# taz.de -- EU-Reaktionen auf Flüchtlingsdrama: Viel Lärm und – nichts | |
> Italien und Frankreich fordern ein EU-Sondertreffen. Doch ein Kurswechsel | |
> in der europäischen Flüchtlingspolitik zeichnet sich nicht ab. | |
Bild: Ihnen helfen keine großen Worte mehr – Särge mit den Opfern von Lampe… | |
BRÜSSEL taz | Wenige Tage nach der Schiffskatastrophe vor der italienischen | |
Mittelmeerinsel Lampedusa mit mehr als 121 Toten ringt Europa um eine neue | |
Flüchtlingspolitik. Italien und Frankreich forderten am Wochenende ein | |
EU-Sondertreffen, Kommissionschef José Manuel Barroso will sich am | |
kommenden Mittwoch sogar persönlich ein Bild von der Lage auf Lampedusa | |
machen. | |
Doch ein echter Kurswechsel zeichnet sich nicht ab. Sieht man von den | |
wortreichen Beileidsbekundungen ab, so kamen aus Brüssel und den anderen | |
EU-Hauptstädten vor allem Absichtserklärungen. Typisch die EU-Kommissarin | |
für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva: Die Europäer müssten nicht nur | |
„die Herzen und die Geldbeutel“ offen halten, sondern auch ihre Grenzen, | |
sagte sie. Was das konkret bedeutet, dazu äußerte sich Georgieva nicht. | |
Vage blieb auch der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault, der ein | |
Sondertreffen zu Lampedusa forderte. „Die europäischen Verantwortlichen | |
müssen darüber reden, und zwar schnell. Mitleid allein reicht nicht“, sagte | |
Ayrault in Metz. Worin die europäische Lösung bestehen soll, ließ auch er | |
offen. | |
Der französische Außenminister Laurent Fabius kündigte immerhin an, dass | |
Paris die Flüchtlingsfrage „sehr wahrscheinlich“ auf die Agenda des | |
EU-Gipfels Ende Oktober setzen werde. Außerdem soll sie am Dienstag beim | |
Treffen der Innenminister in Luxemburg auf der Tagesordnung stehen. Doch | |
der litauische EU-Vorsitz, der das Treffen leitet, sieht nur eine | |
Aussprache vor, keine Beschlüsse. Vor allem Berlin steht auf der Bremse. | |
Zwar ist auch in Deutschland eine Debatte über eine neue Flüchtlingspolitik | |
entbrannt. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner regte einen | |
europäischen Flüchtlingsgipfel an. Konkreter sind die Vorschläge einzelner | |
SPD-Politiker. Michael Roth, europapolitischer Sprecher der SPD, forderte | |
mehr Solidarität der EU-Länder untereinander. | |
„Das ist kein italienisches, sondern ein europäisches Problem“ sagte Roth | |
der taz. Eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik scheitere „an | |
nationalstaatlichen Egoismen, aber auch an der deutschen Blockadehaltung“. | |
Der aus dem Senegal stammende Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby (SPD) | |
mahnte auch eine entwicklungspolitische Wende an. | |
## Hans-Peter Friedrich lehnt eine Änderung der Flüchtlingspolitik ab | |
Man müsse mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge „auf Augenhöhe“ | |
zusammenarbeiten, sagte er der taz. So habe etwa die Fischereipolitik der | |
EU dazu beigetragen, jungen Menschen in Westafrika die Lebensgrundlage zu | |
zerstören. SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete das Flüchtlingselend auf | |
Lampedusa als „große Schande für die Europäische Union“. | |
Doch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) setzt ganz andere | |
Akzente. Er verlangte ein schärferes Vorgehen gegen Schlepper. Er wies den | |
Vorwurf, Europa schotte sich ab, zurück. Allein Deutschland habe in diesem | |
Jahr „schon annähernd 80.000 Menschen Zuflucht gewährt“. Eine Änderung d… | |
EU-Regeln in der Flüchtlingspolitik lehnte er ab. | |
Dabei sind diese Regeln nach Ansicht vieler Experten gescheitert. Sie seien | |
mit schuld daran, dass in den letzen 20 Jahren fast 25.000 Bootsflüchtlinge | |
im Mittelmeer ertrunken sind, schätzt die grüne Europaabgeordnete Hélène | |
Flautre. Vor allem die Grenzschutzagentur Frontex steht massiv in der | |
Kritik. „Sie ist und bleibt der Mittelpunkt einer völlig verfehlten | |
Politik“, so Cornelia Ernst, Vizesprecherin der Linken im Europäischen | |
Parlament. | |
Auch italienische Politiker warfen Frontex Versagen vor. Regierungschef | |
Enrico Letta forderte die Schaffung eines „humanitären Korridors“. Dafür | |
treten auch Flüchtlingsorganisationen wie Progetto Melting Pot Europa ein. | |
Wenn ein solcher Korridor eingerichtet würde, bekäme ein somalischer | |
Flüchtling in Zukunft das Recht, in Tripolis oder Tunis etwa zur deutschen | |
Botschaft zu gehen und Asyl in Europa zu beantragen. Er würde ein | |
Einreisevisum bekommen und könnte eine Fähre oder ein Flugzeug in die EU | |
besteigen. Schlepper und illegale Einreisen gäbe es somit nicht mehr. | |
Allerdings findet dieser Vorschlag bisher kaum Unterstützer. Außenminister | |
Fabius möchte, so wie Friedrich, den Kampf gegen Schlepper verstärken. Der | |
Parteichef der größten Oppositionspartei UMP, Jean-François Copé, verlangt | |
sogar, den Zugang zum Schengen-Raum zu beschränken. Man müsse „gegen | |
EU-Staaten wie Griechenland, die ihre Aufgaben der Grenzkontrolle nicht | |
wahrnehmen, Sanktionen verhängen oder sie sogar [aus dem Schengen-Vertrag] | |
ausschließen“. | |
6 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
Rudolf Balmer | |
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