# taz.de -- ARD-Doku über Schwule in der DDR: Reste der Dekadenz | |
> In „Unter Männern – Schwul in der DDR“ erzählen sechs Homosexuelle von | |
> ihrem Leben. Einer fürchtete sich, ein anderer erlebte ein Paradies. | |
Bild: Einer der Zeitzeugen ist Frank Schäfer, einst Friseur in Ostberlin. | |
Heiner Carow, Regisseur der „Legende von Paul und Paula“, hat auch einen | |
Spielfilm über das Schwulsein in der DDR gemacht. Der Film hatte am 9. | |
November 1989 Premiere. Dummerweise fiel am selben Abend die Berliner | |
Mauer. Die Deutsche Demokratische Republik war um ihr Coming-out gebracht. | |
Aber wie war das vorher? Wie hat man als Schwuler in der DDR leben können? | |
„Meine Eltern und Großeltern kann ich kaum fragen.“ Also muss der schwule | |
Filmemacher Ringo Rösener, der am Tag des Mauerfalls sechs Jahre alt war, | |
der also keine einschlägigen Erinnerungen hat, Ältere fragen, wie das | |
damals so war: „Unter Männern – Schwul in der DDR“ – so der Filmtitel. | |
Oral History, tendenziell greise Zeitzeugen erzählen. Möglicherweise liegt | |
es ja daran, dass Rösener mit Guido-Knopp-Programmen groß geworden ist und | |
einen begreiflichen Abwehrreflex ausgebildet hat. Jedenfalls wollte er | |
seinem ersten Dokumentarfilm unbedingt einen subjektiven Anstrich geben und | |
erklärt deshalb erst mal seine Motivation in der ersten Person aus dem Off. | |
Dazu gibt es eine nette Parallelmontage: Ringo Rösener kurvt auf dem | |
Fahrrad durch Berlin – der Schauspieler Matthias Freihof kurvt als Philipp | |
in Heiner Carows „Coming Out“ durch Berlin. | |
Irritierenderweise gibt Rösener diese Erzählweise gleich darauf wieder auf, | |
um den Zuschauer nun allein über seine Gespräche mit den sechs | |
Interviewpartnern an seiner Suche teilhaben zu lassen. Hinzu kommt, dass er | |
sich nicht entscheiden konnte, ob er als Fragensteller in Erscheinung | |
treten will oder nicht. Seine nicht immer, aber oft dokumentierten Fragen | |
aus dem Off sind akustisch kaum verständlich, das Mikrofon war wohl zu weit | |
weg. | |
## Zwiespältige staatliche Toleranz | |
Dass der Film Röseners – und seines Coregisseurs und Cutters Markus Stein – | |
trotz der offensichtlichen formalen und handwerklichen Mängel 2012 den Weg | |
ins Kino und zuvor zur Berlinale, in Wieland Specks Panorama-Sektion, | |
gefunden hat, muss, kann nur an der Geschichte liegen, die erzählt werden | |
wollte. An den Geschichten. | |
Und erzählt wird also von der DDR. Erzählt wird: Dass schwuler Sex in der | |
DDR nicht mehr strafbar war, als er das in der BRD noch war. Dass das | |
Schwulsein aber nicht offen gelebt werden sollte, die staatliche Toleranz | |
eine zwiespältige war: „Es war vielleicht für viele schwule Männer ein | |
Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Veranlagung von vornherein durch so ’n | |
Sieb gefallen sind. Weil das so zur sozialistischen Persönlichkeit nicht | |
passte. Da war so was nicht vorgesehen. Diese Reste der | |
bürgerlich-dekadenten Moral.“ | |
Dass ein Aktivist, Eddi Stapel, „wie so ’n schwuler Parteifunktionär“ | |
gearbeitet habe, aber die Stasi gleichwohl, zur Sicherheit des Staates, | |
insgesamt vier Romeos auf ihn angesetzt hat. Dass, ausgerechnet, die Kirche | |
Schwulen einen geschützten Raum geboten hat. Dass die „Klappe“ genannten | |
öffentlichen Toiletten der unkomplizierteste Weg zu schnellem Sex waren. | |
Aber das waren sie wohl nicht allein in der DDR, sondern an vielen Orten in | |
der Welt. Und so wird auch das deutlich: Dass die Geschichte vom Schwulsein | |
in der DDR keine geschlossene Erzählung ist. Dass es vielleicht weniger auf | |
die Staatsform als vielmehr auf das direkte persönliche Umfeld, auf | |
Familie, Freunde und Kollegen ankam und auf die eigene Einstellung. | |
Zwei etwa gleich alte Freunde erzählen, schwule Akademiker. Der eine hat | |
als Lehrer um seinen Job gebangt und nie gewagt, sich zu outen. Der andere | |
ist in Chile geboren, wo er erlebt hat, dass schwule Heranwachsende sich | |
umbringen. Er hat die DDR als libertäres Paradies erfahren. | |
23 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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