# taz.de -- Richtlinien für Ökotextilien: Weiter Wildwuchs bei Bio-Labeln | |
> Auch künftig gibt es in der EU keine gesetzlichen Vorschriften für | |
> Ökotextilien. Die Hersteller warnen vor Kundenverwirrung und | |
> Greenwashing. | |
Bild: Die Öko-Hose von morgen: mit Sicherheit komplett ohne Zusatzmittel | |
BERLIN taz | Was ist eine Biohose? Genau weiß das niemand. Sie enthält | |
Baumwolle aus biologischem Anbau, das ist sicher. Wie aus der Faser Stoff | |
wurde, welche Chemikalien und Färbemittel verwendet wurden, wie und wo die | |
Hose genäht wurde und auf welche Art sie gebleicht wurde – darüber sagt ein | |
Etikett, auf dem „Bio“ steht, jedoch nichts aus. Denn es gibt in der EU | |
keine gesetzlichen Vorschriften, wann ein Kleidungsstück so bezeichnet | |
werden darf. | |
Bei Lebensmitteln ist das anders: Die EU-Bio-Verordnung regelt seit 2007, | |
was Bio heißen darf. Diese Verordnung soll im Frühjahr kommenden Jahres | |
überarbeitet werden – so plant es die EU-Kommission. Allerdings soll bei | |
Textilien offenbar weiter Label-Wildwuchs herrschen: Die Verordnung soll | |
sich weiter nur um Lebensmittel drehen. | |
Ökotextilhersteller kritisieren das. So können weiter Klamotten mit dem | |
Wort „Bio“ vermarktet werden, ohne dass der Kunde genau weiß, was das | |
bedeutet. „Ohne gesetzliche Regeln werden Verbraucher weiterhin verwirrt“, | |
sagt Heike Scheuer vom Verband der Naturtextilhersteller. | |
Etwa hundert Siegel gebe es derzeit, die irgendwie aussagen, dass ein | |
Kleidungsstück nachhaltig ist. Mal geht es um Arbeitsbedingungen, mal um | |
den Baumwolleanbau, mal um die Abwasserentsorgung. | |
Eine Sprecherin der Kommission wiegelt ab: Die Verordnung sei noch längst | |
nicht fertig, sagt sie. Doch längst sind Berichte zum Thema an die | |
Öffentlichkeit gesickert: „Bei der Kennzeichnung für | |
ökologische/biologische Textilien und Kosmetika könnte gegebenenfalls durch | |
andere Instrumente ein angemessener Schutz der Interessen von Verbrauchern | |
und Herstellern erreicht werden“, heißt es hier. Und weiter: „Statt einer | |
Ausweitung des Anwendungsbereichs“ wolle man lieber die Vorschriften für | |
Agarprodukte modifizieren. | |
## Global Organic Textile Standard hat weltweit die größte Bedeutung | |
„Besser ist ein ganzheitliches Siegel“, sagt Ökotextilienexpertin Scheuer. | |
Der Global Organic Textile Standard (GOTS) ist momentan das Label mit der | |
weltweit größten Bedeutung. Der Verband der Naturtextilhersteller hält ihn | |
für den besten. Der GOTS gehöre in die EU-Verordnung, sagt Scheuer. In den | |
USA dürften Kleidungsstücke bereits nur als „Bio“ vermarktet werden, wenn | |
sie den GOTS-Kriterien entsprächen. | |
Kleidung mit GOTS-Siegel muss aus Betrieben stammen, die gerechte Löhne | |
zahlen und Arbeitsschutzrichtlinien beachten. Sie muss zudem zu 70 Prozent | |
aus biologisch angebauten Fasern bestehen und ohne Schwermetalle und andere | |
giftige Chemikalien hergestellt worden sein. | |
Allerdings gilt der Standard derzeit nur für Textilien aus Naturfasern. | |
2014 soll er überarbeitet werden. „Es wäre wunderbar, wenn das Zeichen dann | |
zwei Wege eröffnen könnte“, sagt die noch amtierende Grünen-Fraktionschefin | |
Renate Künast. Einen für klassische Naturfasern, den anderen für künstlich | |
hergestellte Fasern. | |
Den konventionellen Textilherstellern geht eine gesetzliche Regelung zu | |
weit. „Überregulierung ist nicht sinnvoll“, sagt Michael Engelhardt. Er ist | |
beim Gesamtverband Textil und Mode für die Themen Energie und Umwelt | |
zuständig. „Wir glauben, dass sich auf dem freien Markt die besten Siegel | |
durchsetzen werden“, Verwirrungspotenzial sieht er nicht. Und überhaupt: | |
Bio sei ohnehin ein eher kleiner Markt. | |
Dass sich die nachhaltigsten Siegel von selbst durchsetzen, glaubt Heike | |
Scheuer nicht. Sie will den Kunden besser an die Hand nehmen: „Wir brauchen | |
ein Ein-Blick-Siegel, um Greenwashing zu unterbinden“, sagt die Frau vom | |
Naturtextilverband. Dass faire Biokleidung auch zu günstigen Preisen | |
möglich ist, zeigten Walmart und Aldi. | |
Beide Discounter hätten immer wieder GOTS-Artikel im Sortiment. Um GOTS | |
durchzusetzen, benötige es den Druck der EU, sagt Künast. Denn: „Die | |
Politik in Bangladesch – 30 Prozent der Abgeordneten sind Textilfabrikanten | |
– wird aus freien Stücken nichts unternehmen.“ | |
7 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jakob Struller | |
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