# taz.de -- Aktivistin über Roma in Deutschland: „Sie sind sowieso schon hie… | |
> Zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung muss sich etwas ändern, sagt | |
> die Rumänin Flavia Constantin. Der Schlüssel liege bei den Frauen. | |
Bild: „Ich empfand kein Mitleid mit diesen Menschen“, sagt Flavia Constanti… | |
Roma, die an einer Straßenecke stehen und Autoscheiben putzen – eigentlich | |
war ich auf eine solche Szene vorbereitet. Egal ob in Bukarest, Paris oder | |
irgendeiner anderen europäischen Metropole: Überall siehst du im | |
Straßenbild Roma, die Autos waschen, betteln oder mit trashigen Bands durch | |
die Straßen ziehen. Warum dann nicht auch in Berlin-Neukölln? | |
Trotzdem warf es mich für einen Moment aus der Bahn. Ich empfand kein | |
Mitleid mit diesen Menschen. Am liebsten hätte ich ihnen zugerufen: Was tut | |
ihr hier? Wieso nehmt ihr dieses Leben einfach hin? Kämpft für eure Rechte, | |
tut endlich was! Ja klar, ich weiß, teach and preach. Natürlich bringt es | |
nichts, diesen Menschen zu sagen, was sie tun oder lassen sollen. Wenn sich | |
wirklich etwas verändern soll an der Situation der Roma, dann müssen diese | |
Menschen den Wandel selbst gestalten. | |
Aber es muss jetzt etwas passieren, wir brauchen eine Veränderung. Wir Roma | |
müssen zeigen, dass wir unseren Platz in der Gesellschaft haben wollen, | |
dass wir dazugehören. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft muss einen | |
Schritt auf uns zu tun. | |
Ich glaube, der Schlüssel zu dieser Veränderung sind die Frauen. Viele | |
Roma-Frauen haben nie gelernt, für sich selbst einzustehen. Ihre Welt | |
kreist ausschließlich um die Familie, um das Haus, um die Gemeinschaft. Das | |
muss sich ändern. Da müssen wir anfangen. Mit den Frauen, nicht mit den | |
Männern. Denn die Frauen sind diejenigen, die Ideen in die Köpfe ihrer | |
Kinder pflanzen. Sie sind das eigentliche Rückgrat der Gemeinschaft. Ohne | |
sie funktioniert nichts. Wenn du die Frauen stärkst, stärkst du langfristig | |
auch die Gemeinschaft. | |
Das [1][Buvero-Journalismustraining] für junge Roma-Fauen, an dem ich | |
zurzeit teilnehme, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die | |
letzten zwei Wochen waren furchtbar anstrengend und unglaublich | |
aufschlussreich. Wir haben journalistisches Grundhandwerk gelernt: Woher | |
bekomme ich die nötigen Informationen? Wie entsteht ein Storyboard? Wie | |
erzähle ich eine Geschichte? Das primäre Ziel von Buvero ist nicht, dass | |
wir nach dem Workshop als Journalistinnen unser Geld verdienen. | |
## Mit 15 das erste Kind, mit 23 begeisterte Fotografin | |
Es geht vor allem darum, dass wir gestärkt und selbstbewusst in die Welt | |
rausgehen und anderen jungen Roma-Frauen zeigen, dass es möglich ist, ein | |
selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass dieses Konzept funktioniert, erlebe | |
ich jeden Tag im Workshop. | |
Mariana, mit der ich gemeinsam aus Bukarest nach Berlin geflogen bin, hat | |
Rumänien vorher noch nie verlassen. Mit 12 Jahren brach sie die Schule ab, | |
mit 15 bekam sie ihr erstes Kind. Jetzt ist sie 23, lebt in einem winzigen | |
Dorf ohne Stromversorgung und versucht alles, um ihre beiden Kinder | |
irgendwie durchzubringen. In den ersten Tagen des Workshops war sie sehr | |
unsicher. Mittlerweile hält sie alles, was ihr über den Weg läuft, mit der | |
Kamera fest und ist wahnsinnig neugierig auf die Welt. | |
Ich glaube, wir müssen eine eigene, neue, positive Bildkultur entwickeln. | |
Als Gegenentwurf zu den stereotypen Bildern, die die europäischen | |
Massenmedien über Roma verbreiten. Wir haben es satt, in die Opferrolle | |
gedrängt zu werden, die der Sozialschmarotzer. Es ist immer das Gleiche: | |
Die Zigeuner nehmen unser Geld, sind nicht vertrauenswürdig, nicht | |
effizient, sind dreckig, betteln und singen auf der Straße. | |
Auch wenn diese Verallgemeinerung in Europa allgegenwärtig ist, verletzt | |
sie mich immer wieder. Ich habe studiert, habe einen Job. Es gibt viele wie | |
mich. Das interessiert nur niemanden. Stattdessen werden wieder und wieder | |
die gleichen traurigen Bilder reproduziert. | |
Der Begriff Zigeuner ist für mich ein Paradox. Roma untereinander benutzen | |
das Wort Zigeuner. Sie würden nie über die Roma aus so und so reden. Sie | |
sagen Zigeuner, wenn sie über andere Roma sprechen. Wenn aber jemand | |
außerhalb der Roma-Gemeinschaft Zigeuner sagt, klingt das schnell nach | |
Schimpfwort. Das Wort Zigeuner wurde schon immer für Menschen gebraucht, | |
die durch ihre Lebensweise als nicht gesellschaftsfähig beachtet wurden. | |
## Die Soßen-Debatte | |
Ich kann also nachvollziehen, dass es in Deutschland momentan diese Debatte | |
um die Zigeunersoße gibt. In Rumänien ist die Umbenennung der Zigeunersoße | |
bereits beschlossene Sache. Ich finde es nicht dramatisch, wenn mich jemand | |
Zigeuner nennt. In Bukarest ist Zigeuner mittlerweile ein Slangwort, dass | |
sich nicht mehr auf Roma bezieht, sondern auf eine freie Lebensführung. | |
Auch wenn ich mich persönlich nicht zu den Betroffenen zähle, kann ich die | |
Initiative des Vereins nachvollziehen und unterstütze sie. | |
Aber ich denke, die Einstellung der Menschen wird sich so nicht ändern | |
lassen. Natürlich kann man die Soße umbenennen und das Wort verbieten, aber | |
davon verschwindet doch das Problem nicht. Das Verbot ist nur ein Versuch, | |
Autorität über Diskriminierung zu erlangen. Angesichts der Tatsache, dass | |
viele Roma in Deutschland unter prekärsten Umständen leben, sollte man erst | |
den Lebensstandard dieser Menschen verbessern, bevor man solch eine Debatte | |
führt. | |
Wenn es um Roma in Berlin geht, fällt mir nur ein Wort ein: Ausgrenzung. | |
Die Roma, die ich hier sehe, gehören nicht zur deutschen Gesellschaft. | |
Schuld an dieser Situation sind beide Seiten – die Roma und die deutsche | |
Politik. Die Roma beschweren sich immer über die deutsche Bürokratie. Sie | |
sagen, es sei zu schwierig, an die richtigen Papiere für eine Wohnung oder | |
eine feste Stelle zu kommen. Also gehen viele Roma den Schritt in die | |
Legalität gar nicht erst. | |
So entstehen aber auch keine Kontakte zu Vertretern der | |
Mehrheitsgesellschaft, die die Integration erleichtern würden. Die Politik | |
müsste einen Schritt auf die Roma zugehen und beispielsweise den | |
bürokratischen Aufwand erleichtern, wenn es um Jobs oder Wohnungen geht. Es | |
müsste mehr Menschen geben, die zwischen der Politik und den hier lebenden | |
Roma vermitteln. Menschen, die sich auf beiden Seiten gut auskennen und | |
Verbindungen herstellen können. | |
## Flaschensammeln bringt mehr Geld als ein Job in Rumänien | |
Die meisten Roma verlassen Rumänien, um das Überleben ihrer Familie zu | |
sichern. Nachdem das Ceausescu-Regime Ende der 1980er Jahre stürzte und die | |
Wende kam, verloren viele Roma ihre Jobs in den staatlichen Betrieben. | |
Viele dieser Männer haben danach nie wieder eine feste Anstellung gefunden, | |
die sie über Wasser halten konnte. Deswegen kommen so viele Roma nach | |
Deutschland. Weil sie hier mit Flaschensammeln und Singen mehr Geld | |
verdienen als in einem regulären Job in Rumänien. | |
Ich glaube nicht, dass die Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts im Januar | |
2014 dazu führen wird, dass massenweise Rumänen und Bulgaren nach | |
Deutschland strömen. Sie sind sowieso schon hier. Wieso sollten diese | |
Menschen darauf warten, dass sie offiziell arbeiten können, wenn sie es | |
inoffiziell bereits tun? | |
Für Akademiker und Leute mit einer Ausbildung wird die neue Freizügigkeit | |
ein Anreiz sein, um nach Deutschland zu kommen. Ich selbst schwanke noch | |
zwischen Berlin und London. Zwei Metropolen, die viel zu bieten haben. | |
Jedenfalls mehr als Bukarest. Dort gibt es einfach keine guten Stellen, und | |
wenn doch, dann sind sie schlecht bezahlt. Mal sehen, wohin es mich in | |
Zukunft verschlägt. | |
(Protokoll von Gesa Steeger) | |
27 Aug 2013 | |
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[1] http://roma-center.de/buvero-roma-womens-live-network/ | |
## AUTOREN | |
Gesa Steeger | |
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