteilen, ohne sie zu
verletzen. Habe langsam gelernt, den Schmerz auszuhalten. Ich kann mir gar
nicht mehr vorstellen, wie es anders sein könnte.
Deshalb stehen wir da, in meiner Einraumwohnung im Leipziger Ghetto. Ich.
Und Paul. Lehnt an meiner Badezimmertür und raucht. Paul zieht kurz darauf
aus. In das Ghetto am anderen Ende der Stadt. Wir treffen uns mit ein paar
anderen Freunden aus anderen Kreisen. Paul lernt neue Kumpelfreundinnen
kennen. Manche mögen ihn, weil er polarisiert. Manche lieben ihn vergeblich
und befürchten, es liegt an ihnen. Auch ich lerne neue Mädchen kennen.
Manche können Paul gut leiden, manche nicht so. Manchmal haben wir mehr
miteinander zu tun, manchmal nicht so.
Wir gucken uns ein paar eigene Wege aus, finden ein paar eigene Ziele. Ich
bin Techno, er ist Pop, ich bin Club, er Kneipe, ich bin selbstsüchtig, er
ist auf Suche, ich gehe schlafen, er macht durch, ich gehe zur HNA nach
Kassel, er zur taz nach Berlin. Was immer bleibt, ist unsere Freundschaft.
Und seine Fassade, die er auch in Leipzig nicht aufgibt. Vier Jahre lang.
Nur für mich?
Also am anderen Ende der Stadt. Der räumliche Abstand tut gut. Ich frage
nicht mehr zwanghaft nach, was Philipp so getrieben hat. Seine Abenteuer,
seine Mädchen. Er versteht wohl. Das Thema wird ausgespart. Die
Freundschaft bleibt. Sie normalisiert sich, und ich entliebe mich von ihm.
Langsam, endlich.
Jetzt wäre der Weg frei. Doch ich habe mich zu tief eingegraben, zu sehr in
Lügen verstrickt, zu lange geschwiegen. Ich habe Angst. Man würde mich für
irre halten. Man würde mich fragen, warum erst jetzt. Dabei weiß ich das
selbst nicht. Was würde Philipp denken, wie käme er damit klar, dass ich so
ganz andere Gefühle für ihn hatte? Dann lieber Schweigen. Es ist
irrational. Unerklärlich. Das Geheimnis bleibt. Ich habe den richtigen
Zeitpunkt verpasst.
Dann, kurz bevor ich nach Berlin ziehe, kommt eine Frau in mein Leben.
Ausgerechnet eine Frau. Sie verliebt sich in mich, ich mich in sie. Es ist
verwirrend. Aber sie kann ich nicht lange belügen, dafür ist sie zu
wichtig. Ich oute mich, mit 24. Es ist befreiend, es zu sagen. Ich bin
schwul. Und noch mal: Ich bin schwul. Eine Lawine bricht los. Nach und nach
sage ich es meinen Freunden. Beim Bier, einfach so. Rufe an, mache mir
einen Spaß daraus. Immer der gleiche Satz. Ich bin schwul. Ich erlebe
Stürme der Begeisterung. Meine Mutter öffnet Champagner. Nur Philipp kann
ich es nicht sagen. Ich schreibe ihm.
Ich öffne abends mein Postfach. „Lange keine Mail mehr geschrieben, mein
Guter, aber es ist an der Zeit, ein dringendes Anliegen brennt mir auf den
Lippen, in den Fingern, auf dem Herzen, und eine E Mail ist dafür der
denkbar schlechteste Weg. Aber was muss, das muss. Jetzt kommt der Satz,
setz dich hin: Ich bin schwul, und ob das gut ist, das weiß ich auch noch
nicht.“
Dann folgen ein paar Absätze, in denen Paul einräumt, dass er anfangs schon
ein bisschen verliebt in mich war, und dann beschreibt er, wie glücklich er
jetzt ist und dass alle Freunde froh sind und jubeln und sich auch für ihn
freuen. Und ich so: Scheiße.
Hast du solche Angst um unsere Freundschaft, dass du mir das nicht einfach
ins Gesicht sagen kannst und dann auch noch schönreden musst? Was willst du
mir verkaufen, Paul? Hast du geglaubt, ich würde dich deshalb weniger
mögen? Bin ich es, der dich über Jahre hinter deine Fassade gezwungen hat?
Bin ich wirklich so ein schrecklicher Mensch? Was war ich für ein
beschissener Freund.
Dass es so unspektakulär kommt, ich hätte es nie geglaubt. Wir reden,
einmal, zweimal über mein Outing. Er freut sich für mich. Es ist
unangenehm, jemandem zu gestehen, dass man jahrelang verknallt in ihn war.
Ich dachte, es würde etwas zerstören. Das Gegenteil passiert.
Ich ziehe nach Berlin, beginne einen neuen Job, ein neues Leben. Habe
Liebschaften, Beziehungen. Die Freundschaft zu Philipp bleibt immer. Sie
wird besser. Sie wird ehrlicher. Ich rede mit ihm über all das, was wir so
lange ausgespart haben. Gefühle, Affären, Beziehungen, Sex. Ich bin
glücklich.
Das Coming-out fegt alle Konflikte vom Tisch. Alles vergessen. Weil ich es
endlich verstehen kann. Seitdem haben wir uns nicht mehr gestritten. Keine
verletzten Gefühle, kein verletzter Stolz. Keine Eifersucht, kein fehlendes
Verständnis, keine Lügen mehr. Nächsten Monat ziehen wir wieder zusammen.
Er wird arbeiten gehen und das Geld nach Hause bringen, ich werde die
Wohnung in Schuss halten. Wie das beste Freunde eben so machen.
7 Jul 2013
## AUTOREN
Philipp Brandstädter
Paul Wrusch
## TAGS
Freundschaft
Homosexualität
Schwul
Hetero
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Homosexualität
Transgender
Gezi-Park
## ARTIKEL ZUM THEMA
Homotaz Freundschaft: Der Letzte macht das Licht aus
Viele Schwule und Lesben haben keine Familie. Umso wichtiger werden
Freunde. Im Seniorenheim muss die Freundschaft solidarisch organisiert
werden.
Homotaz Freundschaft: Auf den Kopf gestellt
Als Hetero mit Heteros tanzen? Geht schon, macht aber nicht so viel Spaß.
Die schwule Partykultur ist populär – und ist seit langem Lernort für
Heteros.
Homotaz Freundschaft: „Ich bin eine Idiotin“
Anna Grodzka sitzt in Polens Parlament. Sie ist weltweit die einzige
transsexuelle Abgeordnete. Ein Gespräch über Freundschaft, Weltverbesserer
und ihre Familie.
Homotaz Freundschaft: „Miss Gezi“ kämpft für seinen Park
Bei den Protesten in Istanbul wehte die Regenbogenflagge in erster Reihe.
Die lauteste und fröhlichste Demo war die Gay Pride der Lesben und
Schwulen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.