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# taz.de -- Transgeschlechtliche Europakandidatin: Rote Karton-Herzen statt Mis…
> Fabienne Vesper kandidiert in Südbaden für die SPD-Europaliste. Als
> Deutsch-Französin und als „Politikerin, die zufällig trans* ist“.
Bild: Ihr Listenplatz ist nicht aussichtsreich, aber „auch mit Wahlkampf kann…
DEIßLINGEN taz |„Mein Name ist Fabienne Vesper, ich bin 34 Jahre alt und
Deutsch-Französin.“ So stellt sich die SPD-Politikerin im Wahlkampf vor.
Erst später, in der Mitte des Vortrags, schiebt sie nach: „Übrigens bin ich
eine transgeschlechtliche Frau, lesbisch noch dazu, und das letzte, was ich
brauche, sind Politiker, die mir vorschreiben, wie ich zu leben und zu
lieben habe.“
Dann müsse mancher Ortsverbandsvorsitzende schlucken, sagt Verspers
Mitarbeiterin Lorena Niederquell. Vor allem ältere Leute tuschelten, wenn
sie Vesper sehen. Groß, schlank, meist mit Rock und Jackett. Die Kandidatin
geht dann offensiv auf die Leute zu, schüttelt selbstbewusst Hände. „Ich
bin manchmal etwas bestimmend“, sagt sie über sich. Für Unsicherheiten
bleibt im Publikum kein Platz.
Seit fast einem Jahr macht Vesper Europa-Wahlkampf in Südbaden. Die
Kandidatur fürs Europaparlament ist die erste Rolle in ihrer politischen
Karriere, die sie solo und auf einer großen Bühne spielen muss. Bisher war
sie Ortsvereinsvorsitzende in Kehl und Mitarbeiterin der
Bundestagsabgeordneten Elvira Drobinski-Weiß.
[1][Und sie bloggt]. Nennt das geplante transatlantische
Freihandelsabkommen im Netz ein „Wünsch-Dir-Was für Marktradikale“, regt
sich über falsche Schuldzuweisungen an die EU auf, wenn die „deutsche
Regierung auf EU-Ebene den Weg für eine neue Genmais-Sorte frei“ macht und
fordert eine „Bildung, die so bunt ist wie die Realität“.
An diesem Abend Anfang Mai ist Vesper in Deißlingen, Kreis Rottweil, zu
Gast. 6.000 Einwohner hat das Städtchen, ein Promille davon, sechs
Besucher, alles Genossen, sind ins Nebenzimmer des Hotels gekommen. Kurz
vor Beginn der Veranstaltung fischt Vesper ein rotes Karton-Herz aus ihrer
Handtasche, das ihre Mitarbeiterin auf die raumhohe, europablaue Plakatwand
klebt. „Wirkt doch gleich freundlicher“, sagt sie. Auch für sie selbst. Die
Anfahrt war über eine Stunde lang, der Wahlkampf ist kräftezehrend. „Ich
bin unzufrieden mit der Politik in Europa. Sonst wäre ich nicht hier.“
## Vielfalt ist ihr Thema
Als Kind fand sie Europa selbstverständlich. Zu Hause in Kehl, die Schule
in Straßburg. „Wir sind einfach über den Rhein gefahren. Ich habe das nie
als Grenze wahrgenommen.“ Heute schätzt sie das Projekt Europa. Es sei so
unwahrscheinlich gewesen, dass kurz nach dem zweiten Weltkrieg ein solcher
Verbund entstand. Kurz nachdem ihre Großeltern noch gegeneinander gekämpft
hätten – die einen auf der deutschen Seite, die anderen auf der
französischen.
Vesper hat Europawissenschaften studiert. Sie zitiert gerne den
europäischen Gründervater Jean Monnet: „Wir koalieren keine Staaten, wir
bringen Menschen zusammen.“ Europa müsse nicht nur nationale Kulturen unter
einem Dach versammeln, sagt sie, sondern „Vielfalt der Alltagserfahrungen
und Lebensrealitäten achten“. Vielfalt ist ihr Thema. So wie der
Nebenerwerbsbauer aus Deißlingen auf dem Wahlflyer mit einer Mistgabel
auftritt, so klebt sie ihre Herzen und spricht über Freiheit und
Selbstbestimmung.
Unter Freiheit versteht sie auch, zur eigenen Geschlechtsidentität stehen
zu können. Seit 2012 lebt sie geoutet. Die männliche Geschlechtszuordnung
in der Geburtsurkunde? „Das war ein Irrtum“, sagt sie und hat es ändern
lassen. „Ich will selbst bestimmen, ob ich Frauen oder Männer liebe oder
andere erwachsene Menschen.“ Bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
gebe es in Europa einen „Flickenteppich aus Diskriminierung“. Damit auch
homosexuelle Menschen von der Freizügigkeit profitieren, müssten die
Grundrechte auf ein diskriminierungsfreies Leben verbindlich gelten.
## Gefährlicher Rechtsruck
Den Ruck nach Rechts, die Demos für alle in Frankreich, jetzt auch in
Stuttgart, hält Vesper für gefährlich. Aber sie erlebe bei ihren Reisen
übers Land eher liberal denkende Menschen. „Die merken, dass da gegenüber
homosexuellen Menschen eine Unfreiheit beginnt, die irgendwann bei ihnen
selbst ankommt.“
Vesper will mit ihrer eigenen Persönlichkeit für Liberalität werben. „Es
ist eine Chance, den Leuten zu zeigen, wie man als trans* Frau so sein
kann. In den Medien sieht man meist nur Karikaturen“, sagt sie. Frauen wie
sie gälten auf dem Arbeitsmarkt als schwer vermittelbar. „Da ist es ein
starkes Zeichen, dass mich die SPD Baden-Württemberg auf einem sehr
sichtbaren Platz aufgestellt hat.“ Dabei wolle sie aber nicht die „trans*
Frau sein, die zufällig Politik macht“, sondern „die Politikerin, die
zufällig trans* ist“. Für die Kandidatur wesentlich sei gewesen, dass sie
seit zehn Jahren Politik mache.
Die europäische Alltags-Vielfalt will sie nach Brüssel und Straßburg
tragen, wenn sie gewählt wird. „Die Mehrheit in der Bevölkerung ist jünger,
weiblicher und bunter als die Mehrheit in den Parlamenten“, so Vesper. Ihr
Platz 34 auf der SPD-Liste ist nicht sehr aussichtsreich, weiß sie. Aber:
„Auch mit Wahlkampf kann man etwas bewirken.“
9 May 2014
## LINKS
[1] http://vesper.eu/fabieblog/
## AUTOREN
Lena Müssigmann
## TAGS
Europawahl 2014
SPD
Transgender
Schwerpunkt Europawahl
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Intersexualität
Transgender
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