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# taz.de -- Familienpolitik der Evangelischen Kirche: Endlich wird mal gestritt…
> In der Kirche wird um die neue Orientierungshilfe zur Familie gezankt.
> Der Protest richtet sich gegen das Einerlei von Hetero- und Homoehe.
Bild: Manchen wird´s einfach zu bunt
Ein Lob dem evangelischen Zweig der Christenheit in der Bundesrepublik:
Offenbar muss sie momentan einen Streit austragen, der möglicherweise viel
mit Unbehagen an der gesellschaftlichen Moderne zu tun hat – und also mit
dem Bruch von Traditionen. Mit einer von diesen scheinbar ehernen
Vorstellungen hat neulich die EKD, oberstes Gremium der evangelischen
Kirche hierzulande, gebrochen. Und zwar mit der Ehe, mit der Vorstellung,
dass die feinste Wertschätzung in den protestantischen Gotteshäusern nur
jene genießen, die als heterosexuell Ehewillige vor den Altar treten.
In einer „Orientierungshilfe“ mit dem Titel „Zwischen Autonomie und
Angewiesenheit“ veröffentlichte die EKD ein Büchlein, das, wäre es
vatikanisch veröffentlicht worden, als Enzyklika genommen werden müsste.
Als Handreichung, als Credo, als geltende ethische und moralische Formel.
Die Pointe: In dieser Orientierungshilfe wird die Ehe nicht als Kernbesteck
der Kirche verstanden – vielmehr sollen in den Gemeinden auch homosexuelle
Partnerschaften und Patchworkfamilien gleichwertige Anerkennung erhalten.
Für Agnostiker sei gesagt: Das war ein herber Abschied von so gut wie
allem, was in den evangelischen Kirchen bislang zu diesem Thema so gedacht
wurde, im Mainstream jedenfalls. Und schockierend war obendrein, dass sogar
Bischof Nikolaus Schneider dieses Papier mitträgt – sonst wäre es ja auch
keines der EKD.
Nun erhebt sich Widerspruch, in vielen Kirchen fordern Pfarrer die
Rücknahme dieser Leitlinie; die frühere EKD-Vorsitzende, Margot Käßmann,
populärste Botschafterin des Protestantismus in Deutschland überhaupt,
kritisierte ebenfalls – allerdings monierte sie lediglich, dass in der
Schrift das Bekenntnis zur Freude der Ehe, zu Kindern, zu Familie fehle.
Generell aber könnte man sagen: In der evangelischen Kirche wabert ein
Zwist, der nicht allein mit halbtropisch gesinnter Langeweile unter
hochsommerlichen Himmeln zu tun hat.
## Frau-Mann-Kind-treu-bis-in-den-Tod-Modell
In Wahrheit, um es biblisch zu formulieren, geht es für sehr viele Christen
eventuell nicht ums Ganze, aber doch um sehr viel. Für alle Teile der
Gesellschaft gesprochen: In diesem Konflikt drückt sich das Unbehagen aus,
das sehr viele Menschen mit der inzwischen nachgerade kompletten
bürgerrechtlichen Gleichstellung Homosexueller (und geschiedener
Heterosexueller) haben.
Es geht wahrscheinlich sehr vielen Menschen viel zu schnell mit der
offenbaren Anerkennung Homosexueller. Selbst in der Union gibt es kaum noch
PolitikerInnen, die offen bekennen, Homosexualität für einen Unfall der
Schöpfung, Schwule und Lesben für Irrende zu halten, und alles, was nicht
heterosexuell ist, geringer zu achten als das klassische
Frau-Mann-Kind-treu-bis-in-den-Tod-Modell.
Von libertärer Seite, also in grünen, linken, alternativen, jedenfalls
lebensweltlich nicht ordochristlich orientierten Milieus, könnte der Streit
in der evangelischen Kirche nun als verstecktes Zurückrudern begriffen
werden, von schwuler und lesbischer Seite ebenfalls. Muss nun wieder
befürchtet werden, dass die kleinbürgerlichen Szenerien, die im totalitären
Biedermeier wurzeln, gewinnen werden?
## Zank und Zorn
Ich glaube es nicht. Es ist gut, dass der Hader in der evangelischen Kirche
nun hörbar wird. Es ist gut, dass eine hartgesottene Streiterin für
heterosexuelle Privilegien wie Erika Steinbach wieder in den Bundestag
einziehen wird. Es wäre ein Gewinn, würden mehr Frauen und Männer äußern,
dass ihnen der Kurs der Emanzipation von Homosexuellen in der bürgerlichen
Welt nicht passt. Das wäre zwar Streit, das wäre Wut, das wären Zank und
Zorn.
Aber weshalb soll nicht gestritten werden, wenn die Anlässe der Konflikte
gegeben sind? Ist es nicht ein neuer Muff, der da entstünde, würde alles,
was an Ressentiments gehegt wird, unter einer miefigen Decke der
Gefolgschaft hinter politischen Korrektheiten versteckt?
Für die, wenn man so will, Betroffenen kann das nur nützlich sein: Sei es
bei Multikultifragen, bei solchen um Rassismus, ums Geschlecht oder um die
Art des sexuellen Begehrens – „Orientierungshilfen“, kommen sie von
Kirchen, aus grünen Akademien oder werden sie in der taz formuliert, sind
lediglich papiern. Im wahren Leben kommt es auf Gewöhnung und gemeinsame
Praxis an.
Der Streit geht weiter. Gut so.
24 Jul 2013
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Margot Käßmann
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Familienpolitik
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