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# taz.de -- US-Künstlerin über DDR-Erinnerung: „Es sind erst 20 Jahre verga…
> Monica Sheets versammelt in Leipzig Menschen in einem Raum, um über die
> DDR reden zu können. Sie kritisiert die westdeutsche Siegermentalität.
Bild: Debatte um DDR-Erinnerung: Das Karl-Marx-Relief in Leipzig, zunächst dem…
taz: Frau Sheets, Sie betreiben seit drei Jahren in Leipzig das
„Fundbuero“, wo Menschen über ihr Leben in der DDR reden können, einem
Land, das es seit über 20 Jahren nicht mehr gibt. Warum machen Sie das?
Monica Sheets: Ich kam 2007 nach Weimar, für ein Masterstudium Kunst im
öffentlichen Raum. Dort ist die DDR immer wieder in Gesprächen aufgetaucht,
als Teil persönlicher Geschichten. Bald ist mir klargeworden, dass ein Raum
fehlte, wo die Menschen darüber reden können. Nach meinem Studium ging ich
nach Leipzig, unter anderem, weil die Stadt eine besondere Rolle bei der
friedlichen Revolution 1989 gespielt hat. Die DDR war mysteriös für mich,
und das wollte ich ändern.
Wie reagieren die Menschen auf Sie, eine Amerikanerin, ein ehemaliger
Klassenfeind?
Meistens positiv. Ich glaube, ich werde als neutrale Personen gesehen, eben
weil ich keine Deutsche bin. Ich stelle Fragen, auch kritische, aber ich
widerspreche nicht, weil ich keine eigenen Erfahrungen habe. So haben die
Menschen das Gefühl, etwas erzählen zu können, ohne verurteilt zu werden.
Deshalb betreiben Sie Oral History in der Leipziger Tieflandsbucht?
Ja. Ich wollte einen Raum schaffen, wo die Menschen erzählen und
miteinander reden können. Wir haben kein spezielles Ziel, das heißt, wir
machen ein Angebot, und wer sich angesprochen fühlt, kann kommen. Wir
wollen weder die DDR zurückhaben noch das Leben dort verklären. Es ist eine
Art Aufarbeitung.
Wer fühlt sich angesprochen?
Die meisten Besucher sind zwischen 40 und 50 Jahren, es kommen aber auch
über 60-Jährige. Es gibt Leute, die früher alles besser fanden, andere
finden jetzt alles besser. Ich glaube, für die Mehrheit ist es gemischt,
und genau diese Menschen sind unsere Zielgruppe. Zu unseren Veranstaltungen
kommen auch junge Menschen, die nach dem Mauerfall geboren wurden.
In ein Fundbüro geht man, wenn man etwas verloren hat. Sie nennen sich aber
Fundbuero mit Umlaut. Warum?
So wollen wir uns von einem normalen Fundbüro unterscheiden. Es geht nicht
nur um Objekte und Gegenstände, sondern um Erfahrungen, Begriffe, Konzepte,
die verloren gegangen sind. Die Wiedervereinigung hat ja einen Geschmack
von Kolonialismus. Als Amerikanerin gehe ich selbstkritisch an dieses Thema
heran. Auch die Westdeutschen sollten das mehr tun. Denn es gibt oft diese
Siegermentalität, und wie ich finde, zu wenige Versuche, die Mentalität zu
verstehen. Viele Westdeutsche sehen die DDR nicht als ein für sie
relevantes Thema.
Warum interessieren Sie sich für dieses Land DDR, das es seit mehr als zwei
Jahrzehnten nicht mehr gibt?
Ich bin ja eher zufällig nach Weimar gekommen, aber ich sah ganz schnell,
dass diese Geschichte noch aktuell ist. Als Künstlerin bin ich daran
interessiert, wie Kunst gesellschaftliches Engagement schaffen kann. Mit
der DDR-Geschichte hat man die Möglichkeit, sich mit aktuellen Themen
auseinanderzusetzen. Einerseits sind schon mehr als 20 Jahre vergangen seit
dem Mauerfall. Man kann aber auch sagen, es sind erst 20 Jahre vergangen.
Was wussten Sie über die DDR, als Sie nach Deutschland kamen?
Die DDR war mysteriös für mich, eine große Unbekannte. Natürlich wusste ich
von der Mauer, aber nicht viel Spezifisches. Mussten alle Menschen immer
Schlange stehen, um Toilettenpapier zu kaufen? Ich bin in Amerika mit dem
Gefühl aufgewachsen, sozialistische Länder nicht besuchen zu können. Später
wurde mir klar, dass das nicht unmöglich war, aber auf gewisse Weise gab es
auch für mich eine begrenzte Reisefreiheit.
Bisher haben Ihnen Leipziger etwa 700 Alltagsgegenstände aus ihrem früheren
Leben gebracht. Was sind das für Gegenstände?
Das sind ganz profane Dinge wie eine Rechnung vom Konsument Warenhaus oder
Ausweise, Spielzeug, Bücher, Möbel, Krawatten, Orden. Man spürt, welche
Rolle die Objekte für sie gespielt haben, so wie bei der Frau und ihrer
Schreibmaschine, auf die sie sparen musste, weil sie ein ganzes
Monatsgehalt gekostet hat. Faszinierend ist, wie viel die Menschen über die
Herkunft der Produkte wissen.
Wieso fasziniert Sie das?
Weil das etwas über ihre Beziehung zu Objekten sagt, zum Konsum.
Mit einem „Koffer der Erinnerung“ bieten Sie auch eine „alternative Form
der Aufarbeitung“ an. Was hat es damit auf sich?
Das war eine Idee meiner Mitarbeiterin Peggy Freund, einer
Kulturwissenschaftlerin, die in Leipzig aufgewachsen ist. Der Koffer ist
gefüllt mit typischen Gegenständen aus der DDR wie Einkaufsbeutel,
Schallplatten oder einem Hausbuch, in das Mieter ihre Besucher eintragen
mussten. Sie sollen Erinnerungen wachrufen und Gespräche anregen. Wir gehen
mit dem Koffer in Seniorenheime, Bibliotheken und andere Einrichtungen.
Wie ist die Resonanz?
Sehr gut. Denn es gibt eine Ebene, auf der alles sehr skeptisch gesehen
wird, was die DDR betrifft.
Meinen Sie den Blick von Wissenschaftlern und Historikern, die die DDR
viele Jahre auf Staatssicherheit und Partei reduziert bzw. nur diese
Aspekte untersucht haben?
Ja, das ist die politische Ebene. Unser Projekt aber ist eine Mischung aus
Kunst und Sozialem und hat eine andere Ebene. Jeder Mensch hat seine eigene
DDR-Geschichte und um die geht es.
Was soll mit den Ergebnissen der Oral History aus Sachsen passieren?
Ende dieses Jahres gehe ich zurück in die USA, und meine Kollegin wird das
Fundbuero weiterbetreiben. Ich mache mir schon jetzt Gedanken darüber, wie
ich das Projekt in den USA weiterführen kann. Denn es geht nicht nur um
DDR-Geschichte, sondern um größere Fragen.
Was meinen Sie genau?
Wie geht man mit Lebensumbrüchen um? 17 Millionen Menschen haben einen
Umbruch erlebt. Das ist ein historisches Ereignis. Auch in Amerika machen
die Menschen solche Erfahrungen und müssen sich neu definieren. Menschen
verlieren ihre Arbeit nicht nur aufgrund politischer Veränderungen. Das
wirft eine Reihe interessante Fragen auf: Womit identifiziere ich mich? Wer
bin ich ohne Arbeit? In den USA besteht die Herausforderung darin, die
DDR-Geschichte so zu präsentieren, dass sie für Amerikaner relevant wird.
Können Amerikaner etwas von Ostdeutschen lernen?
Ich weiß nicht, ob ich es so formulieren würde. Aber ich glaube
tatsächlich, dass die Erfahrung vieler DDR-Bürger, ihr ganzes Leben
verändern zu müssen, auch für Amerikaner nützlich sein kann.
Jede Biografie, in der zwei konträre Gesellschaftssysteme wie Sozialismus
und Kapitalismus vorkommen, ist interessant. Aber nicht alle DDR-Bürger
empfinden das als Bereicherung. Haben Sie auch diese Erfahrung auch
gemacht?
Ja, es gibt oft auch viel Scham. Wenn jemand für die Staatssicherheit
gearbeitet hat, okay. Aber wenn jemand nur in der DDR geboren wurde und
gelebt hat, ist Scham völlig unangebracht. Nicht wenige sagen, dass sie
damals keine Stimme hatten und heute auch nicht. Ihre Erfahrungen werden
infrage gestellt und nicht als interessant oder nützlich wahrgenommen.
Wie gut können Sie mittlerweile Ost- und Westdeutsche unterscheiden?
Manchmal ist es total klar für mich, so wie neulich, als ich in Sellin auf
Rügen war. Dort konnte ich sofort erkennen, wer aus dem Westen kommt.
Woran?
Die Urlauber aus Westdeutschland sahen so preppy aus. Im Deutschen würde
man adrett sagen. Sie trugen die Pullover auf so eine bestimmte Art über
der Schulter.
Welche Erkenntnisse, die Sie aus der Beschäftigung mit der DDR gewonnen
haben, nehmen Sie mit in Ihre Heimat?
Als Künstlerin war es für mich eine wichtige Erfahrung, mit einer
Geschichte zu arbeiten, die nicht meine ist. Ich konnte nicht einfach
meinen Plan umsetzen, weil ich nicht immer annehmen konnte, dass ich alles
richtig verstanden oder interpretiert habe. Deshalb musste ich den
Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, mehr Raum für ihre Beiträge zum
Projekt geben. Das ist sicherlich eine Arbeitsmethode, die ich mitnehme.
26 Sep 2013
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
## TAGS
DDR
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