# taz.de -- Sozialleistungen für EU-Bürger: Hartz ohne Vorlauf | |
> Arbeitslose EU-Bürger haben nach Auffassung des Landessozialgerichts NRW | |
> Anspruch auf Hartz IV. Der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßt das | |
> Urteil. | |
Bild: Wohnblock mit Osteuropa-Zuwanderern in Duisburg. | |
BERLIN taz | Experten sehen das Urteil kritisch, der Paritätische | |
Wohlfahrtsverband begrüßt es jedoch als „Sieg der Vernunft“. EU-Bürger, … | |
nach Deutschland eingewandert sind, hier aber auf dem Arbeitsmarkt nicht | |
Fuß fassen konnten, haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Dies | |
hat das nordrhein-westfälische Landessozialgericht entschieden. | |
Der Paritätische empfiehlt in einer Erklärung nun „allen Betroffenen, Hartz | |
IV zu beantragen und gegebenenfalls Rechtsmittel einzulegen“. „Es ist ein | |
Gebot sowohl der Mitmenschlichkeit als auch der Vernunft, allen | |
europäischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern endlich gleichberechtigten | |
Zugang zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu gewähren“, | |
sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen | |
Gesamtverbandes. | |
Das Gericht hatte am Donnerstag einer in Gelsenkirchen lebenden | |
vierköpfigen Familie aus Rumänien einen Anspruch auf Leistungen der | |
Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) zuerkannt (Az.:L 19 AS | |
129/13). Die Familie mit zwei Kindern lebt seit 2009 in Gelsenkirchen. | |
Das Verfahren betrifft den Zeitraum von Mitte 2010 bis November 2011. | |
Damals lebte die Familie von Kindergeld und dem Verkauf von | |
Obdachlosenzeitschriften. Inzwischen hat die Mutter einen Job als | |
Putzhilfe, die Familie stockt mit Hartz IV auf. | |
## Ausschlussgrund nicht gegeben | |
Nach bisheriger Rechtsprechung haben EU-Bürger in Deutschland keinen | |
Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen, wenn sie zuvor keinen Job als | |
Arbeitnehmer hatten und auch nicht als Selbständige arbeiten. Dann greift | |
der Paragraph 7 im Sozialgesetzbuch II, wonach EU-Bürger keine Leistung | |
bekommen, wenn sich das Aufenthaltsrecht „ausschließlich aus dem Zweck der | |
Arbeitssuche“ ergibt, sie also ohne vorherige Beschäftigung in Deutschland | |
arbeitslos sind. | |
Das Gericht brachte nun eine bemerkenswerte Begründung dafür auf, warum | |
dies auf die rumänische Familie nicht zutraf. Da die Bemühungen der Kläger, | |
eine Arbeitsstelle zu erhalten, „zum Zeitpunkt der Antragsstellung | |
erfolglos und auch für die Zukunft nicht erfolgversprechend gewesen seien, | |
seien die Kläger nicht mehr zur Arbeitssuche freizügigkeitsberechtigt. Sie | |
gehörten damit nicht zu dem ausgeschlossenen Personenkreis“, heißt es in | |
einer Pressemittlung des Landessozialgerichts mit Sitz in Essen. | |
Im Klartext: Wer so gut wie keine Chancen auf einen Job hat, gilt nicht als | |
„arbeitssuchend“ und kann daher nicht von Hartz-Leistungen ausgeschlossen | |
werden. Schon im August gab es einen ähnlichen Eilentscheid des Gerichts, | |
wonach eine zugewanderte bulgarische Familie ohne Deutschkenntnisse | |
Hartz-IV-Leistungen bekommen sollte, weil sie nach einem Jahr vergeblicher | |
Arbeitssuche kaum Aussicht auf einen Job hatte. | |
## Übersichtliche Zuwanderung | |
Während auch die Diakonie das Urteil begrüßte, reagierten sowohl die | |
Bundesagentur für Arbeit als auch der Deutsche Städtetag zurückhaltend. Das | |
Urteil sei „grundsätzlich erstmal eine Einzelfallentscheidung, wir warten | |
die schriftliche Begründung ab“, sagte eine Sprecherin der Bundesagentur | |
für Arbeit der taz. Die Sozial- und Landessozialgerichte urteilten „nicht | |
einheitlich“. Man warte daher auf die „höchstrichterliche Entscheidung“. | |
Das Urteil ist zur Revision beim Bundessozialgericht zugelassen. | |
Auch Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sagte | |
am Freitag, die Entscheidung des Bundessozialgerichts sei „abzuwarten“. | |
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg rechnet | |
für 2014 mit einer Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien in einem | |
„Korridor von 100.000 bis 180.000 Personen“. Die Quote der | |
Hartz-IV-Empfänger ist aber unter Bulgaren und Rumänen weitaus niedriger | |
als unter allen Ausländern insgesamt. Das zahlenmäßige Niveau der | |
Leistungsempfänger sei „keineswegs hoch“, erklärt Herbert Brücker, | |
Migrationsexperte am IAB. Allerdings sei der „Anstieg“ der | |
LeistungsempfängerInnen unter den Bulgaren und Rumänen „bedenklich“. | |
11 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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