# taz.de -- SPD-Vorstandsmitglied über Flüchtlinge: „Wir haben gefälligst … | |
> Nach dem Lampedusa-Unglück wird die Kritik an der EU lauter. Die | |
> Menschenwürde müsse der Maßstab sein, sagt Schleswig-Holsteins SPD-Chef | |
> Ralf Stegner. | |
Bild: Europa setzt auf Abschreckung und nicht auf eine ernsthafte Lösung des F… | |
taz: Herr Stegner, Sie fordern von Ihrer Partei eine klares Konzept für | |
mehr Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik. Was vermissen Sie? | |
Ralf Stegner: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir es mit ganz | |
unterschiedlichen Arten von Flucht zu tun haben. Wir haben | |
Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerberinnen und Asylbewerber und | |
Armutsflüchtlinge, die teilweise sogar aus Südosteuropa kommen, wie die | |
Roma. Für die SPD muss der Artikel 1 des Grundgesetzes die Richtschnur | |
sein: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das muss für alle gelten – | |
ganz besonders für die Bundesregierung. | |
Was würde das genau für die Flüchtlingspolitik bedeuten? | |
Wenn Menschen in Lebensgefahr sind, hat man ihnen gefälligst zu helfen. | |
Wenn das nicht geschieht, ist das ein humanitäres Versagen, das für ein | |
zivilisiertes Land in keiner Weise akzeptabel ist. Deswegen stört mich auch | |
die technokratisch abwehrende Debatte in den letzten Tagen. Zum Teil wird | |
einem richtig übel, wenn man hört, wie über Menschen in Not gesprochen | |
wird. Ich bin überzeugt davon, dass Menschen ihre Heimat nicht einfach so | |
verlassen, wenn sie nicht in bitterer Not sind oder verfolgt werden. | |
De facto setzen EU und Bundesregierung aber vor allem auf Abschreckung. | |
Es ist nicht akzeptabel, wie Herr Friedrich hier auftritt. Wir haben in den | |
EU-Ländern einen komplett unterschiedlichen Umgang mit Flüchtlingen. Durch | |
die Dublin-II-Bestimmungen regelt man das quasi nur an den EU-Außengrenzen | |
– und setzt da viel stärker auf Grenzsicherung, als darauf, das Problem | |
ernsthaft zu lösen. Nun gehöre ich nicht zu denen, die sagen, dass es eine | |
einfache Lösung gibt. | |
Dennoch schlagen Sie eine vor, wie sieht die denn genau aus? | |
Man muss die Fluchtursachen bekämpfen. Denn die meisten Menschen würden | |
nicht weggehen, wenn sie nicht in Armut leben oder verfolgt würden. Der | |
reiche Westen muss endlich die Milleniumsziele umsetzen, also mindestens | |
0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit | |
ausgeben, wie schon von Willy Brandt gefordert. | |
Man muss aber auch zum Beispiel von Rumänien verlangen, dass europäische | |
Sozialnormen eingehalten und Roma nicht diskriminiert werden. Wobei es | |
leider auch in Deutschland Diskriminierung von Roma gibt. | |
Schleswig-Holstein ist das erste Bundesland, das den Schutz der Sinti und | |
Roma als geschützte Minderheit in die Verfassung aufgenommen hat. Das haben | |
wir nach fünf Anläufen endlich geschafft. | |
Und nun haben Sie in einer Arbeitsgruppe einen Antrag für eine | |
menschenwürdigere Flüchtlingspolitik erarbeitet, den Sie auf dem | |
Bundesparteitag im November einbringen. | |
Dass jetzt noch die schreckliche Katastrophe vor Lampedusa dazugekommen | |
ist, erinnert nur daran, wie dringlich es ist, dass wir uns darum kümmern | |
müssen. Man kann nicht akzeptieren, dass jetzt so getan wird, als wäre das, | |
was jetzt in Lampedusa passiert ist, nur ein tragisches Unglück gewesen. | |
Was ist es denn? | |
Meiner Meinung nach unterlassene Hilfeleistung. Das ist ein Verbrechen. Man | |
muss die Rahmenbedingungen ändern. Und es gibt keine Rechtfertigung dafür, | |
Menschen in Not nicht zu helfen. Dafür muss man die Sensibilität wecken. | |
Ich verstehe, dass man das nicht in Wahlkämpfen macht, weil da leider oft | |
nicht Argumente siegen, sondern Vorurteile – manche Parteien legen es | |
regelrecht darauf an. | |
Die Ausgrenzungsrhetorik trifft in der Bevölkerung nämlich auf viel mehr | |
Zustimmung als uns das lieb sein kann. Aber wir haben jetzt keinen | |
Wahlkampf mehr und deshalb glaube ich, dass wir uns an die Lösung dieser | |
Frage heranmachen können und müssen. Da hat Deutschland als reichstes Land | |
in der EU und mit unserer Geschichte eine besondere Verpflichtung, | |
vorbildlich voranzugehen. | |
In Hamburg leben seit Monaten Flüchtlinge, um die sich nach den EU-Regeln | |
eigentlich Italien kümmern müsste. Sie fordern vom SPD-Senat ein | |
Bleiberecht, stoßen aber auf taube Ohren. Stiehlt sich der Hamburger | |
Bürgermeister Olaf Scholz aus der Verantwortung? | |
Hamburg hat sicher eine schwierigere Situation als andere. Die Lösung liegt | |
aber nicht in der Kommunalpolitik. Wir müssen die Dublin-II-Verordnung | |
ändern. Sie muss entweder anders administriert werden, so dass es nicht auf | |
Abgrenzung hinausläuft. Oder wir müssen einen Solidaritätsmechanismus | |
schaffen, der eine gerechtere Verteilung in Europa bewirkt. | |
Aber sollten nicht auch Kommunen vorbildlich handeln? | |
Wir brauchen Hilfsprogramme für besonders betroffene Kommunen. Wenn man die | |
nicht hat, steigert man die Vorbehalte in der Bevölkerung. In Hamburg gibt | |
es Wohnungsnot und der Senat versucht alles, um bezahlbaren Wohnraum zu | |
schaffen. Die Probleme in Hamburg sind also andere als in der Uckermark. | |
Aber Hamburg ist doch auch reich. | |
Das ist richtig, ich will auch nicht sagen, dass Hamburg keine | |
Verpflichtung hätte. Es hilft aber nicht mit dem Zeigefinger auf einzelne | |
Kommunen zu zeigen, auch wenn mir nicht jede diesbezügliche Äußerung aus | |
der Kommunalpolitik gefällt. Den rechtlichen Rahmen können wir nicht auf | |
kommunaler Ebene verändern. Andererseits war ich ja auch ein paar Jahre | |
Innenminister und weiß, dass man den humanitären Spielraum im Umgang mit | |
Flüchtlingen maximieren kann. | |
So argumentieren übrigens auch die Unterstützer der Gruppe „Lampedusa in | |
Hamburg“. Nutzen Sie in Schleswig-Holstein den Spielraum anders? | |
Wir haben bei aufenthaltsrechtlichen Fragestellungen immer das Maximum zu | |
Gunsten von Flüchtlingen versucht. Wir haben auch eine Härtefallkommission, | |
die den Namen verdient. In Niedersachsen dagegen war das vor dem | |
Regierungswechsel eher eine Farce. | |
In Schleswig-Holstein sind Sie in Kontakt mit den | |
Flüchtlingsorganisationen, um die Unterbringung zu verbessern. Was ist | |
dabei rausgekommen? | |
Wir haben gerade zusätzliche Mittel aus Zensus-Einnahmen für dezentrale | |
Unterbringungen bereitgestellt. Weil wir natürlich auch sehen, dass die | |
Unterkünfte in Teilen nicht so sind, wie sie sein sollten. Generell sagen | |
wir, Sammelunterkünfte sind immer nur vorübergehend. | |
Unser Ziel bleibt, Menschen möglichst zu integrieren. Immer wieder | |
diffamieren Konservative die angebliche Zuwanderung in die Sozialsysteme. | |
Ich finde es wichtig, Menschen, die zu uns kommen, so früh wie möglich den | |
Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Denn die meisten wollen arbeiten, | |
dürfen es aber nicht. | |
9 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
## TAGS | |
Flüchtlingspolitik | |
SPD-Parteitag | |
Ralf Stegner | |
Schleswig-Holstein | |
Hamburg | |
Lampedusa | |
Flüchtlinge | |
Michael Neumann (SPD) | |
Flüchtlinge | |
Beppe Grillo | |
Lampedusa | |
Asylpolitik | |
Lampedusa | |
Europa | |
Lampedusa | |
Flüchtlingspolitik | |
Hamburg | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlings-Reportage im ZDF: Mit dem Gummiboot in die EU | |
Endlich Qualität zur besten Sendezeit: Mit der Dokumentation „Riskante | |
Reise“ setzt das Zweite ein Statement gegen die Abschottung. | |
Wer entscheidet übers Bleiberecht?: Politiker bleiben unter sich | |
Die FDP will Abgeordnete der Parteien in der Härtefallkommission durch | |
Fachleute ersetzen. Die SPD spielt da nicht mit, das System habe sich | |
„bewährt“. | |
Polizeiaktionen gegen Flüchtlinge: "Kaukasier" nicht betroffen | |
Weitere Personenkontrollen gegen Lampedusa-Flüchtlinge. Zwei Männer in | |
Untersuchungshaft, verantwortlich sein will weder die Polizei noch die | |
Ausländerbehörde. | |
Polizeikontrollen gegen Afrikaner: Streit um Flüchtlinge eskaliert | |
Hamburgs Innensenator und Autonome stellen einander gegenseitig Ultimaten. | |
Die Kirche wirft dem Senat vor, er gebe den Asylsuchenden keine Chance. | |
Nach Urteil über Hartz-IV für Migranten: Friedrich warnt vor Zuwanderung | |
Für den Innenminister ist das Boot voll. Er befürchtet, mehr Zuwanderung | |
ins deutsche Sozialsystem. Die SPD spricht von „Zynismus“. | |
Kommentar Lampedusa und Beppe Grillo: Der Stiefel ist voll | |
Zwei Senatoren wollen illegale Einwanderung als Straftatbestand abschaffen. | |
Dagegen hetzt auch Beppe Grillo in rechtspopulistischer Manier. | |
Flüchtlingsunglück vor Lampedusa: Wer kein Geld hat, kann nicht fliehen | |
Mehr Entwicklungshilfe wird die Migration nach Europa nicht stoppen. Denn | |
es sind nicht die Ärmsten der Welt, die flüchten, sondern die untere | |
Mittelschicht. | |
Überlebenshilfe für Flüchtlinge: Notunterkünfte herbeigetrickst | |
Der Bezirk Altona will der Nordkirche erlauben, 35 Wohncontainer aufzubauen | |
und stellt sich mit dieser Entscheidung gegen die Politik des SPD-Senats. | |
Debatte über EU-Asylpolitik: Einig nur darin, nichts zu ändern | |
Europa bleibt nach der Tragödie von Lampedusa uneins: Lauter Widerstand | |
gegen den Umbau der Asylpolitik kommt aus Deutschland. Die Opferzahl steigt | |
derweil weiter. | |
Flüchtlingspolitik der EU: Hier debattieren, dort Leichen bergen | |
Die Innenminister der EU wollen über ihre Migrationspolitik. debattieren. | |
Deutschland will nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen. In Lampedusa steigt die | |
Zahl der Toten. | |
Ideen für eine bessere Flüchtlingspolitik (1): Einen humanitären Korridor ö… | |
Europa bietet politisch Verfolgten Asyl. Doch gibt es keine legalen | |
Einreisemöglichkeiten. Menschenrechtler fordern eine freie und gefahrlose | |
Passage. | |
Fast 200 Tote bei Lampedusa-Drama: Eine „Schande“ für die EU | |
Immer mehr Leichen werden aus dem vor der italienischen Küste gesunkenen | |
Flüchtlingsschiff geborgen. Jetzt entbrennt die Diskussion über | |
Konsequenzen für die Politik. | |
EU-Reaktionen auf Flüchtlingsdrama: Viel Lärm und – nichts | |
Italien und Frankreich fordern ein EU-Sondertreffen. Doch ein Kurswechsel | |
in der europäischen Flüchtlingspolitik zeichnet sich nicht ab. | |
Italienische Juristin über Flüchtlinge: „Italien ist nicht zumutbar“ | |
300 Afrikaner flüchteten vor dem Libyen-Krieg über Lampedusa nach Hamburg. | |
„Völlig legitim“, findet die römische Juristin Loredana Leo. | |
Innensenator über Flüchtlinge: „Hamburg wäre überfordert“ | |
Von SPD-Innensenator Michael Neumann fordern Flüchtlinge in Hamburg ein | |
Bleiberecht. Er sagt, er könne nicht gegen das Gesetz handeln. | |
Aufstand der Flüchtlinge (1): Lampedusa – Hamburg und zurück | |
Sie landeten in Italien, kamen nach Deutschland – und werden überall | |
weggeschickt: Flüchtlinge, die auch die SPD nicht will. | |
Zwischen Kommission und Lokalpolitik: Lampedusa-Gruppe will bleiben | |
Die Flüchtlinge aus Libyen werben bei der EU-Kommission für ihre Sache und | |
stoßen auf Verständnis. SPD-Senat beharrt aber auf der Abschiebung. |