| # taz.de -- ARD-Doku über Venedig: In Dekadenz untergehen | |
| > Andreas Pichlers Film „Das Venedig-Prinzip“ zeigt den Ausverkauf eines | |
| > Zauberorts. Die Venezianer können sich ihre Stadt bald nicht mehr | |
| > leisten. | |
| Bild: Pompös und fern des Untergangs: Der Dogenball in Venedig. | |
| Es erinnert ein bisschen an den Blockbuster „Independence Day“, wenn das | |
| riesige Raumschiff (Durchmesser: mehr als 550 km) der Extraterrestrischen | |
| mit den unguten Absichten sich nähert und den Himmel über der Erde | |
| verdunkelt. | |
| So schiebt sich auch vor das pittoreske Panorama von Venedig ein Ungetüm: | |
| ein riesiges weißes Kreuzfahrtschiff. Einmal von links, einmal von rechts. | |
| Vom Blau des Himmels ist dort, wo sonst das gute Leben tobt, Bella Italia | |
| mit Tischen vor den Straßencafés, bald kaum mehr etwas zu sehen. | |
| Von dieser Bildidee ist Regisseur Andreas Pichler so eingenommen, dass er | |
| sie in seinem Film „Das Venedig-Prinzip“ gerne variiert. Da stehen zwei | |
| ältere Damen in einem Durchgang und unterhalten sich – dann gleitet die | |
| „MSC Magnifica“ vorbei. | |
| Wenige Einstellungen später wird ein Mann in die Kamera sagen: „Heute | |
| können hier Schiffe mit bis zu 340 Metern Länge anlegen. Für die Zukunft | |
| stellen wir uns natürlich darauf ein, dass noch größere Schiffe kommen.“ | |
| Keine Naturkatastrophe, sondern eine von Menschen zu verantwortende. Nicht | |
| von Venezianern, sondern von Externen. „Die Milliarden aus der Ausbeutung | |
| des öffentlichen Raums fließen an der Stadt vorbei in internationale | |
| Konzerne“, heißt es auf einer eingeblendeten Texttafel. | |
| Sie sind das Mittel der Wahl, wenn einerseits der künstlerische | |
| Dokumentarfilm sich vom allzu expliziten Fernsehjournalismus abzugrenzen | |
| sucht und also auf einen Off-Kommentar verzichtet. Und andererseits der | |
| Dokumentarist doch einmal etwas direkt mitteilen will, ohne den Umweg über | |
| seine Protagonisten. Zum Beispiel Daten und Fakten. Auf der letzten | |
| Texttafel des Films steht: „Im Jahr 2030, so hat man errechnet, wird in | |
| dieser Stadt niemand mehr wohnen.“ | |
| ## Sympathische Wutbürger | |
| Aber wer ist „man“? Ist das allgemeiner Konsens oder gibt es gar | |
| gegenteilige Berechnungen? Andreas Pichler hätte auf diese – und die eine | |
| oder andere weitere – Texttafel besser verzichtet. Der Zuschauer hätte die | |
| eindeutige Botschaft seines sehenswerten filmischen Requiems auch so | |
| verstanden: Venedig, der schönsten Stadt der Welt, droht der totale | |
| Ausverkauf. Die Venezianer können sich ihre Stadt bald nicht mehr leisten. | |
| Sie wird ein Ort nur noch für Externe, für Investoren und Touristen – | |
| „barbari“. Eine Schlafstadt. Ein Disneyland. | |
| „So eine Verarschung!“, sagt eine ältere Dame. „Die jungen Leute sind al… | |
| weg.“ Die adelige Architektenwitwe ist eine sympathische Wutbürgerin, ob | |
| sie Pilze im Laden begutachtet oder am Computer für die Designzeitschrift | |
| Abitare wüste Polemiken über die Situation in ihrer Stadt verfasst – mit | |
| Kippe im Mundwinkel als obligatorischem Accessoire. | |
| Trotz ihrer Wut über die Situation kommt sie nicht umhin, ein Zimmer in | |
| ihrem Haus an Touristen zu vermieten. Immobilien in Venedig sind sehr | |
| kostspielig. Ein Makler beziffert den Quadratmeterpreis zwischen 10.000 und | |
| 12.000 Euro. Er verdient damit seinen Lebensunterhalt und leidet gleichwohl | |
| an den Verhältnissen. | |
| Das ist typisch für die Protagonisten des Films. Einer besorgt mit seinem | |
| Boot die zahlreichen Umzüge. Aber auch er muss bald wegziehen, weil ihm die | |
| Wohnung gekündigt wurde. Sie wird dann vermutlich die meiste Zeit des | |
| Jahres leer stehen, wie die Wohnung gegenüber. Die Franzosen, die sie | |
| gekauft haben, kommen nur zu Weihnachten und zur Biennale. | |
| Noch so eine Texttafel: „Die Stadt könnte eingreifen. Aber sie überlässt | |
| den Immobilienmarkt sich selbst.“ Ein klares Urteil. Aber ganz so einfach | |
| liegen die Dinge nicht. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass | |
| Modeschöpfer und Unternehmer Pierre Cardin sein Vorhaben eines 254 Meter | |
| hohen und 1,5 Milliarden Euro teuren „Palais Lumière“ endgültig aufgeben | |
| musste. Die Stadt Venedig hatte ihm die Baugenehmigung verweigert. | |
| Di., 22.45 Uhr, ARD, "Das Venedig-Prinzip" | |
| 16 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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