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# taz.de -- Kommentar EU-Beitritt Kroatien: Eine historische Dimension
> Am Montag wird Kroatien der 28. Mitgliedstaat der Europäischen Union. Für
> das postjugoslawische Land war es ein weiter Weg. Der Jubel ist
> verhalten.
Bild: Für Kroatien war es ein langer und blutiger Weg bis zum EU-Beitritt.
Eigenartig ist es schon, dass Angela Merkel den Besuch zu den
Feierlichkeiten der Aufnahme Kroatiens in die EU abgesagt hat. Eine dreißig
Jahre zurückliegende Geheimdienstaffäre, wie sie als Grund besonders in
Kroatien gemutmaßt wird, kann nicht der Grund sein, bei einem so wichtigen
Termin zu fehlen.
Dass dieser Misston ausgerechnet aus Deutschland kommt, das in Kroatien
wegen der Unterstützung nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 über viel
Prestige verfügt, verwundert.
Denn in Kroatien hat die Aufnahme in die EU eine historische Dimension.
Endlich gleichberechtigt im EU-Europa zu sein, ist für die demokratischen,
proeuropäischen und – in diesem Falle darf man das sogar betonen –
antifaschistischen Kräfte eine ungeheure Genugtuung.
Der Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist zwar niemals beendet,
doch für die kroatische Gesellschaft ist nun ein wichtiger Eckpunkt
erreicht.
Kroatien war im letzten Jahrhundert ein Land der Extreme. Nach
jahrhundertelanger Fremdherrschaft unter der ungarischen und der
habsburgischen Krone bildete das Land nach dem Ersten Weltkrieg mit
Slowenien und Serbien einen südslawischen – jugoslawischen – Staat, den
viele Kroaten, vor allem die Intellektuellen, herbeigesehnt hatten.
Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands und Italiens 1941 kam in Kroatien die
von Mussolini unterstützte Ustascha an die Macht. Die Ustaschen begannen
gleich, Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden, Roma und Serben in Kroatien
und Bosnien zu verfolgen. Zehntausende starben allein im
Konzentrationslager Jasenovac.
## Aus vielerlei Gründen gescheitert
Zu dieser Geschichte gehört jedoch auch, dass sich zuerst in Kroatien
selbst, am 22. Juni 1941, der bewaffnete Widerstand gegen den Faschismus
formierte. Unter dem Sloweno-Kroaten Josip Broz, genannt Tito, strömten
nicht nur Kommunisten zu den Waffen; der Widerstand vor allem in Kroatien
und Bosnien ist insgesamt hoch einzuschätzen. Die 1945 siegreichen
Partisanen errichteten das zweite, das sozialistische Jugoslawien und
versuchten, „Brüderlichkeit und Einheit“ zu etablieren.
Dieser Staat war aus vielerlei Gründen zwar spätestens 1991 gescheitert. Es
gelang dem Expartisanengeneral und ersten Präsidenten des Landes Franjo
Tudjman aber angesichts der aggressiven Politik des serbischen
Parteiführers Slobodan Milošević, die antifaschistischen und die
nationalistischen Kräfte in Kroatien in einer Koalition zu vereinen.
Indem sich Tudjman zum Nationalisten entwickelte, brachen die Gegensätze
innerhalb der kroatischen Gesellschaft wieder auf. Tudjman erklärte
Kroatien zu einem mitteleuropäischen Land, das sich vom Balkan losgelöst
habe. Dass dazu die Übernahme demokratischer Werte, die Entwicklung eines
Rechtsstaats und die Akzeptanz der Menschenrechte gehören, ignorierte er.
Erst nach seinem Tod, mit dem Wahlsieg der Linken unter Führung der
Sozialdemokraten 2000 und dem überwältigenden Wahlsieg des Antifaschisten
Stipe Mesić bei der gleichzeitigen Präsidentenwahl wendete sich das Blatt.
Unter dieser Konstellation begann die Annäherung des Landes an Europa.
## Auf dem Weg nach Europa
Die inzwischen zu einer Volkspartei reformierte Tudjman-Partei HDZ bekam
zwar 2003 die Zügel wieder in die Hand, aber auch sie blieb auf dem
europäischen Weg.
Von Den Haag gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher wurden ausgeliefert. Mit
dem Beginn der Verhandlungen mit der EU 2005 wurden grundlegende Reformen
durchgesetzt. Dass Ministerpräsident Ivo Sanader von seiner Nachfolgerin
Jadranka Kosor wegen Korruptionsverdachts aus dem Amt gedrängt und
schließlich 2010 verhaftet wurde, ist bemerkenswert.
Kroatien hat seine demokratische Reifeprüfung also bestanden. Der Jubel ist
allerdings verhalten. Natürlich nicht nur wegen der Haltung Merkels.
Niemand in Kroatien macht sich Illusionen. Mit dem Eintritt in die EU
werden die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes nicht
verschwinden.
28 Jun 2013
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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